Kultur | Salto Afternoon

Am achten Tag

Der Architekt und Autor Christoph Flarer entfernt sich gern ein paar Schritte von der Realität. Dort entstehen seine literarischen Motive.
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Foto: Quelle: literardio.org

Am Freitag, 10. Februar, laden Bücherwelten und die Südtiroler Autorinnen und Autorenvereinigung (SAAV) zum Leseabend SAAV DreiPunktNull (der neuen SAAV-Mitglieder) ins Waltherhaus Bozen.
SALTO stellt die jungen, frischen Stimmen mit Fragebogen und Textauszug vor. Teil 3: Christoph Flarer

Salto.bz: Wenn du dir drei Räume aussuchen kannst, in denen du dich verorten möchtest: Wie schauen sie aus?
Christoph Flarer: Wenn ich einen Raum betrete spüre ich sofort, ob ich mich in dieser Umgebung wohl fühle; die Räume können noch so unterschiedlich in ihrer Ästhetik, Größe und Funktion sein, der erste Eindruck ist nicht zu verdrängen. Die Wände eines Raumes können begrenzend sein, sie können schützend sein, die Wände eines Raums können die Gedanken einengen oder sie können Dich ermutigen, ein Wagnis einzugehen.  
Der erste Raum wäre ein erdtonfarbener Raum, dessen Wände aus Noten bestehen und der mit schweren Polstermöbeln ausgestattet ist, in denen ich so tief versinke, dass nur mehr der linke große Zeh zu sehen ist.
Der zweite Raum wäre kein Raum, sondern eine eiskalte weiße, karge Landschaft im Norden Finnlands, wo sämtliche Geräusche von der Schneedecke absorbiert werden, bevor ein Laut bis zu den Gehörmuscheln vordringen kann.
Der dritte und letzte Raum riecht nach Sägespäne und frischem, pechtriefendem Holz.

Ein selbst geschaffener Neologismus?
Bin mir nicht sicher, ob ich jemals einen Neologismus geschaffen oder verwendet habe; falls doch, hat ihn Gloria, die Lektorin, gestrichen. 

Warum schreiben?
Schreiben bedeutet für mich Freiheit in vielerlei Hinsicht. Freiheit, mir die Zeit zu nehmen einen Gedanken zu fassen und ein Wort an das nächste Wort zu reihen. Das Privileg, Sätze und Aussagen durchzustreichen und zu vergessen oder zu verbessern. Freiheit, Grenzen zu überschreiben und neue zu ziehen. Die Freiheit mit Worten Bilder zu erschaffen – im Gegensatz zu meinem Brotberuf ganz ohne Bauherren.

Welche Motive tauchen in deinem Schreiben immer wieder auf?
Motive, die meist ein bis zwei kleine Schritte von der Realität entfernt sind.

Welche Frage möchtest du dir selbst gerne stellen?
Ein Frage, auf die es nur eine einzige Antwort gibt.

 

SAAV DreiPunktNull
Freitag, 10. Februar 2016 - 19-21 Uhr
Bozen, Waltherhaus, oberes Foyer 
​Mit: Christoph Flarer, Anna Gschnitzer, Barbara Ladurner, Serena Osti, Barbara Zelger und Marcel Zischg
- Eintritt frei

SALTO in Kooperation mit: SAAV, Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung 

 

Textauszug aus dem Roman:

Am achten Tag

Es war ein Mittwochmorgen. Winter. Die Temperaturen eisig. Tereza reinigte die Schaufenster des Bettengeschäfts, in dem sie seit einigen Jahren arbeitete. In diesen frühmorgendlichen Stunden wurde die Innenstadt von denen bevölkert, die man dort sonst zu anderen Tageszeiten nie zu Gesicht bekam: Zulieferer und Händler mit ihren Autos, die die Geschäfte mit Waren auffüllten und hinterher gleich wieder verschwanden, bevor sich die Läden für die Kundschaft öffneten.
Tereza rieb ihre Handflächen fest aneinander und hauchte ihren warmen Atem zwischen die Finger. Während sie im Freien arbeitete und fror, war ihre Kollegin Sandra mit der Neugestaltung der Auslage beschäftigt und sichtlich froh, im Warmen bleiben zu dürfen. Tereza nahm den Lappen aus dem inzwischen lauwarmen Wasser und fuhr damit über die Glasscheiben. Bald würde sie diese Arbeit hinter sich gelassen haben. Seit ihrer Kündigung war sie wie verwandelt und eine nicht zu übersehende Beschwingtheit begleitete ihren Tagesrhythmus. Sie wusste ihre Arbeit zu schätzen, hatte sich in dieser Umgebung auch immer wohlgefühlt, aber dennoch sah sie den drei Monaten in der Mongolei mit Freude entgegen. Und allem, was danach kam.
Es war ihre Idee gewesen, nach Ulaanbataar zu fliegen und von dort aus durch das ganze Land zu reisen. Marek war überraschenderweise gleich davon begeistert gewesen. Er, der sonst nicht so viel davon hielt, sich außerhalb eines bekannten Gebietes zu bewegen, hatte die Kluburlaube vielleicht auch satt. Jedes Jahr hatten sie ihre freien Tage in einer dieser Enklaven verbracht – losgelöst von der Umgebung, eingepfercht unter Stammesgleichen, die den Tag zwischen klimatisierten Zimmern, Mittagsbuffet, Pool und Cocktails verbrachten, nur um dann und wann an durchorganisierten Touren teilzunehmen, welche die romantische Illusion bestärken sollten, ein fremdes Land sowie dessen Kultur erlebt, nein, sogar verstanden zu haben. Sie konnte diesen Massenabfertigungsurlauben noch nie viel abgewinnen. Doch Marek hatte sich bisher nie dazu überwinden können, länger als eine Woche von seiner Firma fernzubleiben. Und zugegeben, auch ihre Bequemlichkeit hatte einen Teil dazu beigetragen, dass sie letztendlich immer in einer dieser Ferienanlagen gelandet waren. Mit ihrer Kündigung und dem damit verbundenen Drang, einige Dinge zu ändern, hatten sie sich dieses Jahr endlich für eine längere Auszeit und eine andere Art zu Reisen entschieden.
Tereza schrubbte mit einer groben Bürste den Sockel des Schaufensters ab. Sandra hatte ihre Arbeit im Innenbereich inzwischen erledigt. Sie winkte ihrer Kollegin zu und verschwand dann aus dem Schaufensterbereich.
Die Innere Mongolei war nur spärlich für den Massentourismus erschlossen, doch hatten Tereza und Marek sich gut darauf vorbereitet. Tereza konnte schon im Schlaf die Tagesabschnitte, -ziele und Attraktionen ihrer Route abrufen. Auf digitalen Landkarten und Satellitenbildern, sofern es denn welche gab, hatten sie sich gemeinsam die entsprechenden Orte angesehen, die Gegenden, die sie passieren würden, studiert, sich mit den landestypischen Gepflogenheiten vertraut gemacht, über kulinarische Spezialitäten informiert und die Daten auf Mareks Smartphone gespielt. Er hatte sich außerdem ein Navigationsgerät gekauft, das neueste, das gerade auf dem Markt war. Der Sommer würde gerade beginnen, wenn sie in diesem fernen Land ankamen. Zurzeit herrschten dort durchschnittlich Temperaturen von 16 bis 22 Grad Celsius. Nur die Nächte waren bitterkalt. Aber auch dafür waren sie gerüstet.
Verdammt, dachte Tereza, so sehr sie auch rieb, sie bekam das moosartige Geflecht am Fuße des Sockels nicht weg. Aber zumindest war ihr durch das kräftezehrende Schrubben etwas wärmer und in einer Woche würde sie über alle Berge sein.