Politik | Transit-Verkehr

Kompatschers „Slotterei“

Italien und Deutschland wollen freien Warenverkehr auf dem Brenner-Korridor, Österreich ein intelligentes Lkw-Leitsystem und Südtirol setzt auf das Slot-System.
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Foto: Salto.bz
Was die wichtigste Alpenverbindung betrifft, scheint jedes Land und jede Region ihr eigenes Süppchen zu kochen und zu versuchen, die eigenen Pläne durchzudrücken. Im vergangenen Dezember hat Landeshauptmann Arno Kompatscher unter großer medialer Aufmerksamkeit die Machbarkeitsstudie zum SLOT-System für die Brenner-Autobahn vorgestellt. Wie im Schiffs-, Flug- oder Zugverkehr sollten – in einem ersten Schritt für die Lkw, im zweiten Moment auch für die Pkw – Passagen über die Brennerstrecke gebucht werden können. Walter Obwexer, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Innsbruck, bestätigte, dass die rechtliche Umsetzbarkeit dafür gegeben sei. Voraussetzung ist, dass der freie Warenverkehr nicht behindert wird und sich das SLOT-System an der oberen Kapazitätsgrenze orientiert. Die Begründung für eine Einführung folgt der Argumentation, dass die vorhandenen Kapazitäten mit einem SLOT-System effizienter genutzt werden können. Regulierende Maßnahmen würden ergriffen, wenn die Kapazitätsgrenze erreicht wird, insofern sollte das Regulierungssystem als Erweiterung des in Kufstein eingerichteten Dosiersystems angesehen werden. Diese Maßnahme müsste allerdings im Rahmen eines Staatsvertrages zwischen den beteiligten Staaten – Italien, Deutschland und Österreich – geschlossen werden, eine Forderung, die kürzlich von den drei Landeshauptleute der Euregio, Arno Kompatscher, Maurizio Fugatti und Anton Mattle, erhoben wurde.
 
 
 
 
Von dieser „Slotterei“ hält Transit-Gegner Fritz Gurgiser allerdings gar nichts. Der Brenner sei ja kein Hafen oder Flugplatz, wo starre Systeme eingerichtet werden, sondern ein „fließender Alpenübergang, an welchem derzeit der Verkehr mit Urgewalt geschützt, Anrainerschaft, Lebens- und Regionalwirtschsftsraum ungeschützt bleiben“. Einen grundlegenden Fehler ortet der Tiroler Transit-Gegner in der rechtlichen Umsetzbarkeit, denn das SLOT-System würde sich an der Kapazitäts-Höchstgrenze orientieren, eine Verschiebung des Verkehrs in die Nachtstunden und damit ein Kippen des Tiroler Nachtfahrverbots wäre die Folge, was schlussendlich zu noch mehr Verkehr führen würde. „Mit dem SLOT-System wird die eigene Verantwortung genau dort hin verlagert, wo seit Jahrzehnten alles getan, geduldet und forciert wird, um den Lkw im Wettbewerb mit der Schiene besser zu stellen: billigste Mauten, Auslagerung von Fahrzeugen und Fahrern in EU-Oststaaten, keine Fahrverbote zum Schutz der Anrainerschaften, Quersubvention von Straßenschäden durch Pkw-Maut in Italien oder Bundesbudget in Deutschland bis hin zur Missachtung von Europarecht und nationalem Recht zum Schutz der Gesundheit und existenziellen Grundwerten“, so Gurgiser, der betont, dass die politische Strategie, das Transitproblem von einer Politik-Schulter auf die nächste anstatt von der Straße auf die Schiene oder weit kürzeren Strecken zu verlagern, gescheitert sei – da nütze auch diese „Slotterei“ nichts.
 
 
 
 
Gurgiser verweist dabei auf den 10-Punkte-Plan, der zwischen Deutschland und Österreich im Juli 2019 in Berlin unterzeichnet wurde. Darin vereinbarten beide Länder unter anderem die Einführung eines „intelligenten Lkw-Leitsystem 2.0“. In enger technischer Kooperation sollte vom Brenner bis nach München ein intelligentes und automatisiertes Lkw-Leitsystem mit Zählsensoren, Software, Schnittstellen und Kommunikation eingeführt werden, „um die verkehrlichen Auswirkungen in Bayern auf das im Rahmen der Maßnahme unvermeidliche Minimum zu reduzieren und gleichzeitig die Verkehrs- und Versorgungssicherheit in Tirol zu gewährleisten“. Berücksichtigt werden sollte dabei auch eine Zuleitung bzw. die Informationsbereitstellung zu den Bahnverladestellen. Die Tiroler Blockabfertigung sollte so lange bestehen bleiben, bis das neue automatisierte, grenzüberschreitende Lkw-Leitsystem es nicht mehr notwendig macht. Die Einführung dieses Systems wäre eigentlich für den 1.1.2020 vorgesehen gewesen – auch Italien hätte in der Umsetzung dieses umfassenden Maßnahmen-Pakets miteingebunden werden sollen. Der 10-Punkte-Plan ist mittlerweile offenbar in der Schublade verschwunden, stattdessen tritt Südtirol mit einem eigenen Vorschlag zu einem Leitsystem auf, das mit einem Staatsvertrag eingeführt werden soll – sollte es jemals dazu kommen, werden wohl noch Jahre vergehen.
 
 
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G. P. Mo., 06.02.2023 - 14:11

Das Slot-System an sich und dann noch ein Staatsvertrag zwischen drei Staaten ... in den nächsten zehn Jahren sicherlich nicht umsetzbar.

Mo., 06.02.2023 - 14:11 Permalink
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Albert Mairhofer Mo., 06.02.2023 - 14:37

Der Verkehrsexperte Prof. Knoflacher hat schon vor mehreren Jahren zum Ausdruck gebracht, dass der Gütertransport auf der Bahn nicht mehr zeitgemäß sei. Da genügt ein Google-Earth-Blick auf die riesigen nicht mehr genützten Eisenbahnareale in den Städten, die für den Verschub erforderlich waren. Aber für die Bahn gilt auch dies, auch wenn sie es noch nicht wahrhaben will: "Der heutige ÖPNV ist hoffnungslos überaltert. Er hat den Anschluss verloren. Er ist unattraktiv geworden. Er ist wirtschaftlich ruinös. Was die Bürger*innen bräuchten, um das Auto stehen zu lassen, einen echten Nulltarif, kann er nicht leisten.

Es muss also dringend etwas Neues kommen. Elektrische Automobile sind nicht die Lösung. Wir brauchen technisch und konzeptionell revolutionäre Metros für mittelgroße Städte und ihr Umland. Keine Straßenbahn (zu altbacken), keine Underground (zu teuer), sondern eine Wiederentdeckung und Neuerfindung der Schwebebahn in der +1 Ebene. Lassen Sie uns »Uberground« denken!

Kreisverkehre und kreuzungsfreie Straßen ermöglichen die Verteilung der transportierten Güter im Fließen – ohne zeit- und kostenaufwändiges Rangieren. Ein LKW fährt vom Acker oder vom Wald direkt in die Fabrik und umgekehrt! Deshalb gilt es, einen ähnlichen Umbau der Straßen und Autobahnen vorzunehmen und den Verkehr durch die Elektrifizierung und Automatisierung sicherer, umwelt- und menschengerechter zu machen. Welch ein Reichtum an Entwicklungsmöglichkeiten in allen Städten, Ortschaften und Tälern: Eine zweispurige Hochgeschwindigkeits-Hängebahn und elektrifizierter Güterverkehr auf Autobahnen und Straßen zum Greifen nah!! http://www.tirol-adria.com http://www.sunglider.eu

Mo., 06.02.2023 - 14:37 Permalink