Politik | Kommentar

Machtkampf im Quirinalspalast

Keiner kennt die trickreichen Spiele der politischen Parteien besser als der sizilianische Verfassungsrechtler Sergio Mattarella. Er agiert als einziger Schiedsrichter.
Sala degli Specchi
Foto: palazzo.quirinale.it

In seinen endlosen Gängen und freskengeschmückten Gemächern kann man sich hoffnungslos verirren.

Seit Jahrhunderten ist der Quirinalspalast ein symbolträchtiger Schauplatz römischer Macht und dunkler Intrigen. Hier residierten Päpste und Könige, wurden Umstürze geplant, Kardinäle gekürt und Machtspiele ausgeheckt..

Unvorstellbare 110.000 Quadratmeter umfasst die Fläche des Palastes – das Siebenfache des Weissen Hauses. Die Konsultationen zur Bildung der neuen Regierung lassen vom Glanz der Vergangenheit freilich nur bescheidene Reste durchschimmern. Grossgewachsene Kürassiere salutieren zackig mit der Hand am Helm, livrierte Bedienstete lenken die Delegationen gewandt durch das Gewirr der Gänge bis in das studio della vetrata, in dem der Staatspräsident residiert.

Sergio Mattarella hat in den drei Jahren seiner Präsidentschaft den aufgeblähten Personalstand des Quirinals abgebaut, viele Prunkräume und die legendären Gärten für Besucher geöffnet. Der 76-Jährige schätzt Bescheidenheit und den Dienst an der Allgemeinheit. Den fordert er auch von den Parteien. Als Politiker mit langer Erfahrung weiss Mattarella natürlich, dass sich die Regierungsbildung als gordischer Knoten darstellt, als politisches Ballett mit kontroversen Darstellern wie Luigi Di Maio und Silvio Berlusconi und ihrem Ritual der veti incrociati.

Einen sanftmütigen, aber entschlossenen Mann wie Mattarella ficht das nicht an. Er weist den störrischen Parteien den Kurs in Richtung neue Regierung. Jeder muss dabei Abstriche akzeptieren, seine Machtvorstellungen revidieren, seine Koalitionspläne überdenken.

Keiner kennt diese trickreichen Spiele besser als der sizilianische Verfassungsrechtler Sergio Mattarella, der im Kampf um die Macht als alleiniger Schiedsrichter agiert

Nach den ersten Gesprächen gibt es keinen Sondierungsauftrag und kein Datum für eine zweite Konsultationsrunde. Die Verhandlungen sind festgefahren, bevor sie richtig begonnen haben. Luigi Di Maio besteht auf einer Regierung mit Lega oder Partito Democratico – und ohne Berlusconi. Der PD profiliert sich dabei als einzige Partei Europas, die eine Regierungsbeteiligung als Schreckgespenst wertet. Das sagt einiges aus über den Zustand der zerrütteten Partei. Nach Di Maios Vorstellungen sollte Lega-Chef Salvini seinem Bündnispartner Berlusconi einen Fusstritt verpassen. Doch der entscheidet sich plötzlich für das Gegenteil: Zur nächsten Verhandlungsrunde geht die Lega gemeinsam mit Forza Italia und Fratelli d'Italia.

Ein für Di Maio schwer verdaubarer Schlag. Die Lega befürchtet nun, dass Mattarella eine Persönlichkeit aus der Zivilgesellschaft als Präsidenten vorschlägt.

Machtkämpfe, die das Wahlvolk schwer nachvollziehen kann. Wer kann begreifen, dass der plötzlich so staatsmännische Fünf-Sterne-Chef ausgerechnet mit jenem PD koalieren will, den er noch unlängst als "il male dell'Italia" und "il simbolo del malaffare" angeprangert hat? Oder dass Matteo Salvini, der vor der Wahl einen populistischen Eid auf das Evangelium geschworen hat, seine Position abrupt wechselt und in Berlusconis Arme  urückkehrt ? Das politische Ballett scheint sogar den bereits zurückgetretenen PD-Chef Renzi zu animieren. Er bietet den Grillini urplötzlich Verhandlungen an. Die Bedingung: Di Maios Verzicht auf das Amt des Regierungschefs.

Keiner kennt diese trickreichen Spiele besser als der sizilianische Verfassungsrechtler Sergio Mattarella, der im Kampf um die Macht als alleiniger Schiedsrichter agiert. Auf kurzfristige Entscheidungen setzt er nicht. Eher auf eine Verlängerung der Spielzeit  – und auf die zunehmende Erschöpfung der trickreichen Protagonisten.