Gesellschaft | salto Gespräch

„Alex Schwazer ist ein Bauernopfer“

Heinz Gutweniger tritt nach 27 Jahren als Präsident des CONI Bozen ab. Das Abschieds-Interview über Schwazer, Corona und Südtiroler Sportler unter italienischer Flagge.
Heinz Gutweniger
Foto: (c) Othmar Seehauser

Heinz Gutweniger beendet eine Ära: Der Sportfunktionär tritt nach 27 Jahren als Präsident des CONI Bozen ab und überlässt die Amtsgeschäfte fortan seinem Nachfolger Alex Tabarelli de Fatis. Im Abschieds-Interview spricht Gutweniger über seine Anfänge als Präsident, gibt seine Meinung zum Hymnen-Skandal rund um Gerhard Plankensteiner bei Olympia 2006 in Turin ab, erörtert den Sinn und Unsinn der Corona-Maßnahmen im Sport und erklärt, wieso Alex Schwazer wohl ein Bauernopfer gekränkter Russen gewesen sein könnte.

Salto.bz: Herr Gutweniger, nach 27 Jahren Präsidentschaft, welches Fazit ziehen Sie? 

Heinz Gutweniger: Das ist eine lange Zeit. Es gab viel Positives und Negatives, aber zu viel, um auf alles einzeln einzugehen, besonders auf sportlicher Ebene. Aber daher gibt es auch vieles, vor allem politisch, was es zu erzählen gibt. 

Inwiefern hat sich der Sport in Südtirol unter Ihrer Amtszeit weiterentwickelt? 

Als ich vor 27 Jahren das CONI Bozen übernommen habe, kannte man die Institution noch nicht. Einige Verbände haben sich darum gekümmert, das Komitee selbst war kaum aktiv. Es hatte sehr viel Geld zur Verfügung, da es vom Totocalcio finanziert wurde. Ein Drittel der gespielten Summen hat das CONI erhalten, ein Drittel wurde versteuert, das letzte Drittel wurde als Preisgeld ausbezahlt. Daher konnte man finanziell auf einen großen Haufen Geld zurückgreifen. Das wurde hauptsächlich in Jugend und die Nationalmannschaften investiert. Seitdem sind wir aber langsam gewachsen, auch dank eines großartigen Teams, und weil wir an der Basis, dem Schulsport, angesetzt haben. Ich trete daher mit gutem Gewissen in den Ruhestand. Einen kleinen Makel haben wir aber immer noch, die Transparenz der Tätigkeiten des CONI.

2017, nachdem Sie die Wahl gegen Luigi Spagnolli ganz knapp gewonnen hatten, haben Sie in einem Interview mit Christoph Franceschini gesagt, dass es noch laufende Projekte gibt, deren erfolgreichen Abschluss Sie Herrn Spagnolli nicht zugetraut hätten. Übergeben Sie dieses Mal eine Tabula rasa? Oder gibt es noch einiges, was der neue Präsident Alex Tabarelli de Fatis weiterführen muss?

Einige Projekte müssen noch abgeschlossen werden, aber ich sehe dieses Mal kein Problem. Mein Nachfolger Tabarelli de Fatis ist ein Mann, der viel vom Sport versteht, motiviert ist und gute Beziehungen hat. Ich bin zuversichtlich, dass alle offenen Projekte unter seiner Führung erfolgreich abgeschlossen werden. 

Die Frauenquote ist in aller Munde. Beim letzten Komitee gab es nur zwei Frauen bei sieben Mitgliedern, nun sind es wieder zwei. Woran liegt das? Ist Sport nach wie vor eine zu große Männerdomäne?  

Laut Statut müssen bei den sieben Mitgliedern mindestens zwei Frauen im Komitee sitzen. Und wir können uns glücklich schätzen, zwei Frauen gefunden zu haben. Bei uns geht es nicht darum, ob Frauen besser oder schlechter geeignet sind – bei uns liegt das Problem darin, Frauen zu finden, die dieses Ehrenamt ausführen wollen. Es ist nämlich sehr zeitaufwendig und wird nicht entlohnt. Dazu kommt, dass der Frauensport erst in den letzten Jahren besser wahrgenommen wird, er wurde früher als nicht attraktiv genug erachtet. Mittlerweile haben die Damen in der öffentlichen Wahrnehmung unglaublich aufgeholt. Nehmen wir den Biathlonsport: Da dreht sich 90 % um die Frauenmannschaft, was auch auf die Erfolge von Dorothea Wierer zurückzuführen ist.

Bei uns geht es nicht darum, ob Frauen besser oder schlechter geeignet sind – bei uns liegt das Problem darin, Frauen zu finden, die dieses Ehrenamt ausführen wollen.

Die Frauenquote ist in der Tat ein streitbares Thema – wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist es bis zu diesem Problem beim CONI gar nicht gekommen. Ihnen fehlt schlicht das Angebot. 

Ganz genau. Es ist leider immer noch so: Eine berufstätige Frau hat weniger Zeit als ein berufstätiger Mann. Beim CONI gibt es unzählige Sitzungen, Konferenzen, Projekte, die betreut werden müssen und vieles mehr. Daher tun wir uns schwer, Frauen für diese Positionen zu finden.

Wenn man sich das Komitee ansieht, merkt man – mit Verlaub, – dass es an jungen Mitgliedern fehlt. Symptomatisch dafür ist, dass es bis vor Kurzem nicht einmal eine Website des CONI Bozen gab. Fehlt dem Komitee nicht eine Brise frischer, jugendlicher Wind? 

Da haben Sie recht. Wir haben uns nach der letzten Wahl sofort umgetan und die Website aufsetzen lassen. Es gibt aber auch ein großes Aber: Diese Website muss auch betreut werden und dafür braucht es junge Menschen, die das Können und auch Freude daran haben – denn die Arbeit beim CONI ist ehrenamtlich, wir können nichts zahlen. Aber da wird sich in Zukunft eine Lösung finden lassen. Mit unserem neuen Präsidenten haben wir glücklicherweise jemanden, der sich bestens im digitalen Bereich auskennt.

Ein spezieller Zeitpunkt in Ihrer Karriere waren die Olympischen Winterspiele 2006 in Turin, denn gerade dort geriet Südtirols Sport für eine kurze Zeit in die Schlagzeilen: Eine Journalistin der RAI hat sich dazu hinreißen lassen, den Rodler und Bronzemedaillengewinner Gerhard Plankensteiner nach dem „Inno di Mameli“ (die italienische Nationalhymne, Anm. d. Red.) zu fragen, worauf er angemerkt hat, er kenne das Lied nicht. Die nationale Presse und Politik witterten sofort einen Skandal. Wie haben Sie damals im CONI darauf reagiert? 

Wir hatten einige Sitzungen und Gespräche. Wir haben Mitteilungen an die Verbände geschickt, in denen wir darauf aufmerksam gemacht haben, dass man in diesem Kontext ein wenig besser aufpassen muss. Ich schicke voraus: Wir haben in Südtirol zwar eine Sportautonomie, die Verbände sind aber trotzdem Mitglieder des Nationalen Olympischen Komitees. International muss Südtirol als Italien antreten, sonst könnten die Sportler nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen.  
In Südtirol herrscht eine spezielle Situation, das ist uns allen klar. Das erste Mal wurde ich mit diesem Thema konfrontiert, als die Rodlerin Gerda Weissensteiner bei Olympia 1998 in Nagano als Fahnenträgerin bestimmt wurde. Das hat hohe Wellen geschlagen, besonders – und ich denke auch zurecht – aus den Reihen von Eva Klotz und Andreas Pöder. Mir wurde die Schuld gegeben, dass ich das nicht unterbunden hatte und dass ich mich dafür einsetzen müsste, dass Südtirol unter eigener Flagge einmarschieren und teilnehmen kann. In Gesprächen habe ich dann klar erklärt, wieso es damals – und auch aktuell – nicht möglich ist, so etwas durchzusetzen. Das IOC verlangt, das man unter der Flagge eines anerkannten Staates einmarschiert. Die Hymne jedoch mitzusingen, das ist keine Pflicht. Plankensteiner und sein Partner, Oswald Haselrieder, haben hier in ihrer Unerfahrenheit und aufgrund der sprachlichen Barriere eine unglückliche Antwort gegeben. Aber letztendlich hat sich das Thema – auch ob der sportlichen Erfolge, die Südtiroler Sportler für Italien eingefahren haben – schnell erledigt. 

Sie stört die Vorstellung eines Südtiroler Teams bei Olympia aber auch nicht, wenn ich Ihre Worte richtig interpretiere. Finden Sie, dieser Gedanke ist noch zeitgemäß? Immerhin sind mittlerweile 100 Jahre vergangen und die Zugehörigkeit zu Italien ist auch an der deutschsprachigen Bevölkerung kulturell nicht spurlos vorbeigegangen.  

Sie wissen selbst, wie schwierig es ist, diese Frage zu beantworten, und es kaum eine richtige Antwort geben kann, die jeden zufriedenstellt. Wäre das Land Südtirol imstande, alle Athletinnen und Athleten unter seine Fittiche zu nehmen – wie es momentan die Polizei, das Heer und so weiter machen – dann hätte ich nichts dagegen. Fakt ist, dass momentan nur die Teilnahme mit italienischer Flagge möglich ist und das wird bis auf Weiteres auch so bleiben. Man wird sehen, was die Zukunft bringt. Das ist eine politische Angelegenheit, die nicht auf dem Rücken der Athleten ausgetragen werden darf. Wenn sich ein Athlet weigert, die Flagge zu tragen oder die Hymne zu singen, ist das seine persönliche Sache. Es ist nicht verpflichtend. Den Sportlern geht es mehr darum, bei dem Event schlechthin, den Olympischen Spielen, mitzumachen – wenn sie zusätzlich die Fahne tragen dürfen, ist das eine große Ehre. Wie man damit umgeht, muss dann jeder selbst wissen. Nehmen wir ein rezentes Beispiel, Dorothea Wierer. Sie hat öffentlich Aussagen getätigt, die nicht bei jedem in Südtirol gut angekommen sind. Aber wieso? Das ist eine persönliche Einstellung und die muss respektiert werden. 

Wenn sich ein Athlet weigert, die Flagge zu tragen oder die Hymne zu singen, ist das seine persönliche Sache.

Haben die Sportlerinnen und Sportler wirklich die Wahl? Auch wenn das nirgends geschrieben steht, dass man die Flagge nach einem Gewinn herumtragen und die Hymne singen muss, der Fall Plankensteiner spricht Bände. 

Meines Wissens gibt es auf Verbandsebene absolut keine Verpflichtung. Die Ausrüstung muss die von der Nationalmannschaft sein und sie darf nicht modifiziert werden, also den Schriftzug oder das Wappen verdecken. Das wäre aber auch lächerlich, man kann heutzutage auch über den Dingen stehen. Man kann trotzdem ein guter Südtiroler sein. Den Zwist zu forcieren, bringt niemanden weiter.  

Wie gut man eigentlich mit diesem Thema umgehen kann, hat die Bewerbung von Antholz, der Eiswelle Bozen und dem Eisschnelllaufring in Klobenstein als mögliche Austragungsorte für Innsbruck 2026 gezeigt, bevor man sich in Tirol zurückgezogen hat. Auch das hätte Konflikte schüren können. Rom hat sich da aber sehr kooperativ gegeben. 

Wir hatten damals mehrere Treffen mit dem Präsidenten vom nationalen CONI, Giovanni Malagò. Vonseiten Roms hätte man uns zu keiner Zeit Steine in den Weg gelegt. Gescheitert ist es letztendlich daran, dass Innsbruck sich zurückgezogen hat und weil wir in einigen Belangen auch nicht die infrastrukturellen Voraussetzungen dafür gehabt hätten. Aber das OK von Rom und die finanzielle Hilfe des CONI hatten wir sicher. 

Nun ist Antholz als Austragungsort für die Biathlonwettbewerbe bei Olympia in Mailand und Cortina 2026 nicht frei von Kritik. Die Grünen bemängeln besonders das Konzept hinter dem Bau neuer Infrastrukturen für die Mobilität. Nehmen wir tatsächlich das Verbauen unserer Umwelt in Kauf oder ist alles nicht so schlimm? Die Landesregierung hätte schon des Öfteren aufgezeigt, dass grüne Mobilität Priorität genießt. 

Grundsätzlich gibt es das Problem mit der Verbauung nicht mehr, weil nur noch Antholz als Austragungsort infrage kommt. Da steht schon alles, Olympia könnte morgen beginnen. Aber die Zufahrtswege müssen noch verbessert werden. Dies sollte aber unabhängig von den Olympischen Spielen passieren, die Verkehrssituation im Pustertal ist so oder so nicht mehr tragbar. Außerdem sind die Verbesserungen im Bereich Mobilität nachhaltig, auch nach 2026. Dass die Opposition sich hier einschaltet, passt aber, dafür ist sie ja da. Stellen Sie sich vor, wenn man alles nur noch durchwinken würde.

Olympia könnte morgen beginnen. Aber die Zufahrtswege müssen noch verbessert werden. Dies sollte aber unabhängig von den Olympischen Spielen passieren, die Verkehrssituation im Pustertal ist so oder so nicht mehr tragbar. 

Aber Opposition arbeitet nicht immer konstruktiv. Gerade bezüglich des Pustertals sind die Problematiken mehr als offensichtlich. Da könnte kein Straßenbauprojekt so schädlich sein, dass es die aktuelle Situation in den Schatten stellt.  

Nichtsdestotrotz ist die Kritik wichtig. Ideal wäre es, wenn die Opposition auch Alternativen vorschlagen würde, das fehlt leider ganz oft. Kritisieren kann jeder, besser machen nicht. 

Das Südtiroler Sportdrama schlechthin hat nun sein Ende gefunden: Alex Schwazer ist letzte Woche von seinen Dopingvorwürfen von einem Richter freigesprochen worden. Außerdem wurden vonseiten des Richters schwerwiegende Vorwürfe gegenüber der Weltantidopingagentur WADA und dem Weltleichtathletikverband World Athletics erhoben. Welche Rolle hat das CONI, besonders hier in Bozen, in dieser Angelegenheit gespielt? 

Das CONI war relativ machtlos. Wir haben zwar alles in unserer Macht stehende getan, dass ein reibungsloser Ablauf gewährleistet wurde, Einfluss auf das Ergebnis hatten wir zu keiner Zeit. Hier war der einzige Ansprechpartner die WADA, eine unglaublich mächtige Organisation. Die WADA ist komplett unabhängig und muss sich vor nichts und niemandem rechtfertigen, zumindest auf dem Papier. Was innerhalb ihrer Mauern wirklich vorgeht, weiß ich nicht. Man kann nur vermuten, solange keine Beweise vorliegen. Die gibt es jetzt offenbar: Anscheinend hat die Agentur gemeinsam mit dem Weltleichtathletikverband bei Alex Schwazer die Finger im Spiel gehabt. Die einzige Institution, die vielleicht etwas machen hätte können, wäre das Internationale Olympische Komitee IOC gewesen.

Die WADA ist komplett unabhängig und muss sich vor nichts und niemandem rechtfertigen.

Klar, Sport und Politik sollten getrennt sein. Aber nun hat die Judikative eines souveränen Staates Schwazer für unschuldig befunden und schwere Vorwürfe gegen WADA und WA erhoben. Stehen diese beiden Institutionen so weit über dem Gesetz, um eigenmächtig zu entscheiden, dass Alex Schwazer trotz Freispruchs auf sportlicher Ebene nicht rehabilitiert wird und die Dopingsperre nicht aufgehoben wird? 

Die Sperre wird laut Mitteilung der WADA sicher nicht aufgehoben  – und da kann nicht einmal das IOC etwas dagegen tun. Würde die WADA korrekt handeln, würde sie den Fall neu aufrollen. Aber würde man das Urteil nun aufheben, dann wäre das ein Eingeständnis, einen Fehler gemacht zu haben – das wird nicht passieren. 

Tun sie es aber nicht, dann geben sie genau das Bild ab, das man sich von der WADA in den letzten Jahren gemacht hat; es wird in dieser Agentur offenbar mit totaler Willkür gehandelt. Und die WADA wird ja auch nur vom IOC beauftragt. Wieso greift da der Auftraggeber nicht ein? Warum will man nicht, dass dieser Sportler wieder Olympia bestreitet? 

Ich wiederhole mich: Das wäre ein Eingeständnis der Weltantidopingagentur, dass man entweder falsch gehandelt hat oder gar aktiv korrumpiert hätte. Auch das IOC müsste sich vorwerfen lassen, dass man sich nicht genug bemüht hätte, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Das CONI hat so oder so nicht die Macht, in diesem Fall etwas zu bewegen. Und das IOC könnte nicht einfach herkommen und eine Institution austauschen, die von über 200 Mitgliedsstaaten abgesegnet wurde.

Wäre es ein Einzelfall, wäre es verständlich. Aber die WADA hat vor Jahren bei Lance Armstrong, beim Dopingskandal um Russland und nun bei Schwazer total versagt oder gar selbst die Finger im Spiel gehabt, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wäre es nicht im Interesse der Agentur, mit einem Eingeständnis vielleicht das eigene Image wieder aufzupolieren. 

Es müssten eher einige Personen ausgetauscht werden. Die Institution als solche braucht es unbedingt und sie wird meiner Meinung nach auch bleiben. Man müsste den Fall unter die Lupe nehmen und jene zur Rechenschaft ziehen, die für diese Fehltritte verantwortlich sind. 

Wer könnte denn überhaupt ein Interesse haben, die Karriere eines Sportlers zu ruinieren, der noch dazu in einer Randsportart antritt? 

Meine Meinung: Ich würde hier von einem Revanchefoul vonseiten Russlands sprechen, Schwazer ist eine Art Bauernopfer. Russland ist gekränkt und brauchte etwas, um nicht als der alleinige Dopingsünder dazustehen. Schwazer ist immerhin Olympiasieger, eine Sperre hat große Signalkraft. Ansonsten leuchtet mir kein Szenario ein, wieso jemand Schwazer so in die Mangel genommen hat.

Ich würde hier von einem Revanchefoul vonseiten Russlands sprechen, Schwazer ist eine Art Bauernopfer.

Vielleicht jemand innerhalb des Verbandes in Italien? Jemand, der Schwazer seinen ersten Fehltritt 2012 nicht vergeben hat oder Angst hatte, dass er wieder zu stark würde? 

Diese Theorie lehne ich absolut ab. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der italienische Verband solch eine Macht hätte und dass dort so zwielichtige Dinger ablaufen, um einen Sportler auf diese Art und Weise zu schaden. Das will ich nicht glauben. Alex Schwazer hat – aus meiner Sicht vernünftigerweise – einen Start in Tokio 2021 abgelehnt (Alex Schwazer hat mittlerweile angekündigt, doch einen Start bei Tokio 2021 anzustreben, Anm. d. Red.), auch wenn die Sperre aufgehoben worden wäre. Vernünftigerweise deshalb, da er körperlich wohl noch fit ist, aber mental wäre das eine unglaubliche Belastung nach so einer schlimmen Zeit.

Sie haben sich erst kürzlich mit dem CONI-Präsidenten Malagò und Landeshauptmann und Sportlandesrat Arno Kompatscher getroffen. Wurde da auch das Thema Sport während Corona aufgegriffen? Ist es nicht absurd, wie mit dem Sport im Zuge von Corona umgegangen wird?

Absurd ist fast schon zu schwach, um die Situation zu beschreiben. Wir haben aber im Laufe der Zeit zahlreiche Gespräche mit dem Landeshauptmann geführt, ihm Vorschläge gebracht, die er sich auch angehört hat. Wir haben versucht zusammenzuarbeiten, was von seiner Seite sehr geschätzt wurde. 

Wie viel nimmt der Landeshauptmann von dieser Zusammenarbeit aber an?  

Er nimmt sie an, aber er muss sich an Rom halten. Auch wenn er sagen würde, etwas sei grün, aber Rom sagt, es sei rot, dann ist es rot. Da sind ihm die Hände gebunden. Soll er etwa festlegen, für Sport ist alles grün, der Rest wird rot? Er kann nur das Bestmögliche aus den Rahmenbedingungen, die Rom ihm liefert, herausholen. Nehmen wir die Geschichte mit dem Skate-Park auf den Talferwiesen in Bozen: Dieser ist mittlerweile offiziell eine Sportanlage. Trainingstätigkeit ist auf Sportanlagen aber verboten, außer für Wettbewerbe auf nationaler und internationaler Ebene. Nun dürfen die Skater nichts mehr machen, aber gleich daneben auf dem Kleinfeldfußball- und Volleyballplatz treffen sich die Menschen am Wochenende und bilden Menschenansammlungen. Da kann man froh sein, wenn die meisten eine Maske tragen. Das versteht die Bevölkerung nicht, das verstehen wir Funktionäre nicht, das versteht niemand. Aber es ist nun einmal so, man kann nichts dagegen tun, das sind die Vorgaben.

Aber wie begründet man diese Bestimmungen? Nehmen wir einen Sport wie Tennis her, bei dem der Abstand schon aufgrund der Regeln automatisch eingehalten wird. Oder Fitnessstudios? Es gibt wohl keinen Ort, an dem man das Einhalten der Hygieneregeln besser kontrollieren kann. Dort wurden schon vor Corona die Geräte nach dem Benutzen desinfiziert und man kann genau nachprüfen, wie viele Menschen ein- und ausgehen. Wieso bewegt sich in Rom in diese Richtung so wenig, während wir von Geschäftsöffnungen sprechen, wo in vielen Situationen schnell zu viele Menschen auf zu engem Raum sind? Erklären Sie uns bitte die Logik dahinter. 

Ich kann dazu leider wenig sagen – außer, dass man die Schuld hier nicht bei der Landesregierung suchen darf. Die Regeln kommen von Rom. Der Landeshauptmann sollte sich sehr wohl aber mehr auf die Expertise und Hilfe von Sportfachverbänden stützen; nichtsdestotrotz wäre er auch in diesem Fall in einem Dilemma: Kompatscher, selbst Sportler, sagt: „Ok, wir machen das nun auf“ – dann richtet er sich wieder gegen Rom. Und um ihr Beispiel Tennis aufzugreifen, es geht nicht um das Spiel selbst: Erstens, man spielt im Winter in einer Halle. Zweitens, es kommen meistens mehrere Menschen und bilden Ansammlungen – der springende Punkt sind immer die Menschenansammlungen. 

Da kommt aber der nächste Widerspruch, dass man den Menschen mit den geschlossenen Sportanlagen große Flächen nimmt, auf denen man gegebenenfalls ausweichen könnte. 

Es ist in der Tat unlogisch. 100.000 Bozner können auf der Oswald- oder Guntschnapromenade willkürlich spazieren gehen und sich durch die Menge schlängeln, aber 20 Kinder nicht unter Aufsicht auf einem knapp ein Hektar großen Fußballfeld unter Einhaltung der Abstände Sport betreiben. Aber auch hier wird wieder mit den Menschenansammlungen argumentiert, wobei die Kinder den ganzen Vormittag mit anderen Kindern in der Schule sitzen, wenn diese offen haben. Ich will den Landeshauptmann nicht verteidigen, aber in diesem Fall muss man Verständnis für sein Handeln aufbringen, ihm sind di Hände gebunden. 

100.000 Bozner können auf der Oswald- oder Guntschnapromenade willkürlich spazieren gehen und sich durch die Menge schlängeln, aber 20 Kinder nicht unter Aufsicht auf einem knapp ein Hektar großen Fußballfeld unter Einhaltung der Abstände Sport betreiben.

Nun treten Sie nächste Woche endgültig ab. Was wird Heinz Gutweniger nun machen? 

Ich werde natürlich dem CONI weiterhin beratend zur Seite stehen, falls das gewünscht wird. Ich will mich jedoch nicht in die Belange des Komitees einmischen. Man kennt das Bild einer Führungskraft, die nicht loslassen will, dieses Bild will ich aber nicht abgeben. Endlich werde ich mich, unter Anleitung meiner sehr aktiven Ehegattin, mehr um meine eigene körperliche Fitness kümmern können, ich freu mich schon sehr darauf. (lacht) 

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Quo Vadis Südtirol Mo., 08.03.2021 - 14:56

Wir sollten uns an Puerto Rico, Niederländisch Antillen, Amerikanisch Samoa, Cayman, Cookinseln etc. ein Beispiel nehmen. Alles keine souveränen Staaten, aber selbständige Mitglieder des IOC. Ich finds toll. Desto weniger nationalstaatlich, desto besser. Sonst wird Sport und Politik immer vermischt werden. Weg mit Fahnen und Hymnen beim Sport!

Mo., 08.03.2021 - 14:56 Permalink