Kultur | Designausstellung

Hinter den Dingen

Die Sonderausstellung 100x100 Achille wirft einen Blick hinter die Banalität von Alltagsgegenständen und zeigt, warum Ötzi im Design eine Vorreiterrolle spielt.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Achille Castiglioni
Foto: Gianluca Widmer

Während der Führung durch die Designausstellung im Bozner Archäologiemuseum beschreibt Kuno Prey den einfachen Spielwürfel in der Vitrine nicht nur als Teil eines Spielesets. Für ihn handelt es sich um einen ästhetischen und zugleich ergonomischen Handschmeichler, aus Kunststoff gegossen und anschließend gebohrt. Daneben reihen sich 99 weitere Alltagsgegenstände, für die Kuno Prey eine individualisierte Beschreibung parat hat. Eine Poesieform an Puddingschalen. Ein faszinierender "Knochenschlüssel" aufgrund seiner vielfältigen Größen. Eine solche Begeisterung für einen einfachen Gegenstand kann nur ein Designer aufbringen, erklärt Kuno Prey, der selbst in diesem Beruf tätig ist und an der Freien Universität Bozen lehrt: „Designer sind lebende Scanner. Wir haben eine Faszination für Alltagsgegenstände, weil wir so viel von ihnen lernen können“.

 

Dafür reicht kein schneller Blick. Es muss hinter die einzelnen Dinge geschaut werden. Bereits als junger Designer stellte sich Kuno Prey, damals in der Brillenbranche tätig, zu fremden Menschen und betrachtete fasziniert deren Brillen. Um zu verstehen, wie es sich anfühlt, eine Brille zu tragen, lies es sich eine mit neutralen Gläsern anfertigen. Heute entwirft Prey hauptsächlich Wohn-und Büroaccesoires und lässt sich dabei vom Alltag inspirieren. Besonders faszinieren ihn Wäscheklammern, von denen er über 200 in seiner privaten Sammlung hat: „Ich will wissen, wie diese einfachen Dinge gemacht sind. Welche Unterschiede es gibt.“ So ließ er in Weimar einmal, nach dem Mauerfall, eine Gruppe Studierende Wäscheklammern der ehemaligen DDR mit den „Neuen“ aus dem Westen vergleichen. Zwar seien die DDR-Klammern kleiner gewesen, da Kunststoff dort ein sehr wertvoller Werkstoff war und somit gespart werden musste. Allerdings seien sie besser entworfen, da die kleine Druckstellen ergonomischer gestaltet werden musste.

 

Einer der bekannteste Designer Italiens mit diesem Berufstick war Achille Castiglioni. Auch er nutzte die tausend kleinen Entdeckungen der Details von Alltagsgegenständen für seine Entwürfe. Einige davon sind ebenso in der temporären Ausstellung zu sehen. Eine Slinky Feder etwa inspirierte Castiglioni zu einem Aschenbecher mit integriertem Zigarettenhalter. „Castiglioni selbst war ein leidenschaftlicher Raucher. Wahrscheinlich hatte er die Slinky Feder auf seinem Schreibtisch stehen, und klemmte unbewusst einmal seine Zigarette darin ein. So fiel ihm auf, dass man die Federspirale gut als Zigarettenhalter nutzen konnte,“ erzählt Kuno Prey, der mit ihm befreundet war. So ähnlich schaute Castiglioni auch den Scherenmechanismus aus Omas Nähkästchen für den Entwurf eines Nachttisches mit verstellbarer Oberfläche ab.

 

 

Dieses Jahr hätte der Mailänder Architekt und Designer seinen 100. Geburtstag gefeiert. Zu diesem Anlass hat die Fondazione Achille Castiglioni, gegründet von dessen Tochter, die Ausstellung 100x100 Achille in Mailand organisiert und dafür 100 Designer aufgerufen, ihrem Freund Achille Castiglioni einen anonymen, ganz normalen und unspektakulären Gebrauchsgegenstand zu schenken. Diese 100 Gegenstände wurden nun in Zusammenarbeit mit der Fakultät für Design und Künste nach Bozen gebracht. Die Ausstellung ist noch bis zum 19. August im Archäologiemuseum zu sehen. Die Geschenke, die die Designer an den verstorbenen Architekten geschickt haben könnten bunter nicht sein. Eine Straßensperre steht neben einer Mausefalle. Eine Schwimmbrille ist gemeinsam mit einer Käsereibe, einem Bleistifthalter und einem Messband ausgestellt. Eine ehemalige Blechpfanne wurde halbiert und zu einer Kehrschaufel umgestaltet. „Es ist schön zu sehen, wie vielfältig man mit Gegenständen umgehen kann und wie man sie auch geschickt wiederverwenden kann,“ erklärt Kuno Prey.

 

 

Der Designer und Professor hat selbst ein Geschenk beigetragen. Einen sogenannten Krümelsammler. Er entdeckte ihn vor Jahren in einem Restaurant und seine Begeisterung für den Gegenstand berührte den Kellner so sehr, dass er ihm den praktischen Krümelsammler schenkte. Nun liegt er hinter einer Glasvitrine im Bozner Ötzimuseum. Die Zusammenarbeit mit dem Archäologiemusum konnte Kuno Prey herstellen, da er die Verbindung zwischen Castiglionis Sammlungsinspirationen und Ötzi verstand. Denn auch dieser war ein begnadeter Gestalter von Alltagsgegenständen. Die prähistorischen Schuhe oder der mit Tiersehnen genähte Umhängemantel aus Ziegenfellstreifen, die man später neben der Eis Mumie fand, sind Zeugnis dieser essentiellen, funktionalen Kunst, erklärt Prey: „Ötzi ging natürlich viel sparsamer mit den Materialien um wie wir es heute kennen. Er fertigte praktische Dinge an, die er zum Überleben brauchte. Dennoch machte er sich sehr viele Gedanken darüber, welches Gestein für seine Pfeilspitzen am geeignetsten ist. Dieses Wissen wurde durch Erfahrung angehäuft und hilft uns bis heute.“

 

Wie bei Ötzis Hab und Gut liegt auch bei Castiglioni die Schönheit seiner Entwürfe in ihrer Einfachheit: „Er gab Dingen, die es eigentlich bereits gibt, eine zusätzliche, neue Qualität indem er bereits vorhandenes Kulturgut als Inspirationsquelle heranzog. Dadurch sind seine Designstücke leise, einfach und nützlich, ohne aufgesetzt zu wirken. Einige davon stehen fast schon frech da, wie mit einem Augenzwinkern. Das macht sie so sympathisch.“ Diese Meinung teilt Prey mit vielen von Castiglionis Freunden, die ihren Beitrag zur Erinnerung des großen Architekten geben wollten. Einer davon drückt es durch eine leere Patronenhülse aus, die er als Stück für die Ausstellung schickte, gemeinsam mit der passenden Grußkarte "A-killer, non hai mai sbagliato un colpo".

 

Diese Treffsicherheit im Design will Kuno Prey auch seinen Studierenden mitgeben. Das wichtigste Instrument dafür, sei die Neugier: „Heute beschränken sich die Entdeckungen auf einen fünf mal zehn cm großen Bildschirm. Der reale Bezug zu den Materialien und Gegenständen geht dabei verloren. Es ist deshalb schwer, den Studierenden die Neugierde zu vermitteln.“ Aus diesem Grund lasse er ihnen so viel Freiheiten, wie möglich, sodass sie selbst auf Entdeckungsreise gehen könnten. Um es auf Castiglionis Art zu machen, am besten sich einfach mal in einem Raum umschauen und Dinge genauer betrachten. Denn Dinge sind voller kleiner Geheimnisse und Entdeckungen.