Gesellschaft | Gesundheitsvorsorge

„Auch ein sozialer Aspekt“

Dr. Markus Markart, Primar der Pädiatrie Brixen, gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen zur aktuellen Impfdebatte.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Südtiroler Sanitätsbetrieb

Salto.bz: Herr Markart, wie kam es dazu, dass sie als Testimonial bei der Kampagne zur Gesundheitsvorsorge des Sanitätsbetriebes zum Thema "Vorsorge durch Impfung" mitgemacht haben?

Markus Markart: Ich wurde gefragt, ob ich als Testimonial zur Verfügung stehen würde und habe diese Aufgabe gerne übernommen. Weil ich aus meiner persönlichen Erfahrung etwas zum Werdegang der einzelnen Erkrankungen beitragen kann. Zum Beispiel, wie sich diese im Laufe der Jahre, nachdem wir mit den Impfungen begonnen haben, veränderten.

Was hat sich genau durch die Impfungen in ihrem Alltag als Kinderarzt verändert?

Seit wir gegen bestimmte Krankheiten impfen, zum Beispiel Pneumokokken, sind gewisse Erkrankungen aus unserem alltäglichen Routine-Bereich fast völlig verschwunden. Schwere Hirnhautentzündungen durch diese Keime haben wir seitdem eigentlich nie mehr gesehen und auch andere schwere Erkrankungen, bei denen der Kehldeckel anschwillt und es zu sehr gefährlichen Situationen kommt. Auch schwere Lungenentzündungen sind viel seltener geworden, ebenso wie Nasennebenhöhlen- und Mittelohrentzündungen. Mein Beitrag als Testimonial war es, aufzuzeigen, wie sich unser Alltag als Kinderärzte im Krankenhaus verändert hat, seitdem wir Impfungen gegen gewisse Bakterienstämme durchführen.

Das klingt sehr positiv. Was sagen Sie auf der anderen Seite zu den Argumenten der kritischen Stimmen. Zum Beispiel, dass Impfungen Erkrankungen wie Autismus und Entwicklungsstörungen hervorrufen können?

Das ganze muss man differenzierter betrachten. Es gibt genügend klinische Evidenz, die das Argument entkräften, dass Impfungen Autismus hervorrufen würden. Das ganze Problem der Impfkritiker ist, dass sie sich aus dem Internet informieren. Es gibt in der Medizin eine eigene wissenschaftliche Abteilung, die sich nur mit der Evidenz beschäftigt. Das heißt bei jeder Studie, die veröffentlicht wird, wird die Evidenz untersucht.

Können sie Evidenz in diesem Zusammenhang genauer erklären?

Das heißt: Wie gut sind die Zahlen der Studie und wie stark kann ich mich auf diese Zahlen verlassen. Wie sehr sind sie durch andere Dinge, die im Hintergrund passieren, verzerrt. Im Internet kann jeder etwas zu diesem Thema schreiben und sich als Arzt oder Professor ausgeben, ohne dass wirklich die Evidenz geprüft ist. Jeder kann seine Meinung kundtun und als Fachmann auftreten. Es ist für einen Laien nicht ersichtlich, wieviel Wahrheit dahinter steckt. Und das ist das große Problem, wenn man sich im Internet informiert. Darunter sind dann auch immer wieder jene Argumente, die schon längst wissenschaftlich widerlegt wurden, zum Beispiel der Bezug zum Autismus. Sie kommen aber immer wieder auf und bleiben in den Köpfen haften. 

Und diese Argumente halten sich sehr hartnäckig…

Unser Gehirn ist trainiert, immer eine Wirkung-Ursache-Beziehung zu suchen. Sehen Sie, es gibt zu jeder Erkrankung immer ein „Hintergrundrauschen“. Ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung leidet an Autismus, eine Erkrankung, die erst im frühen Säuglingsalter auftritt, weil sie vorher einfach nicht erkennbar ist, da die sozialen Kontakte bei kleinen Kinder erst im Alter von 6 Wochen beginnen und sich dann im Alter von 3 Monaten zeigen. Das einzige, was eben in dieser Zeit häufig passiert, ist eine Impfung. Die muss dann Schuld sein, dass mein Kind erkrankt ist. Und wenn man dann ins Internet geht, findet man logisch auch Informationen dazu.

Die Eltern werden durch die vielen Informationen im Internet eben sehr verunsichert. Was raten Sie ihnen?

Es wäre wünschenswert, dass die Eltern sich bei jenen Menschen Informationen holen, die erstens Fachleute auf diesem Gebiet sind und zweitens ihre Bezugspersonen und Vertrauenspersonen sein sollten, so wie der Kinderarzt. Die Impfkritiker zu überzeugen ist sicher nicht möglich. Ich kann schlecht einem Moslem sagen, er soll sich zum Christentum bekehren und umgekehrt. Es gibt aber sehr viele impfkritische Leute, die im Sog mitschwimmen und sich durch die ganze Diskussion verunsichern lassen. Auf diese müssen wir eingehen, denn sie sind für Argumente zugänglich.

Dass der Staat den Eltern die Impfungen aufzwingt, trägt zur Skepsis bei. Wie stehen Sie zum „Impfzwang“? Sollte es nicht besser erst eine öffentliche Aufklärung geben?

Impfpflicht ist sicher etwas, was Widerstand hervorruft und eigentlich das letzte Mittel sein sollte, um Impfzahlen zu halten, die es innerhalb der Bevölkerung braucht, damit Krankheiten nicht zirkulieren können. Seit ich denken kann haben wir versucht öffentlich zu argumentieren, aber wahrscheinlich auch zu wenig, das müssen wir uns eingestehen. Wir hätten mehr an die Öffentlichkeit gehen sollen und deshalb begrüße ich die aktuelle Kampagne und die breit angelegte Diskussion. Dadurch werden wissenschaftliche Informationen verbreitet, die die Sinnhaftigkeit der Impfungen zeigen und die Argumente der Impfgegner sehr gut entkräften. Prinzipiell bin ich gegen einen Zwang, aber in diesem Fall wird man dadurch gute Durchimpfungsraten erreichen. Ich will nicht sagen der Zweck heiligt die Mittel, aber es wird sicher dazu führen, dass die Impfraten verbessert werden.

Warum ist eine gute Durchimpfungsrate so wichtig?

Irgendwann kommt es zu einer gewissen Impfmüdigkeit, zum Beispiel weil es derzeit wenig Krankheiten gibt, die uns stark beschäftigen. Das ist auch ein Erfolg der Impfung und gleichzeitig ihr Problem. Diphterie hat zurzeit von unseren Ärzten keiner mehr gesehen. Das war aber einmal der „Würgeengel“ der Kinder, weil sie daran erstickt sind. Diese Krankheiten kennen wir alle nicht mehr, weil wir eben erfolgreich geimpft haben. Es gibt auch eine ganze Reihe anderer Beispiele, bei denen die Impfung selber ihr Problem schafft, weil die Krankheiten nicht mehr als so gefährlich empfunden werden. Kinderlähmung zum Beispiel, obwohl es immer noch erwachsene Menschen gibt, die darunter leiden. Die Bedrohung durch diese Erkrankungen wird aber nicht mehr als so imminent empfunden und es kommt zur Impfmüdigkeit. Die Folge ist, dass Italien jetzt eine Pflicht eingeführt hat, weil die Impfraten einfach nicht mehr ausgereicht haben. Frankreich ist auch dabei eine Pflicht einzuführen und Deutschland diskutiert schon seit Jahren darüber. Die Politiker haben eben die Aufgabe dafür zu sorgen, dass die Bevölkerung geschützt wird. Das kann man vergleichen mit der Gurtpflicht, da hat es auch irgendwann nicht mehr gereicht nur zu sagen, dass es sicherer ist mit Gurt zu fahren.

Dass es um den Schutz der gesamten Bevölkerung geht, sollte bei der ganzen Diskussion mehr hervorgehoben werden?

Das ist der zweite wichtige Aspekt einer Impfung. Auf der einen Seite schütze ich als erstes mein Kind, aber auch Personen in der Gesellschaft, die immunschwach sind, keinen Impfschutz haben oder durch schwere Erkrankungen den Schutz verloren haben, weil sie zum Beispiel eine Chemotherapie machen müssen und keinen immunologischen Schutz aufbauen können. Es ist auch ein sozialer Aspekt, den ich gleichzeitig leiste. Und nur wenn ich genügend Personen in einer Gesellschaft impfe, kann ich verhindern, dass Krankheiten sich ausbreiten. Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps und Röteln könnten durch gute Impfraten von diesem Planteten verschwinden, weil sie kein Reservat im Tierreich und in der Umgebung haben, sondern nur im Menschen. So wie es mit Pocken gelungen ist, könnte es auch mit Masern und Co. gelingen, wenn wir ausreichend Leute impfen.

Die alternative Medizin sieht das anders…

Es gibt wenig so erfolgreiche Geschichten in der Medizin-Historie, die das Leben der Menschen so stark beeinflusst hat, wie die Erfindung von Impfstoffen. Aber gerade die Impfstoffe werden von Seiten der Alternativmedizin und deren Anhänger verteufelt, wobei sie eigentlich der Naturheilkunde sehr nahe stehen. Sie handeln ganz nach dem Grundsatz "Gleiches mit Gleichem", also abgeschwächte und abgetötete Erreger in den Körper geben, damit er aktiv eine Antwort und Immunabwehr ausbilden kann und im günstigsten Fall ein lebenslanges immunologisches Gedächtnis besitzt. Man gibt dem Körper die Möglichkeit, gegen Krankheiten zu reagieren ohne selbst dabei krank zu werden. Das Argument, dass wir Krankheiten brauchen, damit unser Immunsystem gestärkt wird, ist richtig, aber man braucht dafür nicht Krankheiten, die schwere Folgeschäden haben oder auch zum Tode führen können. Es ist nicht richtig zu sagen, wir brauchen diese schweren Erkrankungen, um unser Immunsystem zu trainieren. Da reichen normale Infekte, wie sie in jedem Herbst und Winter auftreten völlig aus, damit unser Immunsystem ausreichend stimuliert wird.

Wie sehen sie die Rolle der Pharmaindustrie, die ja laut Impfgegnern aus den Impfstoffen nur Profit schlagen will?

Das ist ein häufiges Argument. Ich bin Arzt und impfe, habe aber nie einen Druck von Seiten der Pharmaindustrie gespürt, zum Beispiel, dass ich dieses Medikament und nicht jenes nehmen solle. Dass ich gute Impfstoffe zur Hand habe, ist auch ein Verdienst der Pharmaindustrie, da sie in diesem Bereich die Forschung übernimmt. Klar verdienen sie auch daran. Aber die Forschung ist für Universitäten unter wirtschaftlichen Aspekten nicht mehr leistbar, so dass wir auf die Pharmaindustrie angewiesen sind. Dass Quecksilber aus den Impfstoffen entfernt wurde, ging auf Ergebnisse aus Forschungen der Pharmaindustrie zurück. Die Impfstoffe sind also mit deren Hilfe wesentlich sicherer und besser geworden.

Was ist mit Nebenwirkungen und möglichen Folgeschäden durch Impfungen?

Was den Menschen emotional daran hindert sich zu impfen ist der Gedanke, dass ich in einen gesunden Körper einen potentiell gefährlichen Akt setze. Impfen ist logisch nicht frei von Nebenwirkungen und kann auch schwere Nebenwirkungen verursachen. Aber unser Leben ist in einem Spannungsfeld von Risiken und natürlich müssen wir auch bei Impfungen über Risiken sprechen. Wenn ich zum Beispiel vergleiche in welchem Risikobereich auf der einen Seite ein Impfschaden und auf der anderen Seite Autofahren liegt, dann wird die Sache schon viel klarer. Dass ich bei einem Autounfall verletzt werde oder sterbe liegt bei einem Risiko von ca. 1 : 30.000. Das ich einen Impfschaden bekomme, an dem ich schwere körperliche Folgenschäden habe, liegt bei 1 : 1 - 2 Millionen. Keiner überlegt, ob er sein Kind im Auto mitnimmt, aber viele haben Schwierigkeiten ihre Kinder zu impfen, obwohl das Risiko wesentlich höher ist.

Was für ein Risiko wäre ein Ausbruch von Masern für die Gesellschaft?

Masern werden meistens als banale Kinderkrankheit abgetan, dem ist aber nicht so. Ein Masernfall von Tausend geht schief, das heißt, das Kind erleidet so schwere Gehirnentzündungen, dass es sterben oder schwere Folgeschäden davon tragen könnte. Das ist statistisch gesehen ein sehr hohes Risiko. Da müssen wir uns einfach auf die Medizin verlassen und die Zahlen ernst nehmen.

Was wünschen Sie sich als Kinderarzt für die Zukunft, was das Thema Impfen angeht?

Ich finde Kampagnen wie die des Sanitätsbetriebes sehr gut, weil sie eine Diskussion anstoßen und sich Leute aktiv Informationen suchen. Hier haben wir zwar die Gefahr, dass sich die Leute Informationen an der falschen Stelle suchen und in die Zwänge von Populisten geraten, die das ausnutzen. Aber ich hoffe doch, dass sich die Eltern an Vertrauenspersonen wenden und sich auf die sichere Seite der Information begeben. In meinen Augen ist der Kinderarzt derjenige, der über Impfungen aufklären kann und das wissenschaftlich fundierte Hintergrundwissen hat. Impfungen sind eine der besten Möglichkeiten, sich und seine Kinder gegen Krankheiten zu schützen und sie können Leben retten. Ich bin selber Vater und habe meine Kinder gegen alles geimpft, was die Impfprävention vorgibt, ebenso impfe ich mich auch selber regelmäßig.