Gesellschaft | Migrations-Tagung

Hilfe zur Selbsthilfe

Warum gibt es in Südtirol Vereine eigens für Migrantinnen? Vier Frauenvereine mit wichtiger Integrationsleistung im Überblick.
frauen-und-migration-
Foto: upi
Als zu Beginn der 1990er-Jahre am Pasqualihügel in der Nähe der Bozner Reschenbrücke viele neu angekommene Marokkanerinnen in einer Fertighaussiedlung untergebracht waren, machten sich einige Südtiroler Frauen auf den Weg dorthin, um sie kennenzulernen. Aus diesem ersten Kontakt entstand 1995 ein Frauenverein. Für den Vereinsnamen wählten die Gründungsmitglieder das arabische Wort für Frau, nämlich Nissà, und komplettierten diesen mit der deutschen und italienischen Version desselben Begriffs: Donne Nissà Frauen war geboren und kann mittlerweile seine 22-jährige Vereinsaktivität feiern.
Der Verein war einer der ersten in Südtirol, dessen Zielgruppe Eingewanderte waren.
Gemeinsam mit Kurt Gritsch erforschte ich im Rahmen des Projektes „(Arbeits-)Migration in Südtirol seit dem Zweiten Autonomiestatut“ (geleitet von Eva Pfanzelter und Dirk Rupnow am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck) das Vereinswesen von Migrantinnen und Migranten in Südtirol. Mit 29 Vertreterinnen und Vertretern von Vereinigungen führten wir Video-Interviews, bedienten uns also der Methode der Oral History, um Einblicke in das Vereinswesen und die Lebenswelten von Eingewanderten in Südtirol zu erhalten.
Die Tatsache, dass vier der 29 Vereinigungen Frauenvereine sind – das sind immerhin fast 14 Prozent – veranlasste mich, diese genauer in den Blick zu nehmen und unter anderem der Frage nachzugehen, warum überhaupt ein Bedarf an Vereinen speziell für weibliche Zugewanderte besteht. Neben Donne Nissà Frauen (Bozen) stehen Impronta di Donna (Bozen), Armonia Latina (Brixen) und die Frauenwerkstatt Marieta (Mühlbach) im Fokus meiner Betrachtung.
 

„Risikogruppe“ für Diskriminierung?

 
Den vier Frauenvereinen ist gemein, dass sie sich alle der Solidarität mit Frauen verschrieben haben und diese – vorwiegend sind es Migrantinnen – in schwierigen Situationen unterstützen. Die Problemfelder sind dabei sehr vielfältig: Häufig wenden sich die Frauen mit Schwierigkeiten bei der Arbeits- und Wohnungssuche, aber auch im familiären Bereich an die Vereine. Warum benötigen viele Migrantinnen aber überhaupt diese Hilfe? Können Frauen – und Migrantinnen im Speziellen – als „Risikogruppe“ für Diskriminierung betrachtet werden?
 
Die Frage kann mit einem klaren Ja beantwortet werden. Zu diesem Schluss kommen auch die Elena Laurenzi und Patrizia Randini in ihrem Forschungsbericht zu „Mehrfachdiskriminationen“ Darin halten sie fest, dass die Diskriminierungserfahrung von Migrantinnen in verschiedenen Bereichen (z. B. Arbeit, Ausbildung und Umschulung, aber auch Gesundheitsschutz und Familie) weder von immigrierten Männern noch von autochthonen Frauen gleichermaßen geteilt werde. Im Konkreten bedeutet dies etwa, dass Migrantinnen – jeweils im Vergleich zu eingewanderten Männern, aber auch zu „einheimischen“ Frauen – häufiger in als minderwertig geltenden und schlechter bezahlten Sektoren arbeiten. Außerdem erleben viele Frauen innerhalb der Familie Unterdrückung. Mehrfachbelastungen in der Hausarbeit und Kindererziehung sowie eingeschränkte Selbstbestimmung waren in einigen Interviews, die Laurenzi und Randini im Rahmen der Studie führten, ebenso Thema.
Die Forschung ergab, dass besonders eingewanderte Frauen Diskriminierung bzw. „Mehrfachdiskriminationen“ ausgesetzt sind. Diese Ausgangssituation kann mit ein Grund dafür sein, dass eigens Vereine für Migrantinnen gegründet wurden, die es sich zur Aufgabe machten, Frauen in verschiedenen Lebensbereichen zu unterstützen.
 

Empowerment

 
Die Tätigkeitsfelder der Frauenvereine sind teilweise sehr unterschiedlich, auch wenn sie im Kern ähnliche Ziele verfolgen: Empowerment von Frauen, Hilfe zur Selbsthilfe und Integration. Donne Nissà Frauen weist einen hohen Professionalisierungsgrad auf. In vielen Fortbildungen und Supervisionen erarbeitete sich der Verein eigene Grundsätze, die den Mitarbeiterinnen die Richtung bei der Beratung von Migrantinnen weisen sollen. Dem Verein stehen mit fünf Teilzeitangestellten auch die meisten Ressourcen zur Verfügung – die anderen drei Frauenvereine, wie im Übrigen fast alle Migrant_innen-Vereine in Südtirol, setzen auf ehrenamtliche Mitarbeiter_innen. Die Donne Nissà bieten verschiedene Kurse zum Empowerment für Frauen an, sie betreiben ein interkulturelles Kinderzentrum und zwei interkulturelle Gemeinschaftsgärten. Auch Forschungsprojekte finden sich im Tätigkeitsprogramm des Bozner Vereins.
 
Impronta di Donna hat zwar auch schon einen Weiterbildungskurs angeboten, allerdings bloß einen Deutschsprachkurs im kleinen Rahmen für die eigenen Vorstandsmitglieder. Der Verein organisiert kulturelle Events, eines der Hauptziele ist es aber auch, die finanzielle Situation der Mitglieder aufzubessern. Da viele Frauen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben – sei es aufgrund fehlender Sprachkenntnisse oder der Nicht-Anerkennung von Studientiteln – setzte Impronta di Donna in den vergangenen Jahren auf Selbsthilfe und die Mitglieder schafften sich selbst Arbeitsmöglichkeiten innerhalb des Vereins. Einige Frauen bieten zum Beispiel Yoga- und Tanzkurse an.
 

Unkonventionelle Soforthilfe

 
Armonia Latina in Brixen betreibt seit einigen Jahren unkonventionelle Soforthilfe für Frauen in Notlagen, etwa nach einer Scheidung. Dadurch kämen viele Migrantinnen in finanzielle Schwierigkeiten, so die Vereinspräsidentin Luciane Pereira. Armonia Latina hilft außerdem bei der Arbeits- und Wohnungssuche und statt einen fixen Vereinsbeitrag zu zahlen, übernehmen die Mitglieder hin und wieder den Lebensmitteleinkauf für Frauen in Notlagen. Die Vereinstätigkeit ähnelt so mehr einem freundschaftlichen Netz, als einer klar strukturierten Organisation.
Die Frauenwerkstatt Marieta ist aus einem Nähcafé entstanden und versucht Integration durch gemeinsames Nähen und Upcycling zu erreichen. Die kleinen Nähkunstwerke der Frauen werden bei verschiedenen Gelegenheiten gegen eine Mindestspende abgegeben – noch ist eine Entlohnung der Näherinnen aber nicht möglich. Ein angestrebtes Ziel sei diese aber allemal.
„Wenn Integration gelingen soll, müssen sich die Einheimischen dazumischen.“
Auch wenn sich die vier Frauenvereine in ihren Tätigkeiten unterscheiden, so gibt es in ihrer Ausrichtung Gemeinsamkeiten, die sofort auffallen. Bei der Erforschung der 29 Migrantinnen-Vereine in Südtirol kamen wir zum Ergebnis, dass ungefähr ein Drittel davon ethnonationalen Charakter hat, also vorwiegend eine Nationalität im Verein vertreten ist. Ein Fünftel eint hingegen die Religion. Bemerkenswert ist hingegen, dass keiner der Frauenvereine diesen beiden Gruppen zuzurechnen ist. Religion spielt in keinem der hier behandelten Frauenvereinen eine Rolle und die vier sind Frauen aller Nationalitäten zugänglich.
Sandra Costa, die „Seele“ der Frauenwerkstatt Marieta, meint dazu treffend: „Es bringt nichts, Integration erreichen zu wollen, aber sich nur mit den Leuten aus dem eigenen Land zu treffen. Dann spricht man immer nur die eigene Sprache. Wenn Integration gelingen soll, müssen sich die Einheimischen dazumischen.“ Luciane Pereira von Armonia Latina erklärt ihrerseits, dass es nicht nötig sei, aus Lateinamerika zu kommen, um in ihren Verein aufgenommen zu werden. Eine Italienerin sei etwa dabei, weil sie aus Süditalien komme und sich in Südtirol manchmal wie eine Ausländerin fühle. Ihr selbst fehle in der neuen Heimat ein bisschen die Harmonie, die Wärme der Leute – bei Armonia Latina finde sie dieses Gefühl, erzählt Pereira.
Als Fazit kann festgehalten werden: Donne Nissà Frauen, Impronta di Donna, Armonia Latina und die Frauenwerkstatt Marieta übernehmen allesamt wichtige Funktionen für die Integration von Migrantinnen in Südtirol. Nicht zuletzt leisten sie damit auch einen wichtigen Beitrag für die gesamte Südtiroler Gesellschaft.
 
Julia Tapfer ist studentische Mitarbeiterin im Projekt „(Arbeits-)Migration in Südtirol seit dem Zweiten Autonomiestatut“ am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck.