Kultur | Salto Afternoon

between inside and outside...

Die Künstlerinnen Nora Schöpfer und Heidrun Widmoser stellen ihre Arbeiten bis zum 22.6. in Kaltern aus. Ein Gastbeitrag von Brigitte Matthias.
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Foto: Nora Sölva

Nora Schöpfer und Heidrun Widmoser beschäftigen sich seit ihrer gemeinsamen Studienzeit an der Universität für angewandte Kunst in Wien bei Oswald Oberhuber und Ernst Caramelle mit dem Medium Fotografie, sie ist die gemeinsame Schnittstelle der beiden Künstlerinnen und sie bedienen sich ihrer, wenn auch mit verschiedenen Ansätzen, als Ausgangsmaterial für ihr Oeuvre. Der französische Dichter Charles Baudelaire meinte einmal:“ Die Fotografie ist der Todfeind der Malerei, sie ist die Zuflucht aller gescheiterten Maler, der Unbegabten und der Faulen.“
Abgesehen davon, dass Baudelaire selbst sich vom damaligen Starfotografen Nadar hat ablichten lassen und dass Edouard Manet nach diesem Foto eine Radierung des Dichters angefertigt hat, ist die Fotografie in der Zwischenzeit zur eigenständigen Kunstgattung mutiert und folgt ihren eigenen Gesetzen. In unserer digitalisierten Zeit ist es zugleich auch nicht mehr Aufgabe der Malerei, jene Informationen zu transportieren, die ein Foto besser abliefern kann. Dies ermöglicht es den beiden Künstlerinnen, sehr frei mit den beiden Medien umzugehen, wobei sich die Frage nach Fotografie und / oder Malerei hier im Gefängnis gar nicht stellt, weil sich die beiden Genres optimal ergänzen und übergangslos ineinander greifen.


Im Zentrum des Interesses von Nora Schöpfer und Heidrun Widmoser steht das Hinterfragen von Zeit und Wahrnehmung mittels Festhalten von flüchtigen Sinneseindrücken, sei es im öffentlichen Raum als auch in der freien Natur. Sie interessieren sich für Nebensächliches, nicht für das laut Schreiende, für das „ hier bin ich, fotografiert mich“.
Beide Künstlerinnen setzten sich dann an den Computer, wo sie ihre zuvor gemachten Fotos bearbeiten, um neue Bilder zu generieren. Es drängt sich die Vermutung auf, dass ihnen die Realität, die sie vor der Linse hatten, nicht zur Gänze gefällt und sie diese zum Teil deshalb verändern, um eine neue Wirklichkeit zu erschaffen, die ihren eigenen ästhetischen und formalen Gesetzten entspricht. Ganz im Sinne Susan Sonntags die meint:“ In der Fotografie kommt es zum Konflikt zwischen dem Gebot der Wahrhaftigkeit und dem Gebot der Verschönerung.“ Nora Schöpfer und Heidrun Widmoser gelingt es in ihren Arbeiten, diese Gegensätze aufzuheben. Sie machen die Wahrheit schön.

So setzt Nora Schöpfer zum Beispiel geometrische Elemente in ihre Fotos, um Momente der Irritation zu schaffen. Die Fähigkeit des Betrachters zur Wahrnehmung muss durch diese monolithischen Formen hinterfragt werden, das Bild löst sich in reine Farbharmonie auf, Bewusstheitszustände, Emotionen und Erinnerungen werden in abstrakter Form versinnbildlicht. Diese Bilder thematisieren auch die zunehmende Geometrisierung des öffentlichen Raumes, alles Ungeordnete, wild Gewachsene wird in Form gebracht, reglementiert, das Bauhaus und seine rechten Winkel lassen grüßen. Diese Fotos sind aber nicht frei von Assoziationsmöglichkeiten und Bedeutungszuschreibungen, dafür sorgen die elementaren geometrischen Formen, gepaart mit der weichen Sinnlichkeit der Farben.


Oder die Künstlerin arbeitet mit dem Prinzip des Verwischens, die Eindeutigkeit wird zugunsten einer Vieldeutigkeit aufgegeben. Durch das Verwischen z.B. einer baumbestandenen Straßenszene wird das vermeintlich Realistische zum nicht mehr eindeutig Erkennbaren, zum Rätselhaften, das uns im Grunde aber ein Mehr-Sehen erlaubt. Und in kleinen, klar umrissenen tropfenförmigen Momenten sehen wir immer noch exakt und deutlich Details einer wahrgenommenen Ist-Situation. Diese Bilder tragen also immer noch den Wunsch in sich, darauf etwas erkennen zu können. Nora Schöpfer überträgt Fragmente aus einem Foto ins nächste, initiiert Auflösungsprozesse, Verpixelungen bestimmter Stellen schaffen neue, verwirrende Situationen. Spuren der realen Welt sind immer Restbestand, obwohl durch die digitale Rastergrafik Bildinformationen verloren gegangen sind. Die fotografierten Räume stehen nicht unbedingt im Zentrum unserer Aufmerksamkeit, Spuren gebauter Vergangenheit und Gegenwart, Straßen, Plätze oder Ausstellungsräume werden festgehalten und uns dann, nach erfolgter Bearbeitung am PC, nach vollzogener Metamorphose, neu präsentiert. Auch das Video ist in einer Ausstellungshalle entstanden und ist die Aufzeichnung einer beobachteten Sequenz . Die Bewegung des Vorhangs ist ein natürliches, durch Wind und Sog aktiviertes Phänomen. Die banale Situation wird durch die Künstlerin durch die Aufnahme auf eine andere Bedeutungsebene gestellt und erhält einen meditativen Charakter.

Die visuellen Fragmente von Heidrun Widmoser entstehen hingegen mit Pinsel und Eitempera auf Leinwand, Ausgangspunkt hierfür sind Stellwände mit geklebten Werbeplakaten, die sie in Rom, Berlin, Wien und Mexico City fotografiert hat. Der Charakter von Metropolen wird maßgeblich von diesen Affichen geprägt, die ja nur eine sehr kurze Zeitspanne offensiv in der Öffentlichkeit zu sehen sind, um dann wieder überklebt zu werden und somit dem Verschwinden preisgegeben sind.


In den 1960er Jahren erklärte eine Gruppe von Künstlern Abrisse und Neuverklebungen von Plakatwänden zu Kunst, Mimmo Rotella und Wolf Vostell prägten den Begriff der „ Decollage“.

Während diese Künstler sich aber darauf beschränkten, bereits zerstörtes Papier aus dem öffentlichen Raum in Fetzen abzureißen und diese dann als materia prima für neue Kunstwerke zu verwenden, ist die Herangehensweise von Heidrun Widmoser eine andere. Sie fotografiert bereits lädierte Wände, hält deren Schönheit digital fest, bearbeitet die Bilder dann am Computer und setzt sie so zu neuen Motiven zusammen. Der künstlerische Prozess wird aber nur bedingt durch diese Vorlagen beeinflusst, ad hoc entstehen während des Malens neue Kompositionen.


Das fotografische Ausgangsmaterial für ihre Malereien sammelt Heidrun Widmoser auf ihren verschiedenen Reisen, anhand einiger Sprenkel kann man versuchen zu entschlüsseln, wo die Fotos gemacht worden sind. Manche Verzahnung von Text und Bild wird uns fündig werden lassen, andere Bilder bewahren ihr Geheimnis. Die neuesten Arbeiten der Künstlerin sind im Anschluss an eine Mexico-Reise im heurigen Februar entstanden und ein interessanter Hintergrundaspekt hierzu ist die Tatsache, dass es in diesem mittelamerikanischen Land noch die Zunft der „ rotuladores“ gibt, der Plakatmaler also, die ad hoc für Wahlen, Filmerstaufführungen oder Konzerte ganze Wände in kürzester Zeit mit großem Können bemalen und beschriften. Kein Gedanken an Längerfristigkeit, das Wissen , dass ihr Werk nur von kurzer Sichtbarkeit sein wird,  malt mit. Und so sind die Bilder von Heidrun Widmoser mit mexikanischen Wurzeln eigentlich doppelt hintersinnig: während sie in Europa gedruckte Plakate fotografiert, waren es in Mexico z. T. von Hand gemalte Werke, die über einen digitalen Umweg wieder von Hand partiell und neu konstruiert ihren Weg in eine Langlebigkeit gefunden haben. Und durch diesen Sublimierungsprozess sind sie auch keine „ contaminacion visual“ mehr im Dschungel der Metropole Mexico City sondern Objekte der Kunstbetrachtung.


So werden in den Werken der beiden Künstlerinnen Zeit – und Raumverhältnisse verschoben, das Phänomen von Zusammensetzung und Auflösung, der Übergang von einem Moment und Status in einen anderen, das Innen und Außen, das Vorher und Nachher analysiert. Es sind Werke, die sowohl eine poetische Dimension als auch Fragmentarisches in sich tragen, wo die Zeit ihre lineare Abfolge verliert und der Raum seine Begrenzung – in einem ehemaligen Gefängnis vielleicht auch eine tröstliche Vorstellung.