Gesellschaft | Einwanderung

Schreckgespenster

Die Wahrnehmung von Immigranten in Großbritannien aus osteuropäischen Ländern ist laut einer an der Universität Bozen diskutierten Studie kaum mit der Realität vereinbar.
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Schreckgespenster
Foto: CC0

Polnische Wodkaflaschen türmen sich hinter der gestutzten roten Heckenrose im Garten nebenan, oh dear! Ein Ungar macht sich zuhause an der überlaufenden Toilette zu schaffen, JesusMariaJoseph! Und ein tschechischer Überflieger klaut dem Töchterchen den heiß begehrten Job direkt vor der Nase weg, it couldn‘t get worse, could it?

 

Solche Vorstellungen hatten einen ganz realen Einfluss auf die Brexit-Entscheidung vieler englischer Wähler. But yes dear, there‘s worse. Es handelt es sich nämlich um Schreckgespenster ohne stichhaltige Grundlage, wie Sascha Becker in einer an der Freien Universität Bozen zur Diskussion gestellten Studie festgestellt hat.

 

Fest steht, dass es nach der EU-Osterweiterung 2004 (1) zu vermehrter Einwanderung nach England kam, die zu leicht gesunkenen Gehältern im Niedriglohnsektor führte, während die Häuserpreise leicht anstiegen. Daneben stieg die Nachfrage nach Arbeitslosenhilfe um rund 4,5 Prozent deutlich an.  Insgesamt sind diese Veränderungen aber zu klein, um die angestiegene Fremdenfeindlichkeit und letztlich den Brexit zu erklären.

Zum Beispiel ist unklar, ob osteuropäische Einwanderer oder britische Arbeitnehmer für die höhere Nachfrage nach Arbeitslosenhilfe verantwortlich sind. Die EU-Einwanderer in Großbritannien zeichnen sich im europaweiten Vergleich durch die niedrigste Arbeitslosenquote aus.

 

In anderen Bereichen führte die EU-Einwanderung sogar zu leicht positiven Effekten. So gibt es keinen messbaren Zusammenhang zwischen Immigration aus EU-Beitrittsländern und Gewaltverbrechen, Eigentumsdelikten oder Verbrechen gegen die öffentliche Ordnung. Im Gegenteil sank die Kriminalitätsrate sogar leicht, da es sich bei den Einwanderern vor allem um Hochqualifizierte handelte. Klauende und schmarotzende osteuropäischen Immigranten treiben ihr Unwesen demnach vor allem in den Köpfen vieler Brexiteers.

 

„Es ist nicht wirklich wichtig, was nach der EU-Osterweiterung in Großbritannien tatsächlich passiert ist, aber es spielt eine große Rolle, was die Leute denken“, fasst Mirco Tonin von der Freien Universität Bozen die Studie zusammen.  „Einwanderung war eines der vorherrschenden Themen in der Brexit-Debatte, aber letztlich lag es eher an mangelnder Strategieabstimmung und dem britischen Nationalsport Blame Brussels.

 

In Großbritannien gab es nach der EU-Osterweiterung keine temporären Einwanderungsbeschränkungen, da sich die britische Regierung auf zu niedrig geschätzte Zahlen verließ. Zwar fiel der Einwanderungsschock nicht groß aus, aber größer als in anderen europäischen Staaten, die ihre Grenzen schrittweise öffneten. Zudem wurde in Großbritannien wurde über Jahrzehnte hinweg der Boden von Journalisten und Oppositionspolitikern durch überaus EU-kritische Berichterstattung für die Brexit-Blüten bereitet.

 

Der Brexit ist ein Beispiel dafür, wie reine Wahrnehmungen ganze Bevölkerungsschichten in Panik versetzen können. Wenn Politiker oder Journalisten zusätzlich die Verunsicherung befeuern, indem sie diese Wahrnehmungen nur aufgreifen, nicht aber auf Fakten basiert handeln, wird langsam ein wichtiges Element demokratischer Systeme untergraben: Die Verantwortung als mündiger Staatsbürger, sich zu informieren und konstruktiv in Debatten einzubringen.

 

Sascha Becker und Thiemo Fetzer legten im Oktober 2016 die Studie „Does Migration cause extreme Voting?“ an der Universität Warwick vor. Im April wurden die Studienergebnisse im Rahmen eines Research Seminars an der Freien Universität Bozen diskutiert.

 

(1) Am 01. Mai 2004 traten die osteuropäischen Länder Estland, Lettland, Litauen, Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Slowenien sowie die südeuropäischen Inselstaaten Malta und Zypern der Europäischen Union bei.

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gorgias So., 11.06.2017 - 16:07

Zumindest sind wir die Briten los. Mit ihrer postkolonialen Neurose waren Sie eh nur der Bremsklotz der europäischen Einigung.

So., 11.06.2017 - 16:07 Permalink