Wirtschaft | Ökonomik am Abgrund

Mißtraut Ökonomen!

Sitze bei einer interessanten Tagung in der EURAC in Bozen. Es geht um "Wachstum neu denken".
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Soeben hat eine niederländische Aktivistin von SDG Watch gesprochen und ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr Einsatz für die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen gehalten. Mit Herzblut und Sachverstand. Interessant und anregend.

Nun kommt ein Vertreter jener Spezies, der ich mit starkem und ständig wachsenden Mißtrauen gegenüberstehe: Ein Ökonom. Henning Vöpel heißt er und er ist mit höchsten ökonomischen Weihen unterwegs, ist er doch Direktor und Geschäftsführer des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. Muss eine Art Tempel sein.

Warum ich Ökonomen mit Skepsis begegne? Nun, sie bezeichnen sich als Wissenschaftler, akzeptieren aber Dogmen und rechnen diese möglichst so kompliziert schön, dass ihre willfährige Hilfsarbeit ihrerseits Dogmen stärkt. Und die unendlich komplizierten Rechenmodelle bauen auf Grund-Annahmen auf, die von einer ungeahnten Naivität sind - um nicht zu sagen: Fahrlässigkeit! - und die der Komplexität des menschlichen Wirtschaftens in keinster Weise entsprechen.

Der Alfred Nobel hat schon gewußt, warum er keinen Nobelpreis für diese Spielart von Wissenschaft ausloben ließ. Das musste die Reichsbank dann machen, um der Ökonomik in die geweihten Sphären zu verhelfen. Ist es eine Bestätigung der Skepsis Alfred Nobels, dass die letzten Reichsbank-Preisträger keine klassischen Ökonomen sind, sondern eher den Wirtschaftspsychologen zuzurechnen sind?

Wortreich und breitest ausladend geht der Herr Ökonom sämtliche Lebensbereiche durch, die er in einem auch noch so fernen Zusammenhang mit der Weltlage in Verbindung bringt, von der Politik, in der "freie und gleiche Menschen" die Spielregeln für die Entwicklung von Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Wohlfahrt festlegen und wo immer wieder der Wunsch nach einem "wohlmeinenden Diktator" auftaucht, über die Kraft der "unabhängigen Medien", die - ich vernehme zwischen den Zeilen professorales Bedauern - letzthin in Konkurrenz mit Informationsquellen stehen, die nicht so "gut kuratiert" werden können bis hin zu den Playern in der Wirtschaft, deren edelstes und vorrangiges Ziel es ist, Wohlfahrt zu erzeugen. Der Ausblick in die Zukunft hält Überraschendes parat: Die Menschen werden nicht mehr wählen müssen, weil durch die Verknüpfung aller Informationen die Entscheidungen schon von vorneherein so fallen, wie sie den Vorstellungen der erforderlichen Mehrheiten entsprechen. Zwischendrin auch anerkennende Worte für die jungen Leute, die gerade mit Nachdruck auf einige zentrale Probleme hinweisen.

Kein Wort über den kritischen Zustand der Welt. Keine Silbe über die unbegrenzt wachsende Verteilungsungerechtigkeit, nichts über die Gefahren, die von immensen Kapitalakkumulationen durch Schattenbanken drohen. Die Ökonomen haben damit offensichtlich nichts zu tun.

Meine Skepsis gegenüber Ökonomen wächst stärker als die Rendite bei Blackrock.

Da lese ich, dass in diesen Tagen ein neues Buch von Christian Felber erscheint. Unter dem Titel "This is not economy | Aufruf zur Revolution der Wirtschaftswissenschaft" legt Felber den Finger in die akademische Wunde und fordert, dass sich die Ökonomik von Dogmen und widersinnigen Annahmen - wie zum Beispiel der Verabsolutierung des Kapitalismus als Naturgesetz - befreit und endlich wissenschaftlich sauber arbeitet, indem sie sämtliche Formen und Spielarten menschlichen Wirtschaftens untersucht und begleitet - und nicht nur die aus einigen Versatzstücken früher Ökonomen zusammengeschusterte dogmatisch unterfütterte Religion des Neoliberalismus.

Bild
Profil für Benutzer gorgias
gorgias So., 06.10.2019 - 21:13

Ökonomen kann man misstrauen, aber solange man keine Alternative zum aktuellen System anbieten kann, wird man so weiter machen wie bisher. Moralische Urteile, so richtig diese auch sein mögen, können kein Ersatz dafür sein zu wissen wie man einen Umbau des Wirtschaftrsystem gestalten, der dann auch funktionieren kann und nicht in die Katastrophe.

Und ausgerechtet Felber überzeugt mich nicht, weil er nicht vom Fach ist und vom Fach nicht viel versteht. Was er kann ist Bücher mit großer Eloquenz und Charisma zu schreiben und vorführen, die aber am Ende nur ökonomische Analphabeten überzeugen können, um einen Begriff von attac zu nehmen, dessen Gründer Felber in Österreich ist, aber mit der eigenen ökonomischen Alphabetisierung selbst nicht weit gekommen ist.

So hält Felber nicht viel vom Bedingungslosen Grundeinkommen, von einer ökologischen Steuerreform oder gar von einem Geldsystem, das die Ursache für den Wachstumszwang beheben würde und die Bereicherung der Geschäftbanken durch private Geldschöpfung, weil er den Weg frei machen will für seinen Großen Wurf und zwar für die Gemeinwohlökonomie. Die Gemeinwohlökonomie ist dadurch entstanden, dass er den Begriff in einem seiner vorhergehenden Bücher erwähnte und Resonanz bei seiner Leserschaft fand und um diesen Begriff herum dann diese Gemeinwohlökonomie in seiner nächsten Publikation entwarf, die eine Mischung aus Räterepublik und Sozialkreditsystem anmutet und in Zusammenhang mit der sog. Gemeinwohlbilanz zu dem noch ein Bürokratieungeheuer entwickeln würde.

Wer zum Einstig in die Wirtschaftswissenschaften sich bilden möchte, empfehle ich liebe folgende Werke von echten Ökonomen, die aber kritisch sich mit dem aktuellen System befassen:

Der Wachstumszwang: Warum die Volkswirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben
von Mathias Binswanger

Die Wachstumsspirale: Geld, Energie und Imagination in der Dynamik des Marktprozesses
von Hans Christoph Binswanger

Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung: Die Krise der heutigen Ökonomie oder Was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können von Ulrike Hermann

Die Ökonomie von Gut und Böse von Tomáš Sedláček

Schmalspur-Ökonomie: Die 27 populärsten Irrtümer über Wirtschaft von Paul Krugman

Wirtschaftsirrtümer: 50 Denkfehler, die uns Kopf und Kragen kosten
von Henrik Müller

und ein gutes Einführungswerk würde auch nicht schaden:
Volkswirtschaftslehre - Schnell Erfasst
von Edling, Herbert

So., 06.10.2019 - 21:13 Permalink
Bild
Profil für Benutzer gorgias
gorgias Mo., 07.10.2019 - 12:01

Der Finanz- und Bankensektor gehört auf alle Fälle reformiert und besser reguliert. Ich möchte hinzufügen, dass ich von Felbers Werk "50 Vorschläge für eine gerechtere Welt" von Felber einen positiven Eindruck hatte, doch als ich ein weiteres Werk las in dem er nicht nur Ideen aufreihte, die er sich zusammenrecherchiert hatte, sondern ein in sich schlüssiges Werk produzieren sollte, konnte man sehen, dass er nur oberflächliche Sachkenntnisse besitzt. Felber schmückt seine Bücher gerne zu Beginn eines jeden Kapitels mit Zitate anderer. Doch das lässt darüber nicht hinweg täuschen, dass er keine tieferen Kenntnisse besitzt von den Werken, die er so gerne zitiert und im Literaturverzeichnis auflistet.

Was den Vorschlag Götz Werners angeht wie man das Steuersystem ändern sollte, möchte ich sagen, dass es mich erstaunt wie oft er in Südtirol von ökosozialen BGE-Befürwortern positiv erwähnt wird. Wie kann man sich solche Ideen unterjubeln lassen, wie das BGE mit einem Steuersystem zu verküpfen, das man sonst nur in Steueroasen wie in den Cayman Islands zu finden ist: https://www.youtube.com/watch?v=889jVIIz2L4

Ein rein auf Mwst. basiertes Steuersystem ist noch ungerechter als als eine Flax-Tax, die zumindest noch proportional ist und nicht auch noch regressiv wie das was Werner vorschlägt.

Mo., 07.10.2019 - 12:01 Permalink