Kultur | Salto Weekend

Meister im Waldbaden

Sommerzeit ist Badezeit. Martin Kiem bevorzugt beruflich wie privat das Bad inmitten von Bäumen. Salto hat ihn begleitet und befragt.
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Foto: Helmuth Rier

salto.bz: Der Wald ist Ihr Büro, sagen Sie. Das Büro wird in Corona-Zeiten häufig mit dem Begriff Home-Office in Verbindung gebracht. Wie haben Sie die Zeiten der Ausgangssperre ohne Ihr Büro erlebt?

Martin Kiem: Ich konnte natürlich die üblichen Besuche "in meinem Büro" während des Lockdown nicht durchführen, oder Kunden empfangen. Von Mitte März bis Mitte Juni gab es überhaupt keine Gruppenveranstaltungen. Das klassische Waldbaden konnte nicht stattfinden.

Wie häufig baden Sie normalerweise im Wald?

Mittlerweile sind rund 85% aller meiner Waldbaden-Tätigkeiten Lehrgänge. Das klassische Waldbaden, also das mit Menschen in der Gruppe in den Wald gehen, das mache ich nur mehr einmal pro Woche, in den warmen Monaten, jeweils donnerstags in Partschins. Der Rest meines Arbeitsalltages ist inzwischen durch Ausbildungen in verschiedenen Bildungseinrichtungen bestimmt – in Südtirol, Österreich und Deutschland.

Sie haben über mehrere Jahre in Australien gelebt. Haben Sie Ihre Idee zum Waldbaden auf dem 5. Kontinent entwickelt?

Ja, irgendwie schon. Ich habe damals in Sydney gelebt und bin einmal für eine Ausbildung nach Neuseeland, wo ein Workshop für Führungskräfte in Unternehmen durchgeführt wurde. Da erkannte ich, dass Waldbaden ein guter Ansatz sein könnte, es auch beruflich unter die Menschen und Bäume zu bringen. Mit einer Kollegin machte ich die Ausbildung, kehrte nach Südtirol zurück und ab 2017 ging es dann hier los.

Japan gilt als Ursprungsland des Waldbadens...

Die Begrifflichkeit kommt aus Japan, das stimmt. Aber es ist mir immer wichtig zu betonen, dass es Waldbaden schon seit jeher und überall gegeben hat. Es ist eine Urqualität, die in jedem Menschen tief verankert ist.

Was ist die beste Waldbade-Saison?

Die Essenz des Waldbadens ist die Naturverbundenheit. Und Naturverbundenheit lässt sich zu jeder Jahreszeit betreiben oder genießen. Das klassische Waldbaden eignet sich von April bis Ende Oktober am besten, denn man kann bei angenehmen Themperaturen im Freien länger innehalten und meditieren. Im Winter kann man natürlich auch Waldbaden, da braucht es dann allerdings mehr Bewegung, dass man nicht auskühlt.

Welcher Wald eignet sich zum Waldbaden besonders gut?

Kleinere Übungen eignen sich in jedem Wald. Beim Waldbaden in Gruppen sollte vor allem darauf achtgegeben werden, dass der Wald nicht zu steil und nicht zu dicht ist. Ein wichtiger Faktor ist zudem, dass es sich um einen abwechslungsreichen Wald handeln sollte, denn umso vielfältiger die Beschaffenheit eines Waldes ist – das ist auch wissenschaftlich bewiesen – desto wohltuender ist er für den Menschen.

Die wissenschaftliche Messbarkeit zur gesundheitsfördernden Wirkung von Waldbaden wird mal so oder mal anders interpretiert. Was entgegnen Sie Kritikern?

Ich arbeite mit zwei Universitäten zusammen, kooperiere zum einen mit der Universität München, wo ich einen Lehrgang zum Waldgesundheitstrainer anbiete, zum anderen führe ich zur Zeit Tests für eine große Studie mit der Paracelsus Universität Salzburg durch. Es gibt viele gute und solide Studien. Natürlich auch einige schwammige Studien – die ich niemals zitieren würde.

Einige Wälder Südtirols wurden letzthin vom Windwurf heimgesucht. Ihr Arbeitsplatz ist in Gefahr?

Natürlich sehe ich meinen Arbeitsplatz bedroht. Und es bleibt zu hoffen, dass sich wieder die Qualität der Wälder verbessert. Durch mehr Vielfalt etwa, um die Anpassungsfähigkeit und Resilienz eines Waldes zu steigern.

Hat Corona die Nachfrage nach Waldbaden ansteigen lassen?

Generell ist zu beobachten, dass die Nachfrage zum Waldbaden zugenommen hat. Kann sein, dass das Zuhausebleiben während des Lockdown das Bewusstsein gestärkt hat. In Baden-Württemberg werde ich in naher Zukunft ein Streuobstwiesenbaden durchführen. Warum soll eine Streuobstwiese nicht auch gesundheitsfördernd sein?