Gesellschaft | ewiges geplänkel?

Hoffen auf eine Zukunft ohne Gift

Tiefe Gräben und “enorm hohe Erwartungshaltungen”: Arnold Schuler ist kommende Woche in Mals. Nun erfährt der Landesrat überraschend Rückhalt – von einem Pestizidgegner.
Mals 2014
Foto: Umweltschutzgruppe Vinschgau

“Person oder (selten) Sache, an die jemand in einem bestimmten Bereich eine Hoffnung knüpft”. So definiert der Duden “Hoffnungsträger”.
Seit im Herbst 2014 die Malser in einer Volksabstimmung mehrheitlich Ja zu einer pestizidfreien Gemeinde gesagt haben, ruhen viele Hoffnungen auf dem kleinen Vinschger Ort, dem inzwischen weltweit eine Vorreiterrolle auf dem Weg in eine Zukunft ohne chemische Pflanzenschutzmittel zugesprochen wird. Das Interesse an Mals reißt nicht ab. Immer noch pilgern Journalisten, Politiker und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland in die Obervinschger Gemeinde. Zuletzt war sogar die Trägerin des alternativen Nobelpreises Vandana Shiva dort.

Frieden aber, den sucht man in Mals auch fünf Jahre nach der Pestizid-Abstimmung vergeblich. Pestizid-Gegner und -Verteidiger stehen sich im häufig zum “gallischen Dorf” hochstilisierten Ort unversöhnlich gegenüber. Das juristische Tauziehen um die von Bürgermeister Ulrich Veith erlassene Anti-Pestizid-Verordnung, gegen die mehrere Malser Apfelbauern geklagt haben, ist noch nicht entschieden. Die jüngste Episode: Anfang Juni sagt Veith den Salzburger Nachrichten, dass sein Engagement gegen Pestizide seiner Gemeinde Nachteile bringe. “Wir werden von bestimmten Projekten ausgeschlossen.” Veiths Worte sind in Bozen nicht gut angekommen. In der eigenen Partei fühlt man sich vor den Kopf gestoßen. Wieder einmal.
Es stellt sich die Frage: Ist man in Mals an einem toten Punkt angelangt?


Eine Ex-Ministerin und ein Schulterklopfen


“Die Situation in Mals ist verfahren und ideologisch besetzt.” Arnold Schuler versucht erst gar nicht, etwas schönzureden. Als Landwirtschaftslandesrat ist er zur Zielscheibe vieler Attacken jener geworden, die der Landesregierung vorwerfen, getrieben vom Südtiroler Bauernbund, dem “Malser Weg” Steine hinzulegen.
Von Ulrich Veith ist Schuler irritiert. “Das stimmt nicht”, kontert er auf die Aussage des Bürgermeisters. Mals werde in keinster Weise benachteiligt oder gar von Finanzmiteln abgeschnitten. Er werde sich bei Veith in entsprechender Form melden, kündigt der Landesrat an.

Den Draht nach Mals kappen, das wolle er aber nicht, meint Schuler. Nächsten Mittwoch (12. Juni) ist er selbst dort zu Gast. Bei einem Diskussionsabend wird er die Gelegenheit haben, sich mit Renate Künast auszutauschen.
Die Spitzenpolitikerin der deutschen Grünen war bereits Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und Anfang der 2000er Jahre die politische Mutter der “Agrarwende”. Mit welchem Gefühl er nach Mals fährt? Er habe Künast vorher zu einem Hofbesuch bei sich eingeladen, verrät Schuler. Der Betrieb läuft inzwischen zum Teil biologisch, zum Teil integriert. Die Grüne solle sich “einen Eindruck verschaffen”. Denn wer nach Südtirol komme, um über Landwirtschaft zu sprechen, müsse die Situation, “die nicht vergleichbar ist mit anderen Realitäten”, auch kennen, sagt Schuler. Abgesehen davon finde er solche Gelegenheiten wie kommenden Mittwoch “sehr spannend” und sei nach wie vor bereit, “offen und öffentlich zu diskutieren”.

 

Vor seinem Besuch in Mals bekommt der Landesrat Rückenwind, von völlig unerwarteter Seite. Es ist Koen Hertoge von PAN Italia, dem italienischen Ableger des internationalen Anti-Pestizid-Netzwerks. Häufig als Kritiker von Schuler in Erscheinung getreten, findet Hertoge nun wohlwollende Worte für ihn. “Er ist ein Hoffnungsträger.”

 

Pestizide im Spiel


Koen Hertoge scheint als letzter der elf Autoren der Studie auf, die vor einem Monat in der Open-Access-Fachzeitschrift für Umweltwissenschaften, Umweltchemie und Ökotoxikologie “Environmental Sciences Europe” erschienen ist. Es ist die vertiefte Version der Kinderspielplatz-Studie, die der Dachverband für Natur- und Umweltschutz im Herbst vor zwei Jahren präsentierte. Dabei wurden auf 29 von 71 untersuchten Spielplätzen in Südtirol Rückstände von Pestiziden gefunden. “Die 2017 veröffentlichte Spielplatz-Studie diente als Basis für das nun erschienene Werk, das gemeinsam mit internationalen und Südtiroler Wissenschaftlern um meteorologische Daten ergänzt wurde”, erklärt Hertoge. Die Absicht dahinter? “Sachlichkeit in die Pestizid-Debatte hineinbringen, die Politik bei der Entscheidungsfindung unterstützen und dafür ein Instrument zur Verfügung stellen.”

Die ausgestreckte Hand will Arnold Schuler nicht ausschlagen – “solche Studien und die Sorgen der Menschen sind ernst zu nehmen und es ist natürlich unser Ziel, Rückstände zu vermeiden”. Aber der Landesrat wünscht sich “Fairness”. Er habe an dieser Studie nach wie vor etwas zu bemängeln. “Auf 53 Spielplätzen wurden Spuren gefunden, die so gering sind, dass sie unter der Grenze liegen, wo sie wissenschaftlich gesichert gemessen werden können. Wäre die Messunsicherheit berücksichtig worden, wären diese 53 Spielplätze frei von Pestiziden.”


Immer die Bauern?


“Keine Kampagne gegen Schuler” wolle er bzw. PAN Italia fahren, betont Koen Hertoge. Aber man werde “die Stimme weiterhin erheben, wenn es dafür die Notwendigkeit gibt”. Dringenden Handlungsbedarf sieht man vor allem bei der Abstandsregelung beim Ausbringen von Pestiziden im Obstanbau. “Es wurden Rückstände auf Spielplätzen in 300 Metern Entfernung von Obstanbaugebieten gefunden.” Es brauche weitere Maßnahmen, um Abdrift zu vermeiden sagt Hertoge, “die Landwirtschaft ist gefordert”.

 

Arnold Schuler runzelt die Stirn. “Die Bauern sind es Leid, dass immer auf ihnen herumgehackt wird.” Im Abriss zur Studie würden die Autoren verschweigen, dass in mehreren Proben Spuren eines Wirkstoffs, gefunden wurden, “der mengenmäßig gleich viel ausmacht wie alle anderen Rückstände zusammen, aber nachweislich nicht aus der Landwirtschaft stammt”. Zudem verweist der Landesrat auf das Abkommen, das Anfang April 2018 im Vinschgau geschlossen wurde, um die Abdrift auf Bio-Flächen zu vermeiden. “Es funktioniert”, sagt Schuler, “nur setzen es nicht alle um”.


Weniger Gift schadet nie

 

Der Teufel steckt also im Detail. Mit Abstand betrachtet, zeigt sich: Es rührt sich etwas. Die Devise, die Arnold Schuler für diese Legislaturperiode ausgegeben hat, lautet: Artenvielfalt und Biodiversität erhalten. Freitag Mittag wird er gemeinsam mit dem Landeshautpmann und Landesrätin Hochgruber Kuenzer das Programm "Südtirol – Das Land der Artenvielfalt” vorstellen. In Kürze soll es auch ein Update zur Bio-Offensive geben, die im November 2017 gestartet wurde.
Über die politischen Verpflichtungen des Landesrates zeigt sich Koen Hertoge erfreut. Er ist mittlerweile zum Schluss gekommen: “Eine weitere Ökologisierung Südtirols ist nur mit Schuler möglich. Trotz intensiv geführter Diskussionen ist eine gute Gesprächsbasis mit dem aktuellen Landesrat da.” Schuler könne, so Hertoge “fast als Bio-Landesrat” aus dieser Legislaturperiode hervorgehen. “Er ist ein Hoffnungsträger.”

Mit solchen Titeln kann Arnold Schuler nicht wirklich etwas anfangen. “Wir müssen schauen, wie wir miteinander umgehen”, das ist ihm wichtig. Auch für Mals. “Die Erwartungshaltung dort ist enorm. Dabei wäre der Königsweg, sich zusammen an einen Tisch zu setzen, um gemeinsam Lösungen zu suchen und zu finden.”
Eine Zukunft ohne chemisches Gift wünschen sich viele für Mals. Dabei ist eine Zukunft ohne soziales Gift ebenso erstrebenswert. Für Mals. Und für das ganze Land.

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Profil für Benutzer Hans Bibera
Hans Bibera Mo., 10.06.2019 - 10:41

"Wann kann man von Ideologie sprechen?", war die Frage an den Kommunikationsexperten.
"Wenn keine Kopromisse möglich sind", war die Antwort.
Ich freue mich, wenn man das ganze Thema von den (Entwicklungs-) Möglichekeiten anzugehen versucht!
Dazu ein Lehrsatz aus der Erwachsenenbildung:
"Erwachsene sind zwar lernfähig, aber sie sind nicht belehrbar!"

Mo., 10.06.2019 - 10:41 Permalink