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Wert ohne Gegenwert

Die "Boutique sans argent" in Paris setzt auf das Prinzip der Schenkökonomie: Wer braucht, der nimmt. Und wer etwas hat, gibt - ohne dafür etwas zu erwarten.
La boutique
Foto: Facebook/ La boutique sans argent

“Bin ich mir sicher, dass ich den Gegenstand wirklich gut gebrauchen kann, wenn ich ihn erwerbe?” Geht es nach der Boutique sans argent, ist das die Frage, die uns in unseren Einkäufen leiten muss. Preis oder andere Gegenleistungen sollen dabei weder für arme noch für reiche Menschen eine Rolle spielen. Kann das funktionieren? Ja - so die kurze Antwort der Boutique sans argent im zwölften Pariser Arrondissement.

 

Wie die Initiatorin der 2013 gründeten Boutique sans argent, Deborah Fischkandl, erklärt, sind die Objekte, die in der Boutique gehandelt werden, ausschließlich Schenkungen. Jede und jeder, die gut erhaltene und leicht transportierbare Dinge einer gewissen Qualität besitzt, diese aber nicht oder nicht mehr braucht, kann Bücher, Bekleidung, Spiele oder anderes zur Boutique sans argent bringen (nicht mehr als eine Tasche pro Person) und sie dort dem Projekt - und somit der Gemeinschaft schenken.

Andere, die etwas gebrauchen können, können dann in der Boutique stöbern, Dinge vor Ort upcyceln oder sie unentgeltlich mitnehmen. Preis oder das Budget einer Person spielen also keine Rolle: “Zwischen einem selbst und dem Objekt steht nur die eigene Freiheit - und die Frage, ob man die Dinge, die man erwirbt, auch wirklich gut gebrauchen kann”, so die Boutique-Betreiber*innen. Dadurch soll eine neue, wertschätzendere Beziehung zu den Dingen und Resistenz gegen die Wegwerfkultur aufgebaut werden. Gleichzeitig verändert sich aber auch unsere Beziehung zu den Mitmenschen: weg von einem reinen Tauschgeschäft und hin zu einem fürsorglichen, vertrauensvollen und verantwortungsbewussten Umgang.

 

Schenkökonomie, what’s that?

 

Die Boutique sans argent ist nicht die Einzige ihrer Art. Seit den 1960er-Jahren florieren in den Vereinigten Staaten, aber auch in Deutschland und anderen Teilen Europas sogenannte Free Shops oder Umsonstläden, die sich auf die Schenkökonomie stützen. Dabei geht es darum, Wirtschaftskreisläufe zu schaffen, die nicht auf Geld- oder anderen Tauschgeschäften gründen: “Die Momente unseres Lebens, in denen wir etwas geben oder aber etwas bekommen können, sind nicht unbedingt dieselben. Wenn ich gerade umziehe, kann ich vielleicht eher etwas geben. Und wenn ich soeben ein Kind bekommen habe, dann habe ich vielleicht etwas nötig”, so die Betreiber*innen der Boutique.

 

Bei der Schenkökonomie geht es also darum, zu geben, ohne dafür eine direkte Entlohnung zu erwarten, weder materieller noch anderer Art. Man gibt, weil man das Projekt oder die Gesellschaft unterstützen möchte. Und man nimmt mit einem Gefühl der Dankbarkeit für ebendiese Gesellschaft, dessen Teil man selbst ist und mit der man sein Leben und andere Dinge teilt: “Wir möchten Beziehungen schaffen, die den Beziehungen innerhalb einer Familie oder eines Freundeskreises ähneln”, so Deborah Fischkandl. Nur so könne eine Gesellschaft wirklich zusammen leben.

 

Wir möchten Beziehungen schaffen, die den Beziehungen innerhalb einer Familie oder eines Freundeskreises ähneln.

 

Dabei geht es den Initiatoren nicht darum, existierende Wirtschaftskreisläufe zu ersetzen, sondern diese zu ergänzen: Einrichtungen wie die Boutique sans argent sind natürlich selbst auf die eine oder andere Weise in das existierende Wirtschaftssystem eingebettet: Sie erhalten öffentliche und private Beiträge, werben um Spenden und werden von einer Reihe freiwilliger Helferinnen und Helfer unterstützt, die anderswo ihren Lebensunterhalt verdienen. Dass es auch die klassischen Wirtschaftskreisläufe braucht, spricht der Schenkökonomie aber nichts ab: Es geht darum, neue Beziehungen zu den Dingen und Personen, die uns umgeben aufzubauen - bedingungslose Beziehungen, die nicht darauf fußen, etwas zurückgeben zu müssen, sondern zu wollen.

 

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Karl Trojer Do., 09.06.2022 - 10:22

Interessant, sowas könnten auch unsere Bürgermeister in ihren Gemeinden initieren. Bei kleinem Aufwand entstünde großer Nutzen, auch im Sinne der Nachhaltigkeit.

Do., 09.06.2022 - 10:22 Permalink
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Sepp.Bacher Do., 09.06.2022 - 11:02

Das hier beschriebene Modell, z. B. gebrauchte Kleider zu schenken, wird in der Kleiderkammer des Vinzensvereins schon seit vielen Jahren praktiziert, wo Bedürftige sich bedienen können.
Der Unterschied ist vielleicht der, dass die Kleiderkammer nicht einer Boutique ähnelt sondern eher einem Magazin. Diese Kleiderkammern sind nicht ständig offen und werden von Freiwilligen betreut.
Man muss also nicht nach Paris gehen, um so etwas zu finden. die Kleiderkammer der Vinzenzkonferenz Bozen ist in der Andreas-Hofer-Str. Nr. 4/F – (hinter der Buchhandlung Mardi Gras). Es gibt noch weitere Kleiderkammern in Südtirol https://www.vinzenzgemeinschaft.it/de/unsere-taetigkeiten/kleiderkammer…

Do., 09.06.2022 - 11:02 Permalink