Gesellschaft | Zeitgeschichte

Zwei tote Häftlinge

Vor 55 Jahren starb der Südtiroler Attentäter Anton Gostner im Bozner Gefängnis. Ein Blick auf ein dunkles Kapitel der Südtiroler Geschichte.
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Foto: upi
Am 7. Jänner 1962 bricht Anton Gostner im Bozner Gefängnis zusammen. Wenig später ist er tot.
Der 42jährige Brixner Anton Gostner ist einer jener Attentäter, die bereits vor der Feuernacht eingesperrt worden waren. Gostner sitzt seit 20. Mai 1961 in Haft. Die Bozner Staatsanwaltschaft hatte Geldüberweisungen aus Innsbruck zum Anlass genommen um eine ganze Reihe von Mitgliedern des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) einzusperren. Wenige Wochen bevor die Gruppe um Sepp Kerschbaumer zum großen Schlag ansetzen konnte.
Der Meraner BAS-Mann Sepp Mitterhofer erinnert sich in einem Interview mit dem Autor an den Tod seines Mitstreiters:
 
„Wir waren zusammen in einer Zelle und der Toni ist praktisch in meinen Armen gestorben. Wir waren an diesem Tag im Hof zum Freigang und da hat er plötzlich gemeint, dass ihm die Achsel und der Arm so weh tun. Ich habe ihm dann geraten, er solle aufs Krankenrevier gehen und sich eine Spritze geben lassen. Ich wusste, dass er herzkrank war.
Er ist dann ins Krankenrevier und als wir rund 20 Minuten später in die Zelle kamen, lag er im Bett. Ich habe mich zu ihm gesetzt und gefragt, wie es geht. Er meinte, schon viel besser. Plötzlich aber hat er gezuckt, zu röcheln begonnen und dann ist er schon blau geworden. Es hat kaum eine Minute gedauert und weg war er.“
 
 
Anton Gostner starb am 7. Jänner 1962. Die Todesursache Herzversagen. Er ist der zweite tote Südtiroler Häftling innerhalb von eineinhalb Monaten.
 

Der erste Tote

 

Am Abend des 22. November 1961 stirbt gegen 20.30 Uhr im Bozner Krankenhaus der 28jährige Franz Höfler. Höfler, Mitglied der Lananer BAS-Zelle, war am 15. Juli verhaftet und durch Schläge misshandelt worden. Als er am 26. September aus dem Gefängnis über die Misshandlungen berichtet, beendet er seinen Bericht mit den Worten:
 
"Ich glaube, Sie haben eine kleine Vorstellung von dem Ort der Mißhandlungen der Polizei. Diese Art von Behandlung wird sicher keine Früchte bringen und keine Liebe den anderen gegenüber zeitigen."
 
Am Sonntag des 19. November bricht Höfler während eines Spazierganges im Gefängnishof zusammen. Erst nach mehreren Stunden und nachdem der Unterlandler Häftling und Arzt Doktor Josef Sullmann die sofortige Einlieferung in ein Krankenhaus beantragt, wird Höfler ins Bozner Krankenhaus gebracht. Drei Tage später stirbt Höfler.
Zwei Wochen später erinnerten sich seine Mitgefangenen in einem gemeinsamen Brief aus dem Gefängnis an ihn:

“Franz Höfler war ein netter, ruhiger Junge. Wir sind oft mit ihm im Hofe spazieren gegangen. Er hat uns erzählt von seinen grausamen Torturen, die er bei den Carabinieri durchmachen musste. Er klagte über ganz unbestimmte, uncharakteristische Beschwerden. Er erzählte uns, dass er in seinem Leben nie eine Stunde krank gewesen sei, ja er wußte gar nicht einmal, was Krankheit sei, aber seitdem er bei den Carabinieri mit den grausamsten Martern gepeinigt wurde, seitdem fühle er sich nicht mehr gesund, bis er schließlich einmal im Hofe während des Spazierganges über so furchtbare Schmerzen in der Brust und am Rücken klagte, so dass er fast zusammenbrach. Dr. Sullmann leistete ihm die erste Hilfe und begleitete ihn in die Zelle. Er stellte fest: beginnende Lähmungserscheinungen des ganzen linken Ober- und Unterarmes. Er erkannte sofort die Dringlichkeit und Schwere des Falles und beantragte sofortige Einlieferung ins Krankenhaus, jedoch als ebenfalls Inhaftierten konnte seine Anordnung nicht befolgt werden und somit konnte er erst nach 3 stündigem Abwarten des Gefängnisarztes ins Krankenhaus eingeliefert werden."
 
Wenige Tage nach dem Tod Franz Höflers schrieb auch seine Mutter einen offenen Brief an die Bozner Staatsanwaltschaft:

"Aus der Zeitung erfuhr ich die Nachricht vom Tode meines Sohnes Franz Höfler. Mir ist bekannt, dass mein Sohn nach seinen Verhören bei der Polizei Anzeige wegen schwerer Misshandlungen erstattet hat. Ich verlange als Mutter, dass einwandfrei geklärt wird, ob der plötzliche Tod meines 28jährigen Sohnes, der in seinem Leben nie eine Stunde lang krank war, im ursächlichen Zusammenhang mit der von ihm angezeigten Misshandlung steht, und stelle den Antrag, dass ich als Mutter zur ärztlichen Untersuchung einen Privatsachverständigen meines Vertrauens entsenden kann. Falls die ärztliche Untersuchung den schweren Verdacht bestätigen sollte, dass der Tod meines armen Sohnes auf die von ihm beklagten und dem Gericht angezeigten Misshandlungen zurückzuführen ist, stelle ich schon heute Strafantrag gegen die Schuldigen."
 
 
Unter dem Druck der Öffentlichkeit und nach diesem formalen Antrag der Mutter, leitete die Bozner Staatsanwaltschaft eine Obduktion ein. Durchgeführt wurde sie schließlich vom Direktor des gerichtsmedizinischen Institutes der Universität Genua, Professor Franchini, von Professor Casanova, dem Primar des Krankenhauses Bozen und dem Südtiroler Chirurgen Hans Köllensperger. Von Seiten der Verteidigung konnten Senator Luis Sand und der Vorsitzende des gerichtsmedizinischen Institutes der Innsbrucker Universität Professor Franz Josef Holzer an der Obduktion teilnehmen. Das Ergebnis wurde Anfang Februar 1962 beim zuständigen Gericht in Bozen deponiert. Im Obduktionsbericht werden fünf Punkte angeführt:
 
  • Der Tod wurde durch die Blockierung des Herzens infolge einer ausgedehnten Blutausschwitzung im Hohlraum zwischen Herz und Herzbeutel hervorgerufen. (Bluterguss im Herzbeutel).
  • Der Obduktionsbefund stimmt mit dem in den Akten angegebenen Todestag überein.
  • Der Bluterguss im Herzbeutel wurde durch eines sackartige Erweiterung (Aneurysma) entlang des Aortabogens, der deutlich pathologisch-anatomische Veränderungen aufwies, hervorgerufen (Arteriosklerose-Media-Veränderung).
  • Bei der Obduktion wurden keine objektiven Zeichen für eine Misshandlung festgestellt.
  • Der Tod des Franz Hoefler erfolgte aus rein pathologischen Ursachen ohne jeglichen direkten oder indirekten Zusammenhang mit den behaupteten Misshandlungen, denen der Hoefler vier Monate vorher ausgesetzt worden wäre.
     
Dreißig Jahre später weist der Bozner Arzt Roland Köllensperger in einem Gespräch mit dem Autor daraufhin, dass man diesen Obduktionsbefund auch anders lesen kann. Roland Köllensperger, der als gerichtlicher Sachverständiger die Obduktion der Leiche Sepp Kerschbaumers durchführte, ist überzeugt, dass Franz Höfler an den Folgen der Folterungen gestorben ist:
 
“Schauen sie, er ist an einer Aortenrotdur mit einer Herzbeuteltamponade gestorben. Das ist bei einem gesunden, nicht Herzkranken jungen Menschen fast unmöglich....(...).... Ich glaube sein Tod ist eine direkte Folge der Folterungen. Denn bei Schlägen steigt der Blutdruck bis auf 300 an. So kann es vorkommen, dass die Innenhaut der Schlagader reißt. Genau das ist bei Höfler passiert. Die Innenhaut der Aorta ist gerissen und es hat sich ein Blutgerinnsel gebildet, das den Riss schließen wollte. Das Blutgerinnsel hat sich dann aber in den Arm heraus verlagert. Es kam zu einer Arm-Embolie. Das Blut ist durch den Aorta riss in den Hautzwischenraum geflossen. Von dort dann zurück in den Herzbeutel. Wo es dann eine Herzbeuteltamponade, d.h. eine Komprimierung des Herzens verursacht hat."
 

Die Misshandlungen

 
Anfang Juli 1961 hatten vor allem die Carabinieri Südtirol weit rund 150 BAS-Mitglieder verhaftet. Tagelang blieben die Verhafteten im Gewahrsam der Carabinieri. Dabei wurden auch die bereits in Gefängnis eingelieferten BAS-Leute, wie etwa Anton Gostner, wiederum in die Carabinieri-Kasernen gebracht. Offiziell zu Gegenüberstellungen.
In Wirklichkeit wurden viele der Inhaftieren aber brutal misshandelt. Eine Gruppe von Carabinieri-Offizieren gebrauchten rohe Gewalt und Foltermethoden, um Geständnisse heraus zu prügeln. Mit Erfolg. Innerhalb von zehn Tagen war der Großteil des Südtiroler BAS hinter Gittern.
 
 
Bereits um den 20. Juli 1961 dringen aber die ersten stichhaltigen Beweise der Folterungen aus den Gefängnissen. Vor allem die österreichische Presse beginnt damit die Vorgänge in den Carabinierikasernen aufzugreifen. Die Häftlinge schreiben Berichte über das, was hinter den Mauer der Kasernen in jener Juliwoche 1961 passiert war. Fast wöchentlich werden neue schreckliche und erschütternde Folterberichte aus dem Gefängnis geschmuggelt und an Anwälte und an die maßgeblichen SVP-Politiker weitergeleitet. So bekommt die Südtiroler Politik und fast zeitgleich Österreichs Regierung an die 50, formal zumeist ungelenk geschriebene, in ihrem Inhalt aber erschütternde Berichte von Häftlingen auf den Tisch. Berichte, die Misshandlungen dokumentierten, die eher an die Methoden eines Internierungslager in einer faschistischen Diktatur erinnerten, als an das demokratische Nachkriegseuropa der sechziger Jahre.
Einer dieser Bericht stammt von Engelbert Gostner. Der Brixner BAS-Mann schreibt am 16. August 1961 an seinen Anwalt Fritz Egger:

"In dem ich Ihnen berichten muß daß man mich so schon auf der Miserabelsten und Prutalsten Weise misshandelt hat. Man hat mich volle 5 Tage und Nächte an einer Mauer hin gestellt und ohne was zu Essen und natürlich zu Schlafen Sie können ihnen ja vorstelen wie das einen Mändschen fertig macht und dazu hat man mich höftig geschlagen mann hat mir auf den Kopf geschlagen in den Magen gebort und in die Rippen von allen seiten ich glaube es ist in ganzen Köber nicht mehr eine stele, die was ohne hib davon gekommen ist. Ich weiß auch nicht mehr alles weil ich ab und zu nicht mehr beisinen war..."
 
Anton Gostner war im Juli 1961 plötzlich aus dem Gefängnis geholt worden, in die Carabinieri-Kaserne nach Brixen gebracht worden und dort schwer misshandelt worden. Den Brief vom August 1961 beschließt Gostner mit den Worten:
 
"Ich möchte Sie bitten, Herr Doktor, sich zu erkundigen, ob das wirklich alles erlaubt ist. Noch dazu mit meinem Herzleiden, was ich habe. Ich könnte es verstehen, wenn ich wirklich ein Verbrecher wäre, aber so kommt es mir schon ein bißchen kraß vor."
„Ich könnte es verstehen, wenn ich wirklich ein Verbrecher wäre, aber so kommt es mir schon ein bißchen kraß vor."
Keine fünf Monate später ist Anton Gostner tot. Eine Obduktion ergibt, dass der Brixner an einer Herzkrankheit litt und an einem Infarkt gestorben ist.
Am 14. Jänner 1962 wird Gostner zu Grabe getragen. Rund 10.000 Menschen nehmen an seinem Begräbnis in St. Andrä bei Brixen teil. Am selben Tag treten die rund 90 BAS-Häftlinge in den Gefängnissen von Bozen und Trient in einen unbefristeten Hungerstreik. Sie forderten die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission, weil „ihr Vertrauen in den Rechtsstaat Italien restlos erschüttert sei.“
Dazu kommt es aber nicht.
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Hartmuth Staffler Sa., 07.01.2017 - 18:16

In Brixen hat man die Schreie der in der Carabinierikaserne Gefolterten weitum gehört, aber niemand hat die Zivilcourage gehabt, dagegen etwas zu tun. Er wäre wohl auch gefoltert worden.

Sa., 07.01.2017 - 18:16 Permalink