Gesellschaft | Dialoge

Wie Dialoge heilen können

18 Dialoge zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. Wie heilend diese Gespräche sein können, besonders in einer polarisierten Welt, erzählt Jutta Wieser
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Kreis
Foto: @julia tappeiner

Die Stühle sind kreisförmig angeordnet, und laden zum Austausch ein. Das Grün des Gartens, das Vogelgezwitscher bringen Harmonie in die Runde. Diese ist nötig, denn gleich werden die Teilnehmenden sich Fragen stellen müssen, die unterschiedliche Reaktionen hervorbringen werden, die emotional mitnehmen können. Beim heutigen Dialog geht es um das Ziel Nr 5 – Geschlechtergleichheit. Männer sind anwesend. Frauen sind anwesend. Zwei unterschiedliche Lebensrealitäten treffen aufeinander, ohne Verteidigungshaltung, ohne rechthaberische Ansprüche. Es geht allein darum, dem anderen zuzuhören. Und dabei in sich hineinzuhören. Offen zu sprechen, ohne den Versuch, den anderen von der eigenen Position zu überzeugen. Das ist gar nicht so einfach, wie ich nach dem heutigen Dialog weiß.
Umso mehr braucht es einen begleiteten Austausch, denn er steht in krassem Gegensatz zu Hass-Debatten im Netz, die immer polarisierter ablaufen, und dem Streit um die Grenzen des Sagbaren – wo fängt Rassismus an, wo hört „Cancel Culture“ auf?
Niemand weiß das mehr als Jutta Wieser für die der Zugang zum Dialog eine entscheidende Wende in ihrem Leben brachte. Heute gestaltet die ausgebildete Dialogbegleiterin, gemeinsam mit Ihrem Kollegen Federico Mozzi, für das Netzwerk für Nachhaltigkeit zweisprachige Dialoge. Angefangen beim Ziel Nr 1 – Keine Armut, fanden bisher sechs solcher Gespräche über die einzelnen UN-Nachhaltigkeitsziele statt. Das heutige Treffen ist das letzte vor der Sommerpause. Ein Grund, gemeinsam mit Jutta einen Rückblick auf die bisherigen Dialoge zu werfen.

 

Jutta, du bist Dialogbegleiterin. Was darf man sich unter einem Dialog in diesem Sinne vorstellen?
Jutta Wieser
: Der Dialog ist eine eigene Kommunikationsform. Diese gründet auf den philosophischen Gedanken von Martin Buber, der die Begegnung im Du als wesentliche Erfahrung für das eigene Ich darstellt, und auf den Physiker David Bohm, der diese Art der Kommunikation auch in den schamanischen Ritualen gefunden hat.

Am Feuer sitzen und sich Geschichten erzählen – das haben alle indigenen Völker schon immer gemacht.  

Wie sieht diese Art der Kommunikation aus?
Es geht darum, einen urteilsfreien Gesprächsraum zu schaffen, in dem alles Platz hat. Diese Kommunikation hebt uns für eine Weile aus unseren eigenen Urteilen heraus. Durch die Redesymbole – das hast du ja selbst erlebt – wird das Ganze verlangsamt und sehr reflektiert und erkenntnisreich, weil ich beobachten kann, was in mir bei dieser Art der Kommunikation vorgeht.

Gibt es bestimmte Regeln für einen guten Dialog?
Es gibt keine Regeln, aber Grundachtsamkeiten. Zum Beispiel das „von Herzen sprechen“, das „Wesentliche sagen“, und dieses „respektvolle Zuhören“, das bedeutet, dass ich in einer erkundenden Haltung von dir wissen will. Es geht auch darum zu „suspendieren“, das heißt, ich muss nicht reagieren auf das, was du sagst und recht haben wollen. Das schöne ist ja die Vielfalt der Gedanken, die nebeneinander bestehen können. Ich muss niemanden auf meine Seite ziehen, sondern ich kann meines dazustellen. Und das macht mich frei. Das haben wir im Alltag sehr selten, gerade in einer polarisierten Welt.

Warum ist es wichtig, Dialoge zu begleiten?
Natürlich setzen sich hier meist Menschen in einem Kreis zusammen, die Grundachtsamkeiten wie respektvoll zuhören oder von Herzen sprechen gerne einhalten. Aber es gibt Momente, wo es emotional wird. Und da ist es wichtig, dass wir Begleiterinnen und Begleiter dafür sorgen, dass der Dialograum ein sicherer Raum bleibt.

Wie bist du zum Dialog gekommen?
Aus einer Ehekrise heraus. Ein sehr guter Freund von mir, Benno Kapelari, hat mit Eelco de Geus die Dialogakademie Österreich gegründet, und hat mich 2012 gefragt, ob ich nicht Lust hätte, diese Form der Kommunikation kennenzulernen. Nach dem Einführungsseminar habe ich realisiert, dass ich meinem Ehepartner nie wirklich zugehört habe, sondern sofort in Verteidigungshaltung gegangen bin. Das hat mein Leben verändert und meine Beziehung gerettet. Es hat in mir die Lust geweckt, mehr von diesem Dialog in meinem Leben zu haben. Letztes Jahr habe ich dann die Ausbildung abgeschlossen, und schreibe gerade ein Buch darüber, gemeinsam mit Benno, weil es hilfreich für andere Menschen sein kann, diese Art der Kommunikation kennen zu lernen.

Gibst du uns ein Feedback zur Dialogreihe des Netzwerks für Nachhaltigkeit?
Bei diesen Dialogen ging es darum, Verbindung zu knüpfen. Ich merke, dass viele Organisationen und Menschen in diesen sozialen-, nachhaltigen- Umweltthemen sich oft wie Einzelkämpfer fühlen. Und dafür ist das Netzwerk eine gewaltige Errungenschaft, damit Leute verstehen: Da gibt es Viele, die in die gleiche Richtung arbeiten. Dadurch kommen wir aus dieser Verzweiflung heraus, dass wir eh nichts tun können. Nach dem zweiten Dialog zum Beispiel, wo es um den Hunger ging, da war diese Wertschätzung für die Nahrung, für die Produzentinnen und Produzenten unserer Nahrungsmittel, greifbar im Raum. Das macht schon einen Unterschied.

Beim letzten Dialog vor der Sommerpause ging es um das Ziel Nr 5 – Geschlechtergleichheit. Du sagst, das war ein besonders tiefgreifendes Thema. Warum?
Weil wir da sehr stark in unseren Mustern gefangen sind. Da sind Verletzungen auf beiden Seiten, die so tief gehen, in unsere eigene Geschichte hinein. Das sind wichtige Beziehungen, das sind unsere Liebesbeziehungen und da geht es einfach um das Innerste. Es scheint auch viel Angst dabei zu sein. Wir werden im Spätherbst weitere Dialoge zu diesem Thema führen, weil wir gemerkt haben, dass uns das guttut als Frauen und als Männer.

Manchmal kann es schon heilsam sein, wenn man sich einfach nur zuhört.

Wer ab Oktober im eigenen Umfeld 10-15 Menschen einladen möchte, sich zum Beispiel mit dem Klimawandel, dem Konsumverhalten oder der Geschlechtergleichheit im Dialog auseinanderzusetzen, kann sich an [email protected] wenden, um diese Gesprächsrunden mitzugestalten.

 

Die Initiative wird von der Autonomen Provinz Bozen und vom Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik unterstützt.