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Ein Zeichen gegen Antiziganismus

Der 8. April ist der Internationale Tag der Roma. Neben der größten sind auch andere Gruppen dieser Minderheit von Diskriminierung betroffen.
Titel1
Foto: Salto.bz

Rom, nicht mit langem, sondern mit kurzem 'o', bedeutet 'Mensch', und der Plural Roma entsprechend 'Menschen'. Als solche möchten sich die Angehörigen dieser Volksgruppe auch betrachtet sehen. Desgleichen die Sinti (Singular: Sinto): In Deutschland etwa stellen sie den größten Anteil der ethnischen Minderheit, die im deutschen Sprachraum, nicht immer zu Unrecht übrigens, als ‚Zigeuner‘ tituliert werden. Zu der kniffligen Begriffsfrage später mehr.
In Südtirol, ist auf der offiziellen Webseite der Provinz Boten zu lesen, „leben derzeit zirka 900 bis 1.100 Personen, welche der ethnischen Minderheit der Sinti und Roma angehören.“ Interessant ist die anschließende Differenzierung: „Die Sinti“, heißt es weiter, „sind italienische StaatsbürgerInnen, die seit mehreren Generationen in Südtirol leben.“  Anders die Roma: Bei ihnen „kann es sich sowohl um EU-Bürger als auch um nicht EU-Bürger handeln, je nach Geburtsort. Die in Südtirol lebenden Roma stammen vor allem aus dem Balkan und Osteuropa, wie zum Beispiel Rumänien.“

Diskriminierungen gegen Angehörige dieser Minderheiten nahmen bereits im ausgehenden Mittelalter ihren Anfang und haben sich bis in die heutige Zeit fortgesetzt. Negativer Höhepunkt war die Ermordung von mehr als 100 000 vorwiegend Sinti in deutschen Vernichtungslagern.

Ganz gleich ob Sinti oder Roma oder, um noch weitere verwandte Ethnien zu nennen, Jenische, Kaldara oder Lowara: Diskriminierungen gegen Angehörige dieser Minderheiten nahmen bereits im ausgehenden Mittelalter ihren Anfang und haben sich bis in die heutige Zeit fortgesetzt. Negativer Höhepunkt war die Ermordung von mehr als 100 000 vorwiegend Sinti in deutschen Vernichtungslagern. Da diese in der Sicht der Nationalsozialisten als Arier durchgingen, musste für ihre Tötung das pragmatische Konstrukt bemüht werden, es handele sich um asoziale, nicht in den gesunden Volkskörper integrierbare ‚Elemente‘. 
Heute versprechen sich Rechtspopulisten von einer Sündenbockstrategie zu Lasten der Roma – der Gruppe, die vor allem im zentralen und südöstlichen Europa die Mehrheit unter dem Minderheitenvolk stellt – handfeste politische Vorteile. Manche, deren Namen es nicht wert ist, an dieser Stelle erwähnt zu werden, faseln davon, ‚Zigeuner‘ – in diesem Zusammenhang ist der Begriff eindeutig negativ konnotiert! – wieder in Lagern zu konzentrieren. 


Zuweilen ist es aber auch ein durchaus vorhandener guter Wille, der seltsame Blüten treibt und sprachlichen Unsinn produziert. Im südwestdeutschen Bundesland Rheinland-Pfalz etwa dürfen Sinti und Roma nicht mehr Zigeuner genannt werden. Eine Zeitlang wurden sie dann tatsächlich unter der Bezeichnung "mobile ethnische Minderheiten" geführt. Als lebte jeder Roma oder Sinti im Wohnwagen! Es ist ja auch nicht so, dass jeder Gadsche (so heißen Nichtroma auf Romanes und Sintitikes) im Eigenheim lebt, das er von Gartenzwergen bewachen lässt. Guten Gewissens dagegen kann man den Mehrheitsvölkern in Südtirol, Österreich, Deutschland und der Schweiz einen Hang zu Fernreisen nachsagen und dies mit Statistiken begründen. Kaum anders verhält es sich mit Sinti und Roma, nur dass bei letzteren aus der Art des Reisens Schlüsse gezogen werden, die wiederum Stereotypen bedienen und Vorurteile verfestigen.

'Zigeuner' aber, findet Bauerdick, dürfen auch Südtiroler, Österreicher, Deutsche und Schweizer sagen; vorausgesetzt, das Schicksal – auch das aktuelle – dieser Volksgruppe liegt dem Sprecher wirklich am Herzen!

Jetzt aber zur Beantwortung der Frage, ob wir 'Zigeuner' sagen dürfen. Ja, sagt Rolf Bauerdick, Autor des Reportagebandes Zigeuner. Begegnungen mit einem ungeliebten Volk. Es gebe unterschiedliche Gruppen in unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen und Traditionen; von diesen hätten viele nichts dagegen einzuwenden, wenn man sie als ‚Zigeuner‘ bezeichnet. Nun könnte der Einwand folgen, einem Volk ehemaliger Herrenmenschen gezieme dies nicht. Zumal dessen Nachkriegsregierungen sich jahrzehntelang zierten, Überlebenden oder Hinterbliebenen eine Entschädigung zu zahlen; hauptsächlich aus dem Grund, weil mit dieser Minderheit kein Staat zu machen und keine internationale Aufwertung qua so genannter Wiedergutmachung zu erreichen war. 'Zigeuner' aber, findet Bauerdick, dürfen auch Südtiroler, Österreicher, Deutsche und Schweizer sagen; vorausgesetzt, das Schicksal – auch das aktuelle – dieser Volksgruppe liegt dem Sprecher wirklich am Herzen! Tatsächlich zeigt, wer häufig in den Ländern unterwegs ist, in denen viele Nichtgadsche leben, in der Regel weniger Berührungsängste mit jenen. Auch dies ist, vielleicht mehr noch als die Bereitschaft zur korrekten Begriffsverwendung, ein Zeichen von Respekt und Anerkennung.


Wer seine Kenntnisse über Sinti und Roma – und über Jenische, Kaldara, Lowara und weitere Volksgruppen – vertiefen möchte, dem sei das Werk der Historikerin Karola Fings empfohlen. Ihr sehr kompakter Band Sinti und Roma: Geschichte einer Minderheit gibt einen ersten Überblick über das Volk und seine Volksgruppen, deren Geschichte vor 1933, den Völkermord der Nationalsozialisten und auch die aktuellen Entwicklungen seit 1945 bis heute. Wer es umfassender mag, sei auf die von Fings geleitete aktuelle Studie an der Universität Heidelberg hingewiesen. Es ist die erste Untersuchung zur europäischen Dimension des Genozids an Sinti und Roma. Auf fünf Jahre angelegt, soll am Ende eine mehrbändige Enzyklopädie erscheinen.

Da es sich bei dem Minderheitenvolk um alles andere als eine homogene Einheit handelt, ist bei jeder Pauschalisierung und Generalisierung Vorsicht angebracht.

Fings spricht sich übrigens dafür aus, die Angehörigen des Minderheitenvolks entsprechend ihrer Volksgruppe zu bezeichnen - falls dies möglich ist. Mit dem Oberbegriff ‚Zigeuner‘ tut sich Fings schwerer als Bauerdick: Für manche Angehörige sei diese Bezeichnung tatsächlich ein Teil ihrer Identität, für andere nur eine despektierliche Titulierung seitens eines bestenfalls desinteressierten Mehrheitsvolks. Bleibt festzuhalten: Da es sich bei dem Minderheitenvolk um alles andere als eine homogene Einheit handelt, ist bei jeder Pauschalisierung und Generalisierung Vorsicht angebracht. Doch auch in der politischen Korrektheit, siehe Rheinland-Pfalz, lauern Fallen.

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Hartmuth Staffler Do., 08.04.2021 - 14:50

Ich habe längere Zeit unter Romas im Zigeunerviertel Shutka in Skoplje in Mazedonien gelebt und verschiedene Hilfsaktionen für Romas in Rumänien organisiert. Niemand von diesen hatten etwas dagegen, als Zigeuner bezeichnet zu werden. Ich habe ihre Kultur und vor allem ihr Anderssein erlebt und wohl auch, so glaube ich, verstanden. Es geht doch immer nur darum, dass man akzeptiert, dass andere Menschen eben anders sind. Diese Akzeptanz muss auf Gegenseitigkeit beruhen, dann gibt es keine (oder weniger) Probleme. Die Geschichte der Sinti in Südtirol müsste noch geschrieben werden, sie ist faszinierend. Es hat Zeiten gegeben, da waren sie verhältnismäßig gut integriert, waren bei den Bauern als Kesselflicker, Scherenschleifer und Erntehelfer durchaus willkommen. Der Faschismus hat sie diskriminiert, der Nationalsozialismus hat sie brutal verfolgt, so dass die Gemeinschaft der Sinti in Südtirol beschlossen hat, nicht mehr, wie bisher, Deutsch, sondern nur noch Italienisch zu reden. Wir haben Freunde verloren.

Do., 08.04.2021 - 14:50 Permalink
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Sepp.Bacher Do., 08.04.2021 - 17:48

Antwort auf von Hartmuth Staffler

Ich kenne eine Sintifamilie mit einem deutschen Namen, die ursprünglich aus Böhmen oder Österreich kamen. Sie sprechen keine Deutsch mehr. Von denen weiß ich, dass sich die Sinti-Clans untereinander nicht immer gut verstehen. Z. T. sind sie auch anderer Religion, z. B. evangelisch. Mit den Roma solidarisieren sie sich nicht.
Die Position von Prof. Bauerdick hatte ich schon vor Jahren in einer Ö1-Sendung gehört. Ich hatte auch schon anderweitig vernommen, dass bestimmte Roma sich lieber als Zigeuner bezeichnen lassen, obwohl sie immer sesshaft waren, als die Bezeichnung Roma, weil in bestimmten Gegenden, genau diese Bezeichnung negativ konnotiert ist.

Do., 08.04.2021 - 17:48 Permalink
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Hartmuth Staffler Do., 08.04.2021 - 20:42

Antwort auf von Sepp.Bacher

Ich habe mich sehr für die Religiosität der Roma in Mazedonien und in Rumänien interessiert. Meine Erfahrungen sind sicher nicht unbedingt zu verallgemeinern, aber doch sehr interessant. In Mazedonien waren die meisten der Romas, mit denen ich Kontakt hatte, offiziell islamisch. Ihr größter Feiertag war aber der 15. August, Maria Himmelfahrt. Da sind sie zur katholischen Kirche gekommen, die Frauen haben tags zuvor einen roten Wollfaden um die Kirche gezogen, der dort 24 Stunden bleiben musste. Danach haben sich die Frauen diesen Wollfaden um den Bauch geschlungen. Das soll die Fruchtbarkeit erhöhen, offensichtlich mit Erfolg. In der Kirche standen große Fässer mit Weihwasser bereit, mit dem die Frauen ihre kleinen Kinder gewaschen haben. Besonders für die Augen sollte das Weihwasser wichtig sein. Auch in Medjugorje, für alle Zigeuner (Sinti und Roma) am Balkan wohl der wichtigste Wallfahrtsort, habe ich viele von ihnen, gleich welcher Religion, getroffen. Ebenso werden aber auch die orthodoxen Heiligen verehrt, vor allem Alexander und Georg. In Rumänien haben sich viele der dortigen Romas den Sekten zugewandt, die von Missionaren aus den USA dorthin gebracht wurden (Adventisten usw.) Das ist durchaus verständlich, da die Missionare den Eintritt in ihre Sekte mit großzügigen Geld- und Lebensmittelspenden verbunden haben. Ich kenne Romas, die deswegen gleich bei mehreren Sekten Mitglied geworden sind, ein durchaus verständliches Verhalten.

Do., 08.04.2021 - 20:42 Permalink