Umwelt | Verkehr

Falsche Verbote?

Die Nachwehen des Staus vom 4. Oktober verdeutlichen, wie groß die Kluft bei verkehrspolitischen Vorstellungen ist - innerhalb des Landes, aber auch der Euregio.
Blockabfertigung
Foto: Mittelbayerische Nachrichten

Die Symbolfigur im Kampf gegen den Transit konnte sich angesichts des mehr als 100 Kilometer langen LKW-Staus von Brenner bis ins Trentino am Mittwoch den Hohn nicht verkneifen. „Nun ist der gesetzwidrige LKW-Stau zum wiederholten Mal dort angekommen, wo seit Jahrzehnten nichts für die Menschen, für die Wirtschaft und für den hochsensiblen Gebirgsraum mit seinen engen Tälern getan wird, um die Belastungen aus dem Lkw-Transit auf ein erträgliches Maß zu reduzieren“, kommentierte Fritz Gurgiser den rekordverdächtigen Verkehrskollaps dieser Woche. Ursache dafür war bekanntlich das LKW-Fahrverbot am deutschen Tag der Einheit am 3. Oktober und der entsprechende Ansturm von bis zu 600 LKW pro Stunde am Tag darauf. Dem versuchte man in Tirol am 4. Oktober in einem Pilotversuch mit einer Blockabfertigung Herr zu werden. Sprich: Es wurden stündlich nicht mehr als 250 bis 300 LKW auf die Autobahn gelassen.

Das daraus entstehende Verkehrschaos in Südtirol zeigt deutlicher denn je die verkehrspolitischen Divergenzen zwischen Tirol und Südtirol auf, die mittlerweile auf beiden Seiten zu nicht mehr überhörbaren Frust führen. In Südtirols Wirtschaft auf der einen Seite, die lauter den je gegen die Verbote jenseits des Brenners aufbegehrt: „Es ist nicht zielführend, auf die Verkehrsüberlastung allein mit Verboten wie dem Wochenend-, Sonn- und Feiertagsverbot, dem Nachtfahrverbot, der Verteuerung der Fahrten in den Nachtstunden, dem sektorale Fahrverbot und jetzt noch der Lkw-Blockabfertigung zu reagieren“, hieß es in dieser Woche von Seiten der Südtiroler Handelskammer und ihrem Präsidenten Michl Ebner. Seine Überzeugung? „Dadurch wird der Verkehr nicht weniger. Auch kann man sich als Transitland nicht einfach vom Umfeld abschotten.“

„Der Weg der Nordtiroler Verkehrspolitik führt sicherlich in die falsche Richtung“, legte auch die SVP-Wirtschaft nach. Eine Kontingentierung verursache lediglich eine Verschiebung des Verkehrsproblems von Tirol auf die Nachbarregionen, was nicht akzeptiert werden könne. Statt Verbote brauche es eine bessere Auslastung der Verkehrsinfrastrukturen, so die Forderung der Wirtschaftsvertreter, die auch von A22-Geschäftsführerr Walter Pardatscher geteilt wird. Er fürchtet, dass man auf der Brennerautobahn angesichts stets steigender LKW- aber auch PKW-Mengen in den kommenden Jahren langsam das Ende der Fahnenstange erreicht. Die einzige praktikable Möglichkeit, um einem chronischen Verkehrskollaps zu entkommen? Eine 24-Stunden-Nutzung der Autobahn, für die allerdings das Tiroler Nachtfahrverbot gekippt werden müsste.

Taube Ohren

Man braucht sich aber nicht einmal ausmalen, wie ein Fritz Gurgiser oder die grüne Verkehrslandesrätin Ingrid Felipe auf solche Vorstellungen reagieren. Selbst der schwarze Landeshauptmann wirkt zunehmend irritiert über das verkehrspolitische Gefälle mit den Nachbarregionen. „Wir müssen uns selbst schützen, sonst ist die Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleistet“, verteidigte Günther Platter in den vergangenen Tagen das Pilotprojekt Blockabfertigung.  Tirol stoße mit seinem Kampf gegen die Transitbelastung oft auf taube Ohren. Und solange nur die Maut in Tirol viermal höher als zwischen Rosenheim und Südtirol sei, seien Verbote die einzige Möglichkeit, um eine Fahrt durch Tirol unattraktiver zu machen, meinte Platter. Er hofft jedoch, dies sich zumindest auf Südtiroler Seite im Zuge der Neuvergabe für die A22-Konzession ein Fenster für eine höhere Maut auftut. Konkreteres erwartet sich der Landeshauptmann laut Tiroler Tageszeitung bereits vom nächsten Euregio-Verkehrsgipfel, der Ende November im Trentino stattfindet.

Dass es eine bessere Koordinierung innerhalb der Euregio braucht, ist wohl die einzige Notwendigkeit, über die sich alle Seiten einig sind. Und zwar nicht erst im November. Beim Südtiroler Dachverband für Natur und Umwelt schüttelt man bereits dieser Tage den Kopf darüber, warum man sich bei der A22 nicht auf einen hinlänglich bekannten deutschen Feiertag sowie die ebenfalls angekündigten österreichischen Maßnahmen gegen die Überlastung vorbereitet hat. „Es kann nicht sein, dass man die Zulaufstrecken in solch einem Fall einseitig offen lässt und sich dann auch noch wundert, warum die Autobahn zum Parkplatz für gestrandete LKWs wird“, meint Geschäftsführer Andreas Riedl. Er sieht aber auch bei den Frächtern selbst eine Verantwortung, Fahrverbote und Feiertage bei ihren Fahrten einzuplanen.

Verantwortung hat aber auch die Politik – für die Gesundheit der Bevölkerung, verweisen die Grünen auf das „eigentliche Problem längs der Brennerautobahn“, das im empörten Frächter- und Handelskammer-Protest völlig untergehe: die dauernden Schadstoff-Überschreitungen, vor allem von Stickstoffdioxid. Während der zulässige Jahresmittelwert bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter liegt, habe er in Neumarkt laut Grünen 2016 im Jahresmittel 43 und in Schrambach, wo es seit Anfang 2017 keine Messungen mehr gibt, gar 62 Mikrogramm betragen. „Der Jahresgrenzwert von 40 Mikrogramm/Kubikmeter ist seit 2015 für alle EU-Länder verbindlich, bisher freilich ohne jede Folge“, schreiben die Grünen. „Von Rechts wegen wäre die Einleitung eines EU-Vertragsverletzungsverfahrens gegen Italien überfällig.“