Kultur | Nachhaltigkeit

Auf Spurensuche in den Bergen

Über die Wiederverwendung von Baumaterialien in den Bergen, oder was wir von unseren Vorfahren lernen können
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Katharina Benjamin

Text: Bianca Susanna Leitner


In Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol / in collaborazione con la Fondazione Architettura Alto Adige.

 

 

Hoch in den Bergen ein Gebäude zu errichten, war lange Zeit mit großer handwerklicher Anstrengung verbunden. Obwohl das Verwenden von Baumaterial aus der unmittelbaren Umgebung wie etwa Holz und Stein naheliegend bis selbstverständlich bzw. bisweilen alternativlos war, bedurfte es dennoch einer aufwändigen Bearbeitung der Rohstoffe, bevor tatsächlich ein Gebäude daraus errichtet werden konnte. So ist es nachvollziehbar, dass Baumaterialien nach dem Abbruch eines Gebäudes oftmals eine Wiederverwendung fanden, wodurch ihr Lebenszyklus gewissermaßen verlängert wurde. Die Wiederverwendung von Baumaterial ist seit den Anfängen des Bauens bekannt. 

Von Bedeutung war auch die Wertschätzung für das traditionelle Handwerk in Verbindung mit dem geleisteten Arbeitsaufwand

Die Gründe für die Zweitverwendung von Baumaterial waren allerdings nicht nur Ökonomie oder Sparsamkeit. Von Bedeutung war auch die Wertschätzung für das traditionelle Handwerk in Verbindung mit dem geleisteten Arbeitsaufwand an sich. Gerade der typische Blockbau im Alpenraum konnte aus diesen Überlegungen heraus noch in der Neuzeit mit überschaubarem Aufwand wieder „zerlegt“ werden. Der geringe Aufwand rührte daher, dass die Konstruktion ausschließlich reine Holzverbindungen und Holznägel umfasste und schwerer zu lösende Verbindungen mittels Eisennägeln oder gar Leim nicht vorhanden waren. Die Trennung der einzelnen Baumaterialien konnte also ohne maschinelle Hilfe und im Prinzip in umgekehrter Reihenfolge zum Aufbau erfolgen. Als besonders gut wiederverwendbar galten dabei sehr lange Balken, wie sie für Wand- und Dachkonstruktionen benötigt wurden. Neben Baumaterial für die Konstruktion wurden aber auch Materialien für den weiteren Ausbau wiederverwendet, wie beispielsweise Fußböden oder Dachdeckungen.

 


Allgemein wurde das Material – mit einer gewissen Selbstverständlichkeit – in jener Region belassen und wiederverwendet, aus der man es gewonnen hatte. Für diese Regionalität sind nicht zuletzt ökonomische Aspekte verantwortlich, die schlichtweg keine Gründe für einen längeren Transport geliefert hätten. Von heimatpflegerischer Seite kann heute festgestellt werden, dass aus diesem Grund manch traditionelle und kulturelle Qualität einer Region und auch das für sie typische Baumaterial am Ursprungsort erhalten blieb. Praktisch gesehen – und das spricht ebenfalls für eine Wiederverwendung – hat sich das Material eines bestehenden Hauses mitunter bereits über mehrere Jahrzehnte bewährt – insbesondere beim Holzbau. Das Material „kennt“ seine Umgebung, da es unter ständiger Einwirkung von Witterung und anderen Kräften stand, die es entsprechend geformt und gefestigt haben.

Umso schöner ist es, dass es gerade Projekte im Alpenraum sind, die immer wieder zeigen, dass das Bewusstsein für die unmittelbare Umwelt, Materialien und Handwerkskünste nicht ganz verloren ist.

Grundsätzlich wurde die Zweitverwendung von Baumaterial bei vernakulären Architekturen kaum dokumentiert. Die Ergebnisse sind bei genauer Beobachtung an den Bauten selbst jedoch sehr gut ablesbar. So zeigt sich das Resultat beispielsweise bei hölzernen Strickbauten in den Bergen des schweizerischen Graubündens: Die nach außen hin sichtbaren Pfetten der Dachkonstruktion wurden für einige Gebäude aufwändig geschnitzt, bei den meisten anderen Bauten beließ man sie hingegen als einfache Balken. Manchmal kann man erkennen, dass geschnitzte und einfache Pfetten nebeneinander im selben Gebäude eingebaut wurden, ohne solche Ungleichheiten anzupassen, was die Wiederverwendung der einzelnen Konstruktionsteile sichtbar belegt. Anderswo findet man beispielsweise Zapfenlöcher oder Kerben in Holzbalken, die konstruktionstechnisch an dieser Stelle gar keinen Sinn machen würden — sie müssen einer früheren Konstruktion zugehörig sein.

 

 

So kann nun jede*r auf Spurensuche gehen. Vor allem im Alpenraum stößt man dabei auf spannende Details – auch in Südtirol. Und wenn wir ehrlich sind: Die Wertschätzung gegenüber der Natur und die damit einhergehende Selbstverständlichkeit zur Wiederverwendung ihrer Gaben an sich ist etwas, was in der Wegwerfgesellschaft verloren geht. Die Wiederverwendbarkeit von Baumaterialien bedingt eine Trennbarkeit der Stoffe, wie sie in heutigen Bauprojekten immer seltener vorhanden ist. Umso schöner ist es, dass es gerade Projekte im Alpenraum sind, die immer wieder zeigen, dass das Bewusstsein für die unmittelbare Umwelt, Materialien und Handwerkskünste nicht ganz verloren ist. Man hat vielmehr das Gefühl, dass sich der Trend zumindest regional zum Guten wendet und das Architekturschaffen damit viel stärker von einer intensiven Auseinandersetzung mit baukulturellen Traditionen bestimmt ist. Wir erkennen, wie nachhaltig das Althergebrachte sein kann und lernen, es in die neue Architektur einzubinden. 

 

 

 

LITERATUR

Leonhardt, Rainer: Zur Wiederverwendung historischer Bauteile. In: Schmidt, Hartwig (Hrsg.): Das Konzept der „Reparatur“. Ideal und Wirklichkeit. Deutsches Nationalkomitee von ICOMOS, München, 2000. 

Schrader, Mila: Auf der Suche nach historischem Baumaterial. Selektiver Rückbau statt Abbruch. In: Schmidt, Hartwig (Hrsg.): Das Konzept der „Reparatur“. Ideal und Wirklichkeit. Deutsches Nationalkomitee von ICOMOS, München, 2000. 

Schindler, Christoph: Holz in der Wiederverwendung. In: ARCH+, Nr. 193, 2009.

Simonett, Christoph: Die Bauernhäuser des Kantons Graubünden. Band 1. Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde, Basel, 1965.