Gesellschaft | Weltladen St. Ulrich

Der Freigeist

Von verschenkten und gegebenen Körben, von der Stadt ins Tal und von Kichererbsen hoch im Kurs
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Foto: Maria Lobis

Plötzlich stand Evelyn Bonatti Delago im Geschäft. Ihr Mann Andreas hatte mitten in St. Ulrich eine Buchhandlung eröffnet und brauchte ihre Unterstützung. Aus den geplanten drei Jahren wurden 15. Der Laden lief gut, allerdings waren die Öffnungszeiten an die Bedürfnisse der Touristen anzupassen und das Warenangebot an Schulbeginn, Weihnachten oder Fasching. Ihren Wunsch nach nachhaltigen und natürlichen Produkten konnte Evelyn im Geschäft nur begrenzt bedienen. Als sie 50 wurde, war für das Ehepaar Delago Schluss mit der Buchhandlung und für das Lokal ein Mieter gefunden.

Evelyn liebt handgeflochtene Körbe. Sie sind aufnahmefähig, ausdauernd und haben Flair. Die Beschreibung passt gut zur 62-Jährigen, die in Bozen geboren und seit 38 Jahren in St. Ulrich verheiratet ist. Fremd habe sie sich anfangs in Gröden gefühlt. Die Menschen im Tal strebten in vielem nach Perfektion, sagt die Frau, die das Bunte und Unbekannte liebt und sich Zwängen nur ungern unterwirft. Bei Reisen in verschiedene Länder hat sie gelernt, Dinge zu relativieren. Sie brachte sich in der Schule ein, als die drei Kinder im entsprechenden Alter waren und stellte mit gleichgesinnten Frauen Seifen und Waschmittel her, als sie dafür noch belächelt wurde. Den dominanten Geruch der Körbe im Bozner Weltladen hat sie nie vergessen.

„Braucht Gröden einen Weltladen?“, lasen Interessierte 2006 auf einem Plakat, das zum Diskussionsabend lud. Evelyn Bonatti hatte sich mit Interessierten des Tales zusammengetan, um Fairness eine Chance zu geben. Sie luden zu Vorträgen über den fairen Handel, über Kakao, Kaffee und Bananen ein. Unterstützt vom Konsortium CTM-Altromercato, dem Bozner Weltladen und dem Südtiroler Urgestein des fairen Handels Rudi Dalvai erstellte die Gruppe einen Masterplan zur Wirtschaftlichkeit. Sie suchte nach einem passenden Standort und fand ihn in der Snetonstraße gegenüber dem Rathaus von St. Ulrich.

Im April 2007 wurde der Weltladen eröffnet und anfangs ausschließlich von Freiwilligen geführt. Auf fast 60 Ehrenamtliche kann die Sozialgenossenschaft „Butëiga dl Mond Gherdëina“ heute bauen. Seit einigen Jahren koordiniert Carla Rifesser den Einkauf und die Freiwilligen als einzige Hauptamtliche. Am besten verkaufen sich Lebensmittel wie Kaffee oder Schokolade. Aber die Nachfrage nach Hülsenfrüchten und alternativen Getreidesorten steigt derzeit sprunghaft an: Quinoa, Amaranth oder Kichererbsen sind gefragter denn je. Körbe werden weniger verkauft, bleiben aber im Sortiment, um unterschiedlichen Produzenten eine Chance zu geben.

Der Weltladen in St. Ulrich liegt außerhalb der stark frequentierten Einkaufsstraße. Manchmal wären ihm mehr Kunden zu wünschen. Doch Evelyn Bonatti und die anderen Freiwilligen arbeiten mit Weitblick: Sie laden Schulklassen in den Weltladen ein und verkaufen die fairen Produkte auch auf Märkten und Festen. Evelyns Mann betreute mehrere Jahre lang im lokalen Radio Sendungen und lud Gäste aus aller Welt ein.

Die quirlige Frau war Teil der lokalen Umweltschutzgruppe. Die Liebe zur Natur ist geblieben, rastlos bleibt sie: „Was brauche ich wirklich?“, fragt sie sich. Oft beschleicht sie das Gefühl, dass Menschen ihre Bedürfnisse mit Konsum übertünchen. Sie mag recycelte Waren und Kleider, lernt bei Weiterbildungen und auf Tauschmärkten interessante Menschen kennen.
Acht Jahre lang war Evelyn Bonatti im Vorstand des Weltladens und im Verkauf freiwillig aktiv. Inzwischen hat sie ihre Aufgabe im Vorstand aufgegeben und ihre Tätigkeit im Geschäft auf zwei halbe Tage im Monat reduziert. Den Weltladen hat sie zwar mitgegründet, aber am liebsten wäre ihr, es bräuchte ihn nicht, weil jeder Supermarkt faire und biologische Produkte führt und Informationsarbeit leistet.
Hoch über St. Ulrich hat das Ehepaar Delago-Bonatti den Costes-Hof neu aufgebaut. Andreas hält dort Brillenschafe, in Kürze kommen Bienen dazu. Evelyn verwendet für ihre Speisen mit Vorliebe Brennnessel, Schafgarbe, Schlüsselblumen und Kräuter. Sie kauft auf dem Bauernmarkt ein und freut sich im Frühling auf jede Blume. Und so gern sie Körbe auch mag: Negativen Nachrichten gibt sie einen Korb.

Maria Lobis