Gesellschaft | Frauenkampftag

Die im Dunkeln sieht man nicht*

Ein paar Gedanken zum internationalen Frauenkampftag am 8. März.

Unbezahlte Pflege- und Reproduktionsarbeit wird auch im 21. Jahrhundert vorwiegend von Frauen übernommen - historisch gewachsene Ungleichheiten prägen Vorurteile und beeinflussen reale Verhältnisse stark zum Nachteil der Frauen.

„Sobald man […] nicht mehr mit der Großfamilie unter einem Dach lebt und außer Haus erwerbstätig ist, fallen zwei Lebensbereiche physisch auseinander. Auf der einen Seite das Draußen, die reguläre, geachtete, bezahlte, weithin sichtbare und allseits anerkannte Arbeit - jene Arbeit, die wir ‚Lohnarbeit‘ nennen, die Wohlstand stiftet und sehr häufig auch Status und Sinn. Auf der anderen Seite jene zweite, unbezahlte Art von Arbeit, die in der Wissenschaft ‚Reproduktionsarbeit‘ genannt wird. Damit sind jene Tätigkeiten gemeint, die notwendig sind, damit alle Mitglieder einer Gesellschaft satt, sauber, zufrieden und emotional ausgeglichen sind. Die ist weniger sichtbar, wird oft nicht als ‚richtige‘ Arbeit anerkannt und ist meistens unbezahlt.“ So beschreibt die Journalistin Sibylle Hamann die zweigleisige Entwicklung der Arbeit in ihrem 2014 erschienenen Buch “Saubere Dienste". Was sich daraus ergibt, ist eine Spirale aus Vorurteilen, Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen, Ungleichheiten und vor allem Ungerechtigkeiten.

Um das Ganze in Zahlen zu gießen

Italien ist europaweit der Staat mit der größten Differenz, wenn es darum geht, wieviel Zeit Männer und Frauen für Reproduktionsarbeit aufwenden: 76,2 Prozent der Haushaltsarbeit wird laut einer 2015 veröffentlichen Studie des Eurostat in Italien von Frauen erledigt. In der 2014 vom Landesinstitut für Statistik veröffentlichten Mehrzweckerhebung der Haushalte geben 40% der Frauen an, zwischen 10 und 30 Stunden wöchentlich mit Hausarbeit beschäftigt zu sein - aber nur 21% der Männer. Ein Drittel der befragten Männer gab sogar an, überhaupt keine Hausarbeit zu verrichten. Auch daher sind viele Frauen gezwungen nur Teilzeit-Beschäftigung anzunehmen: Laut Genderbericht 2012 arbeiten 42% der erwerbstätigen Frauen in Südtirol Teilzeit, aber nur 6,8% der erwerbstätigen Männer.

Unsichtbar bleibt hinter diesen Zahlen die emotionale Reproduktionsarbeit, die Hamann in ihrer Definition auch anspricht und beispielsweise mit folgenden Fragen aufgezeigt werden kann: Wer kümmert sich in der Beziehung darum, dass der gemeinsame Wohnraum angenehm gestaltet ist? Wer sorgt für einen regulären Alltagsablauf (etwa Essenszeiten)? Wer ist für die Organisation von gemeinsamen Freizeitaktivitäten wie Wochenendausflügen zuständig? Wer versöhnt streitende Geschwister miteinander? Wer tröstet und unterstützt? Wer ist verantwortlich für eine angenehme Stimmung, für die “Harmonie im Haus”?

Definieren wir nun Sexismus als Zusammenwirkung von Vorurteilen und Macht, so fällt das Bild der Frau am Herd durchaus in diese Kategorie: Das Klischee, Frauen könnten Reproduktionsarbeit - klassische wie emotionale - besser verrichten als Männer ist zwar Schwachsinn, erschwert es Frauen aber, aus dieser Rolle auszubrechen. Weiter gedacht führt diese Tatsache außerdem zu finanziellen Abhängigkeitsverhältnissen und hindert Frauen daran, machtvolle, von Männern besetzte Positionen einzunehmen und einzufordern. Aussagen, es sei nur „natürlich“, dass sich Mädchen und Jungen aufgrund ihres Geschlechts für verschiedene Fachbereiche, Studienrichtungen, Berufe usw. interessieren, haben also abseits von ihrer biologistischen Basis einen sexistischen Kern.

Noch einen Schritt weitergedacht: Wenn wir unterbezahlte Arbeitskräfte aus dem Ausland die Hausarbeit für uns machen lassen, die zum größten Teil auch Frauen sind, verschieben wir das Problem nur. Damit sind Machtstrukturen keineswegs aufgebrochen, sie sind nur auf eine mehrfach diskriminierte Gruppe abgewälzt, nämlich auf Frauen mit Migrationserfahrung.

Das Ganze ist also unglaublich komplex und vielschichtig. Das Problem heißt Patriarchat, und ein einzelner Tag im Jahr wird nicht reichen, um es aus den Angeln zu heben.

Was wünsche ich mir also zum 8. März?

Ich wünsche mir am 8. März keine salbungsvollen Presseaussendungen, die zur Wertschätzung der unbezahlten Reproduktionsarbeit von Frauen aufrufen, denn die stellen die herrschenden Verhältnisse nicht in Frage. Ich wünsche mir keine Blumen, keine Männer, die mir aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen gratulieren. Ich wünsche mir vielmehr, dass sie ernst nehmen, wenn Frauen von ihren Erfahrungen mit Sexismus und Diskriminierung berichten und diese Erfahrungen nicht in Frage stellen. Ich wünsche mir, dass sie es Frauen am 8. März und an jedem anderen Tag ermöglichen vorne zu stehen, indem sie einen Teil der Reproduktionsarbeit übernehmen - der klassischen wie auch der emotionalen. Ich wünsche mir, dass sie ihre Position in der Gesellschaft und die damit verbundenen Privilegien reflektieren und Frauen die Bühne überlassen.

Ich wünsche mir, dass Frauen am 8. März - und an jedem anderen Tag auch - gemeinsam, solidarisch und laut und in der Öffentlichkeit, auf der Straße sind. Denn die im Dunkeln sieht man nicht.

*Der Titel stammt aus Bertold Brechts “Dreigroschenoper”. Der Autor ist ein Beispiel von vielen, wenn es darum geht, dass Männer die Ergebnisse der Arbeit von Frauen als ihre eigenen ausgaben oder gar deren Veröffentlichung verhinderten.  

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gorgias Mo., 07.03.2016 - 09:38

Auf der anderen Seite jene zweite, unbezahlte Art von Arbeit, die in der Wissenschaft ‚Reproduktionsarbeit‘ genannt wird. Damit sind jene Tätigkeiten gemeint, die notwendig sind, damit alle Mitglieder einer Gesellschaft satt, sauber, zufrieden und emotional ausgeglichen sind.

Darunter fällt dann auch sich vom Ehemann bebumsen zu lassen?

Die ist weniger sichtbar, wird oft nicht als ‚richtige‘ Arbeit anerkannt und ist meistens unbezahlt.

Ja da gibt es auch eine Gruppe von gewerblich nicht angemeldete Freiberufler die sehr sichtbar und ohne Rechnung ihre Dienste anbieten, sog. Sexarbeiter.

Sollen Frauen für die innerfamiliäre Sexarbeit nun Landesbeiträge erhalten, um deren Sichtbarkeit und gesellschaftlichen Anerkennung zu steigern? Und für alle innerfamiliären Dienste die nicht abgerechnet werden können?

Mo., 07.03.2016 - 09:38 Permalink
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gorgias Mo., 07.03.2016 - 09:49

dass sich Mädchen und Jungen aufgrund ihres Geschlechts für verschiedene Fachbereiche, Studienrichtungen, Berufe usw. interessieren, haben also abseits von ihrer biologistischen Basis einen sexistischen Kern.

Das Klischee, Frauen könnten Reproduktionsarbeit - klassische wie emotionale - besser verrichten als Männer ist zwar Schwachsinn,

Ist das nun wissenschaftlich abgesichert oder nur ein genderfeministisches Dogma?

Wer Anthropologie und Soziologie betreiben will ohne die biologischen Aspekte, oder die Tatsache einzubeziehen, dass der Mensch aus dem Tierreich kommt, ja im Grunde dieses nicht verlassen hat, hat das gleiche Problem wie jemand der sein Unterleib als einen Fremdkörper sieht: Eine Wahrnehmungsstörung.

Mo., 07.03.2016 - 09:49 Permalink