Gesellschaft | Natur

"Be wild and free"

Philipp Schraut bietet Überlebenstrainings an: Die Teilnehmer lernen ohne große Hilfsmittel in der freien Natur mehrere Tage zu überleben.
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Foto: Philipp Schraut

Salto.bz: Du bietest Survivalkurse in den Wäldern Südtirols an. Ein recht spezielles Kursangebot, wie bist du dazu gekommen?

Philipp Schraut: Naturvölker haben mich schon seit frühster Kindheit fasziniert. Im Laufe meines Lebens habe ich viel Zeit draußen verbracht und gelernt mich durchzuschlagen. Ausschlaggebend für den Kurs war jedoch der 18. Geburtstag meines Neffen. In dieser Zeit hatte er große Pläne die Welt mit einem Rucksack zu bereisen. Da auf so einer Reise viel passieren kann, habe ich ihm zum Geburtstag ein Wochenende mit mir im Wald geschenkt, um ihn auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Nach dem ersten Wochenende in der freien Natur haben wir gemerkt, dass das nicht genügt. Also haben wir weitere Einheiten angehängt und er hat immer mehr Freunde mitgenommen. Das hat mir gezeigt, dass Interesse am Überlebenstraining besteht und ich habe den ersten Kurs angeboten, mit Erfolg.

Mit Erstaunen stellen die Teilnehmer fest, dass Heuschrecken nicht mal so schlecht schmecken. 

Was kann man sich unter einem Überlebenstraining vorstellen?

Der Standard-Survival-Kurs geht zwei Tage lang. Am Anfang geht es darum, mit Kompass und Karte den richtigen Weg zu finden und einen einfachen Unterschlupf zu bauen. Das Feuermachen ist auch sehr wichtig: Da gibt es verschiedene Methoden vom Feuerbohrer bis zur Lupe mit Sonnenlicht. Natürlich spielt auch das Finden von Nahrung wie Pflanzen und Pilzen eine Rolle. Beim Anfängerkurs nehme ich auch immer einige Grundnahrungsmittel mit. Oft fangen wir auch nebenbei Heuschrecken. Mit Erstaunen stellen die Teilnehmer dann fest, dass Heuschrecken nicht mal so schlecht schmecken. (lacht)

 

Wie sieht es mit dem Trinken aus?

Trinkwasser finden ist sehr wichtig. In Südtirol sind wir mit gutem Wasser verwöhnt, aber man sollte bei jedem Wasser zweimal hinsehen und erkennen, ob es sich auch wirklich um trinkbares Wasser handelt.

Die Köcherfliegenlarve ist ein Indiz für Trinkwasser, diese ist nämlich so empfindlich, dass sie in schmutzigem Wasser nicht überlebt.

Wie erkennt man das?

Da gibt es einige Tricks: Stehendes Wasser sollte man meiden. Kaltes und schnell fließendes Wasser ist meist gut, darin tummeln sich nicht so viele Bakterien. Auch die Steine am Wasser müssen begutachtet werden: Sind sie mit Algen bewachsen oder haben einen schmierigen Belag, ist das ein schlechtes Zeichen. Weiters ist die Köcherfliegenlarve ein Indiz für Trinkwasser, diese ist nämlich so empfindlich, dass sie in schmutzigem Wasser nicht überlebt. Auch sollte oberhalb der Wasserstelle nachgesehen werden, ob nicht ein totes Tier oder eine Kuhherde das Wasser verunreinigen.

Um dem toten Tier mit höchstem Respekt zu begegnen, verwerte ich alles: Fleisch, Fell und Knochen.

Apropos Tiere und Jagd.

Im fortgeschrittenen Kurs gehört auch das Zerlegen von Tieren zum Programm. Die Jagd auf große Tiere mit primitiven Materialien ist sehr unrealistisch. Fallen für kleinere Tiere aufzustellen wäre theoretisch möglich, ist in Italien jedoch verboten. Meist besorge ich tote Ratten oder Kaninchen, wo wir das Zerlegen von Tieren üben. Wenn ich am Straßenrand ein totes Tier entdecke, wandert das auch in meinen Kurs. Ein sogenannter „Roadkill“ ist die realistischste Art der Jagd in unserer Zeit. Um dem toten Tier mit höchstem Respekt zu begegnen, verwerte ich alles: Fleisch, Fell und Knochen.

 

Was ist das Wichtigste wenn es ums Überleben in der freien Natur geht?

Man sagt: Ein Mensch kann 3 Minuten ohne Luft, 3 Stunden ohne wärmende Kleidung oder Unterschlupf, 3 Tage ohne Wasser und 3 Wochen ohne Nahrung überleben. Deswegen behandle ich in meinen Kursen Wasser, Unterschlupf und Feuer prioritär. Nahrung ist nicht so wichtig, aber ohne geht’s auch nicht.

 Sieben Tage ohne Isomatte, Schlafsack, Kochbehälter, konventioneller Nahrung. 

Gibt es eine Ausrüstungsliste?

Ja - diese variiert je nach Level des Kurses. Im Einsteigerkurs dürfen die Teilnehmer Isomatte, Schlafsack, Sonnencreme und auch eine Zahnbürste mitnehmen. Robustes Schuhwerk, Wasserflasche und ein gut geschärftes Messer zum Schnitzen sind ein Muss. Je weiter fortgeschritten der Kurs ist, desto kleiner wird die Liste.

Jetzt würde mich natürlich interessieren, was steht bei der "Survival-Extremtour" auf dem Programm?

Bei diesem Kurs wandern wir als Kleingruppe ins nördliche Trentino. Sieben Tage ohne Isomatte, Schlafsack, Kochbehälter, konventioneller Nahrung. Nur ein Messer und eine Wasserflasche sind erlaubt – da kommen viele an ihre Grenzen. Das Erfolgserlebnis ist dann aber dementsprechend groß.

Ein sogenannter „Roadkill“ ist die realistischste Art der Jagd in unserer Zeit.

Wo finden deine anderen Kurse statt?

Je nach Thema des Kurses entweder in der Nähe von Eppan oder oberhalb von Lana. Im Winter darf es auch mal weiter oben in den Bergen sein. Die Gruppen sind alle klein, höchstens 10 Leute.

Wie kann ich mir deine Teilnehmer*Innen vorstellen?

Der jüngste Teilnehmer war 7 und in Begleitung eines Erwachsenen da, der älteste 70. Neben SüdtirolerInnen kommen mittlerweile auch Leute aus Deutschland, Österreich, Mittelitalien und sogar schon ein Paar aus Irland war da. Allesamt sehr naturliebende Menschen.

Woher stammt dein Wissen?

Ich bin ein radikaler Autodidakt und muss mir alles selbst aneignen, was oft auch sehr mühsam ist.

 

Du bist in Deutschland aufgewachsen, was hat dich nach Südtirol gezogen?

Eigentlich mein damaliger Job. Ich habe ursprünglich Kirchen restauriert und hatte eine Arbeitsstelle in Bruneck angenommen. Als ich aus dem Zug gestiegen bin, habe ich mir gedacht: Hier gefällts mir, hier bleibe ich. Heute arbeite ich auch als Erlebnistageleiter im archeoParc, als Gartenführer in Schloss Trautmannsdorf und als Reiseleiter bei Vai e Via.

Aus Neugierde: Hat dein Neffe die Weltreise gemacht?

Ja er hat zwei weite Reisen nach Asien unternommen. Das Wissen im Notfall überleben zu können, hat ihm auch in der Ferne die nötige Ruhe gegeben, das Abenteuer richtig zu genießen. Ganz nach dem Spruch: "Be wild and free".