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Synergy in Novi Sad

Das "Freie Theater Bozen" trat in Serbien mit der Arbeit “Verlassenes Ufer – Material für Medea – Landschaft mit Argonauten” von Heiner Müller auf. Ein Gastbeitrag.
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Foto: ftb

Von Massimo Antonio

Die tausend Kilometer, die Novi Sad in Serbien von Bozen trennen, waren für die seit 1993 tätige Südtiroler Theatergruppe Freies Theater Bozen, die in den letzten Jahren noch längere Reisen unternahm um in vielen europäischen und außereuropäischen Ländern wie Österreich, Deutschland, Slowakei, Rumänien, Ungarn, Ukraine, Armenien, Georgien, Zypern, Russland und China aufzutreten, kein Grund zur Sorge. In Serbien nahmen die professionellen Schauspieler des Freien Theaters Bozen (FTB) unter der Leitung von Gabriele Langes und unter der Regie von Reinhard Auer am Synergy World Theatre Festival of Minority Langu ages teil, einem Theaterfestival für sprachliche Minderheiten, das bereits zum dritten Mal stattfindet.

 

Am 28. November brachte die Kompanie die Textcollage Verlassenes Ufer - Medeamaterial - Landschaft mit Argonauten von Heiner Müller in Novi Sad auf die Bühne. Es ist ein Werk, das aus der Zusammenstellung von drei Texten entstand, die der aus der DDR stammende Schriftsteller und Dramatiker in voneinander entfernten Schaffensphasen zwischen den 50er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts verfasste und das erstmals 1983 in Bochum inszeniert wurde. Eine Gruppe von Männern auf der Suche nach neuen Gebieten, die es zu entdecken und zu erobern gilt, landet auf einem Planeten, der durch Kriege zerrissen und zerstört wurde und auf dem nur Trümmer und Abfälle liegen, eben das "verlassene Ufer": die Bühne ist vollständig mit Erde bedeckt, auf einer Seite sieht man die Überreste einer Hütte aus alten Holzstücken, einigen Ziegeln und einem zerrissenen Tuch, auf der anderen Seite ein rostiges Eisenbett, nicht weit ein großer verbeulter Mülleimer, der in einer anderen Ära vielleicht Öl enthielt und weiter noch die Überreste von einem alten Fernsehen und anderem Müll. Der Text weist auf die mythologische Erzählung der Argonauten hin, der Helden des Schiffes Argo, die unter der Führung Jasons den "Barbaren" ihr Weltmodell aufzwingen wollten. Müller selbst sagte, dass die Geschichte von Jason der älteste Mythos der Kolonisierung im griechischen Raum und somit in der westlichen Kultur sei.


Auf diesem neuen Planeten finden die zeitgenössischen Argonauten eine Gruppe von Frauen, die als einzige noch in der Lage sind, unter diesen extremen Bedingungen zu überleben. Die drei männlichen Charaktere stellen ebensoviele Archetypen dar: Herakles, der Kriegersoldat, eine Art moderner Rambo, der jedes Problem mit Gewalt löst; Jason, der "Macho-Mann", der Frauen benutzt und sie dann wegwirft und Orpheus, der Intellektuelle, der hochgebildet ist, aber genau aus diesem Grund von Zweifeln besessen ist. Jeder von ihnen will die Welt auf seine Weise unterwerfen: der Soldat mit Gewalt, der „Playboy”mit sexueller Energie, der Intellektuelle mit Vernunft. Auch die weiblichen Rollen repräsentieren sehr unterschiedliche Charaktere: Medea, die starke und rachsüchtige Frau, die sich nicht unterwerfen lässt, Penelope, Symbol einer Frau in ständiger Erwartung und nicht vollständig emanzipiert und Elektra, die den Aufstand gegenüber den älteren Generationen darstellt.


Es entsteht so ein Konflikt zwischen den Geschlechtern, an dessen Ende die Männer, die das Modell der Eroberung und Unterwerfung von Natur und Frau darstellen, vernichtet werden und somit das Ende des Patriarchats und der Beginn einer neuen Ära unter Führung der Frauen antizipiert wird . "Ob es eine bessere Ära wird oder nicht" - erklärt Regisseur Reinhard Auer - "wird davon abhängen, wie sehr es den Frauen gelingen wird, sich von dem bisher von Männern verübten Modell der Unterwerfung zu lösen und zu einer wahren, von vielen gewünschten Gesellschaft der Chancengleichheit überzugehen!"

"Ein Stück entwaffnender Aktualität" - fügt Gabriele Langes hinzu - "wenn wir an die großen Weltprobleme der kapitalistischen Kolonisierung, der Zerstörung der Umwelt und der geschlechtsspezifischen Gewalt denken."


"Wir haben geträumt und Sie haben unseren Traum verwirklicht", äusserte der künstlerische Leiter des Festivals Valentin Venczel während der Pressekonferenz am Ende der Darstellung seine Dankbarkeit gegenüber den Schauspielern, die eine Aufführung nach Novi Sad gebracht haben, in dem Wort und Text, nach der besten Tradition der deutschen Dramaturgie, zum edelsten Teil der Inszenierung werden. Ebenfalls in Novi Sad hatte das Freie Theater Bozen die Ehre, mit einer kurzen Rede über die Theateraktivität sprachlicher Minderheiten eine der Sitzungen der dritten europäischen Konferenz zu eröffnen (Minority Media Goes Practical), die sich den Medien für ethnische Minderheiten widmete.

"Es war eine anstrengende und anspruchsvolle Unternehmung" - so Langes abschließend -, "die uns mit großer Zufriedenheit erfüllt und die uns für die neue Produktion, die uns im Jahr 2020 beschäftigen wird, die erforderliche Energie geliefert hat."