Politik | Regierung

Krise als Chance

Die Regierung „Conte 2“ wurde vereidigt und damit ist das Thema Neuwahlen momentan vom Tisch. Wer nun gewonnen oder verloren hat, muss jeder für sich entscheiden.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Von Alfred Ebner

Die italienische Politik hat ihre sprichwörtliche Unberechenbarkeit wieder einmal bestätigt. Eine Regierungskrise zu „Ferragosto“, einem Zeitraum, der in einem weiten Teil der Bevölkerung immer noch der Inbegriff von Ferien ist, ist bei den BürgerInnen nicht gut angekommen und die letzten Umfragen haben dies bestätigt.  Der „Anwalt des Volkes“, wir der oftmals als zweitrangig belächelte Ministerpräsident Conte auch genannt wird, hat dabei mit einer gut gewählten Strategie und einer sehr prägnanten Rede im Parlament viel an Profil dazugewonnen.

Als Gewerkschaft waren wir über das politische Vakuum, das sich im August aufgetan hat, besorgt. Das Haushaltsgesetz, die Zusammensetzung der europäischen Kommission, die Lage in vielen Betrieben, deren Schicksal eng mit den politischen Entscheidungen verknüpft ist, die sich anbahnende internationale Rezession der Wirtschaft, der Handelskrieg zwischen China und Trump mit konkreten Risiken für Europa, der Brexit und das Chaos in England und die insgesamt unsichere politische Großwetterlage brauchen eine stabile und handlungsfähige Regierung. Vor diesem Hintergrund waren Neuwahlen wohl kaum die beste Lösung.  Eines vorweg: Es obliegt nicht der Gewerkschaft, politische Entscheidungen zu treffen, wohl aber auf deren Vor- und Nachteile hinzuweisen. Wir beurteilen die Regierungen nicht nach deren Farbe, sondern nach den konkreten Vorschlägen und Maßnahmen. Für uns zählen die Programme und deren Verwirklichung und ob sie mit unseren Vorstellungen kompatibel sind.  Wir haben keine „Governi amici“ wie die Italiener sagen.

In diesem Sinne warten wir ab, ob und wie sich die neue Regierung bewegen wird. Projekte die für die Arbeitnehmer und die Rentner positiv sind, werden wir als solche zur Kenntnis nehmen. Wir werden aber auch negative Vorhaben mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen. Unsere Plattform ist seit Monaten bekannt. Von der neuen Regierung ernst genommen zu werden, wäre sicherlich ein guter Anfang. Besonders beim anstehenden Haushaltsgesetz möchten wir gerne mitreden, um die Arbeit wieder ins Zentrum des politischen Handelns zu stellen und wir erwarten uns endlich auch positive Maßnahmen für die Bediensteten und die Rentner.  Eine Überwindung der Spaltung in der Gesellschaft, ist ebenso notwendig wie eine Aufwertung von Werten wie Solidarität und Menschlichkeit. Diese Werte haben die gleiche Existenzberechtigung wie die Sicherheit und das Wohlergehen der Bürger.

Auf die neue Regierung wartet keine leichte Aufgabe. Der hohe Schuldenberg und die Abkühlung der internationalen Wirtschaft schränken den Spielraum stark ein. Die steuerliche Entlastung der Bürger und die Einfrierung der Mehrwertsteuer kosten Geld, sind aber notwendig, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die Klimakrise ihrerseits erfordert riesige Investitionen, ist aber auch ein möglicher Wirtschaftsmotor. Eine nachhaltige Umstrukturierung erfordert zusätzlich Gelder, um die absehbaren Folgen dieser Entwicklung auf die Arbeitnehmer abzufedern. Deutschland hat diesbezüglich 40 Milliarden zur Verfügung gestellt, um die Auswirkungen, die im Arbeits- und Sozialbereich aufgrund des Ausstieges aus der Kohle vorhersehbar sind, abzufedern.

Eine neue Glaubwürdigkeit Italiens in Europa könnte dazu beitragen, die rigorosen und investitionsfeindlichen Regeln der EU abzuändern, gerade in einer Zeit, in der in den meisten europäischen Staaten die bestehende Sparpolitik vermehrt als negativ für die wirtschaftliche Entwicklung empfunden wird. Auch gilt es, mit der digitalen Entwicklung Schritt zu halten um nicht abgehängt zu werden. Löhne und Renten sind zur Ankurbelung des internen Konsums anzuheben. Hier kann eine konsequente Eintreibung der hinterzogenen Steuern jene Mittel freisetzen, um die Einkommen der Arbeitnehmer und der Rentner durch eine Steuerentlastung anzuheben. Dies scheint zwar ein logischer Ansatz zu sein, an deren Durchführung sind bisher alle Regierungen gescheitert. Eine generelle Steueramnestie wäre diesbezüglich nicht nur ungerecht, sondern auch ein Ansporn zur Steuerhinterziehung.

Besonders delikat ist die Rolle des Innenministeriums. Die Sicherheit der Bürger ist eine Grundaufgabe des Staates, ebenso eine funktionierende Justiz. In diesem Bereich hat die nun abgetretene Regierung Ängste geschürt und die Stimmung in der Gesellschaft angeheizt.  Nun gilt es, mit viel Fingerspitzengefühl wieder zur Normalität zurückzukehren. Die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft und des politischen Systems hängen eng mit den Entwicklungen auf diesem Gebiet zusammen. Da ein großer Teil des politischen Erfolgs der zukünftigen Opposition gerade auf dem Thema Einwanderung basiert, wird sich die politische Diskussion weiterhin in diese Richtung bewegen, mit dem Risiko einer weiteren Radikalisierung bestimmter gesellschaftlicher Kreise.

Herausforderungen und Krisen sind aber nicht nur negative Faktoren, sondern auch eine Opportunität, um einen Neuanfang zu wagen. Die Möglichkeiten und die Chancen für ein besseres Italien sind vorhanden, auch aufgrund einer gestiegenen Glaubwürdigkeit des Landes und der Möglichkeit einer wirtschaftlichen Neuausrichtung der EU.  Es braucht aber Konstanz, Geduld und viel Diplomatie, um auch die europäische Politik, angefangen bei der Einwanderung und der Wirtschaft, zu reformieren.