Politik | Machtkampf in Rom

Virginia Raggi - die römische Sphinx

Die römische Bürgermeisterin Virginia Raggi stürzt die Fünfsterne-Bewegung in ihre bisher schwerste Krise. Ihr Rücktritt hätte fatale Folgen.

Die Turbulenzen um Virginia Raggi stürzen die Fünfsterne-Bewegung in die bisher folgenschwerste Krise ihrer jungen Geschichte. Roms neue Bürgermeisterin ist nur zwei Monate nach ihrem Amtsantritt in schweres Fahrwasser geraten. Der für Haushalt und Vermögen zuständige Stadtrat Marcello Minenna und Raggis Kabinettschefin Carla Romana Ranieri sind zurückgetreten. Wenig später verabschiedete sich der  erst vor wenigen Wochen von ihr ernannte  Chef der städtischen Müllabfuhr, Alessandro Solidoro, sowie die zwei wichtigsten Führungskräfte des Verkehrsverbundes ATAC - aus Protest gegen die neue Verkehrsstadträtin Linda Meleo, die ihren Sanierungsplan ablehnte. Am Sonntag kündigten die Medien eine neue Hiobsbotschaft  für Raggi an: gegen die umstrittene Umwelt-Stadträtin  Paola Muraro liegt ein Ermittlungsbescheid der Staatsanwaltschaft vor, die sie des Amtsmissbrauchs beschuldigt. Muraro war 12 Jahre lang als Beraterin des skandalbelasteten Müllbetriebs AMA tätig und hatte dafür über eine Million Euro erhalten.  Am Montag räumte die Stadträtin ein, was sie bisher bestritten hatte: sie habe bereits seit 18. Juli von den Ermittlungen gegen sie gewusst. Eine für die Bürgermeisterin und besonders für die Reinheitsfanatiker der Bewegung durchaus unangenehme Situation.

Seit Wochen lösen Raggis Personalentscheidungen in der Fünfsterne-Bewegung kontroverse Diskussionen aus. Die Schwester des Gemeinderatspräsidenten Francesca De Vito warf ihr vor, "compagni di merende" zu versorgen. Beppe Grillo forderte vergeblich die Absetzung des Vize-Kabinettschefs Raffaele Marra, der bereits unter dem rechten Bürgermeister Alemanno gedient hatte.  Über Wochen drehte sich das Personalkarussell, protestierte die Basis gegen zu hohe Gehälter, versuchte das zu Raggis Kontrolle eingesetzte direttorio, Einfluss auf ihre Personalentscheidungen zu nehmen - allen voran ihre Intimfeindinnen Paola Taverna und Roberta Lombardi ("Virginia ed io non siamo piú amiche").

Die teilweise hitzigen Polemiken bestätigen vor allem eines: dass die Grillini keineswegs jene geschlossene und einheitliche Bewegung sind, als die sie sich gerne darstellen. Schon gar nicht in der Hauptstadt Rom, wo stets viele Parlamentarier mitmischen wollen . Wie in anderen Parteien gibt es auch im Movimento 5 Stelle Strömungen, Seilschaften und Rivalitäten. Etwa jene zwischen dem institutionellen Aushängeschild Luigi Di Maio und dem vor Selbstgefälligkeit strotzenden Pasdaran Alessandro di Battista, die sich die Spitzenkandidatur bei den nächsten Parlamentswahlen streitig machen.

Einige der jetzt in Rom Zurückgetretenen übten massive Kritik an der Arbeit des Stadtrates.  Minenna: "C'era un deficit di trasparenza". Carla Ranieri:  "Si é dimesso un giudice, fate voi." Unterdessen hat die Bürgermeisterin Raffaele De Dominicis, einen Richter des Rechnunghofs, zum Nachfolger Minennas gekürt. Empfohlen wurde er vom Studio Sammarco, der Anwaltskanzlei, in der Raggi früher gearbeitet hatte. Die Entscheidung löste neue Kritik aus.

 

                                       In der Führungsriege fliegen die Fetzen

 

Für die ratlose Führungsriege der Bewegung war damit das Fass voll.  Am Dienstag eskalierte er Konflikt. Auf einer Krisensitzung der Fünf-Sterne-Führung flogen buchstäblich die Fetzen. Luigi Di Maio hatte kurzfristig seine Teilnahme an der Premiere der neuen Talkshow Politics auf Rai 3 abgesagt, was Moderator Gianluca Semprini zu bissigen Kommentaren veranlasste. Alessandro Battista unterbrach seine Italientournee. Das nationale direttorio und das römische "mini-direttorio" schoben sich gegenseitig die Verantwortung für das Debakel zu. Luigi Di Maio wurde von den Hardlinern um Paola Taverna scharf attackiert und musste schliesslich zugeben, bereits am 4. August in einer e-mail über die Ermittlungen gegen Muraro informiert worden zu sein. "Ho letto quella mail, ma ho capito male", rechtfertigte sich der Vizepräsident der Abgeordnetenkammer.  Damit steht fest, dass neben Muraro und Raggi in dieser Angelegenheit auch Di Maio öffentlich gelogen hat. Über die Beschlüsse der neunstündigen Krisensitzung verlautete nichts. Dem Vernehmen nach soll Raggi aufgefordert werden, Muraro und De Dominicis zu entlassen. 

Wie üblich soll nun Beppe Grillo den Fall lösen. Der M5S-Gründer wurde am Mittwoch in Rom erwartet. Nach Indiskretion will er  die Bürgermeisterin auffordern, neben Muraro und De Dominicis auch den stellvertetenden Kabinettschef Raffaele Marra und Sekretariatschef Salvatore Romeo zu feuern. Beide gehören zu Raggis engsten Beratern und werden von ihr als unverzichtbar angesehen. Da beide Gemeindebedienstete sind, können sie freilich bestenfalls versetzt werden. Im Falle einer Weigerung will Grillo der Bürgermeisterin nach Indiskretionen die Benutzung des Logos untersagen - ein purer Akt der Hilflosigkeit.  Indessen demonstrierte Grillos Webseite, was sie unter der vielgepriesenen Transparenz versteht.  "L'euro é il problema dell'unione europea" steht dort zu lesen. Unter ferner liefen ist eine optimistische Botschaft von Virginia Raggi zu sehen: "Ciao, stiamo lavorando per Roma e come promesso in campagna elettorale, stiamo portando quel cambiamento che serve per far ripartire la città....".  Drunter kommt auch das verärgerte Fussvolk zu Wort: "Non capisco piú niente. Dovevate essere trasparenti, invece nemmeno uno é stato onesto con noi...".    Dutzende zensurierter Stellungnahmen sind auf der Webseite  www.nocensura.eusoft.netnachzulesen. 

 

                                                         "Non abbiamo una classe dirigente"

 

 

Die bisher schwerste Krise der Fünfsterne-Bewegung offenbart unmissverständlich ihre Schwächen. Was bei der römischen Regierungsbildung ins Auge sticht:  nur eine verschwindende Minderheit von Raggis Regierungsmannschaft stammt aus den Reihen der Bewegung. Das gilt auch für den aus Venezuela stammenden Nuklearingenieur Manuel Fantasia, der nun Roms maroden Verkehrsverbund sanieren soll. Alles muss schnell gehen, Raggi ist  bereits über zwei Monate im Amt und wegen endloser Personalquerelen noch gar nicht zum Regieren gekommen. Bei ihren Entscheidungen stützt sie sich auf Empfehlungen und Curricula. Denn der Bewegung fehlen die nötigen Fachleute.

Die Zeiten, in denen die Basis über wichtige Personalentscheidungen abstimmen durfte, sind längst vorbei. Und offenbar auch jene, wo ein Ermittlungsbescheid den sofortigen Rücktritt bedeutete. "Abbiamo contro i poteri forti", rechtfertigt sich Di Maio.  Doch die poteri forti konnten sich bisher entspannt zurücklehnen und vergnügt das Chaos bei der Bildung des Stadtrates verfolgen. 

Die laienhafte Vorstellung in der Hauptstadt wirft viele Fragen auf für den Fall eines M5S-Sieges bei den Parlamentswahlen. Wer soll dann die Schlüsselministerien für Finanzen, Wirtschaft und Industrie übernehmen? Mit welchen Gesichtern will man Finanzmärkte und Börsen beruhigen?  Der Abgeordnete Stefano Vignaroli legt den Finger in die Wunde:  "Scontiamo la mancanza di una classe dirigente", gesteht er freimütig.

 

                                                               Der Gegensatz Raggi - Appendino

 

Nach ihrem Einzug ins Parlament gebärdeten sich die Grillini zunächst wie eine Sekte. Man schloss Abgeordnete aus, weil sie an einer Talkshow teilgenommen oder Kritik an Grillo geäussert hatten. Puritanisches Gehabe war Trumpf, jede Sitzung wurde über streaming übertragen. Denkwürdig der arrogante Auftritt bei  Bersanis Versuch der Regierungsbildung. In den von ihnen verwalteten Gemeinden freilich vermochten die Grillini kaum zu glänzen. In Parma, Livorno und Pomezia erhielten ihre Bürgermeister Ermittlungsbescheide, in Gela wurde er gar ausgeschlossen. Das Debakel in Quarto sorgte für wochenlange Polemiken. Doch das Tauziehen und die Streitereien in Rom bieten der Fünfsterne-Bewegung auch eine Chance , ihre Schwächen einzusehen und zu korrigieren.

Orientieren könnten sie sich etwa am Beispiel Turin. Dort gelang der Bürgermeisterin Chiara Appendino die Regierungsbildung ohne Polemiken.Ihre Stadträte präsentierte sie bereits vor der Wahl.  Die 32-jährige ist freilich aus einem anderen Holz geschnitzt als ihre römische Kollegin. Auf Autonomie legte sie von Beginn an grossen Wert. Einmischungen von Grillo oder Casaleggio verbat sie sich. Appendino kommt nicht aus der alternativen Bewegung, sondern stammt aus einer bürgerlichen Familie. Die promovierte Ökonomin ist Tochter und Ehefrau eines Unternehmers und selbst fünfsprachige Unternehmerin. Grosse Sprüche gehören nicht zu ihrem Repertoir. Mit dem piemontesischen Präsidenten Sergio Chiamparino (PD) arbeitet sie eng zusammen.  Appendino ist eine der wenigen Führungskräfte der Bewegung, die problemlos ein Ministerium übernehmen könnten. Es liegt an der Führungsriege der Fünfsterne-Bewegung, die schwere Krise in Rom auch als Chance für eine Veränderung zu begreifen. Dazu müsste sie sich freilich von etlichen ihrer unsinnigen Dogmen und Gewohnheiten trennen: von der permanente Selbstbeweihräucherung bis hin zur  unerschütterlichen Überzeugung, Unbestechlichkeit, Gradlinigkeit, Moral und Aufrichtigkeit seien feste Bestandteile des eigenen DNA.

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Mensch Ärgerdi… Mi., 07.09.2016 - 12:44

Im Artikel liegt ein grober Patzer und zwar gibt es bislang gegen Frau Muraro kein Ermittlungsbescheid! Gegen sie wird ermittelt und sie selbst hat es auf eigener (rechtlichen) Nachfrage erfahren. Für den Leien wird das kein großer Unterscheid sein, jedoch ist es in der Tat ein bedeutender. Denn Ermittlungsbescheide von Seiten der Staatsanwaltschaft werden erst aufgesetzt, wenn der Staatsanwalt zu Mitteln der Beweisaufnahme greifen will die die Anwesenheit des Verteidigers vorsehen. In diesen Fällen hat sich meist der Tatverdacht schon sehr stark erhärtet und die Anklage ist nicht weit entfernt, während man davor "einfach" nur im Ermittlungsregister gelistet wird und von außen sagen kann wie schlimm die Laage ist. Deswegen hat auch ein guter Teil der involvierten Kräfte der 5 Sterne Bewegung gesagt "aspettiamo le carte" um zu wissen um was es überhaupt konkret bei den Ermittlungen geht.
Nicht dass ich deswegen die Entscheidungen der "direttori" oder Frau Raggi gut heißen will, aber der Vollständigkeit der Information zu Liebe, sollte man das schon ausbessern.

Mi., 07.09.2016 - 12:44 Permalink
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Gerhard Mumelter Mi., 07.09.2016 - 14:13

Es geht hier ja nicht um den Ermittlungsbescheid, sondern allein darum, dass Muraro, Raggi und Di Maio von den Ermittlungen wussten, diesen Tatbestand jedoch öffentlich bestritten.

Mi., 07.09.2016 - 14:13 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Mi., 07.09.2016 - 14:44

Antwort auf von Gerhard Mumelter

Auf jeden Fall gibt es faktisch (noch) kein Ermittlungsbescheid. Oder wollen Sie das bestreiten? Wenn es dann allein darum geht, dass Raggi, Di Maio und Muraro von den Ermittlungen wussten, dann wäre es auch korrekt zu erwähnen, dass sie auch gesagt haben sie warteten eben auf konkrete Anschuldigungen. Das kann man dann als faule Ausrede sehen, aber es wäre auf alle Fälle meiner bescheidenden Meinung nach nennenswert.

Mi., 07.09.2016 - 14:44 Permalink
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Albert Hofer Mi., 07.09.2016 - 18:35

Antwort auf von Mensch Ärgerdi…

Hm, nein, darum geht es nämlich nicht. Es geht nicht um formalen Krimskrams.

Als damals rauskam, dass gegen Parmas Bürgermeister Pizzarotti ermittelt wird, gab Raggi zu Protokoll, dass Pizzarottis Vergehen nicht etwa in den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bestünde, sondern im Faktum, dass er selbige verschwiegen habe. Als nun die aktuellen Ermittlungen bekannt wurden, ließ Di Maio zunächst verlauten, er habe überhaupt keine Informationen. Dann gab er zu, dass er per-e-mail informiert worden war, er habe aber leider den Inhalt der e-mail missverstanden bzw. nicht verstanden, dass gegen Muraro ermittelt werde. Inzwischen sind nun aber leider sms aufgetaucht, in denen Di Maio sich nach dem Stand der Ermittlungen gegen Muraro erkundigt.

Darum geht es. Doppelmoral, Heuchelei, faule Ausreden, Lügnerei.

Mi., 07.09.2016 - 18:35 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Mi., 07.09.2016 - 18:49

Antwort auf von Albert Hofer

Ich habe nie behauptet es geht "um formalen Krimskrams", sondern auf einen gravierenden Fehler in der Berichterstattung hingewiesen. Dazu ist das Fehlen eines Ermittlungsbescheides auch Teil dieser Geschichte und der Aussagen von Raggi und co.
Es ist sicherlich freie Entscheidung eines jeden Journalisten Artikel zu schreiben wie er will und man kann in diesem Sinne auch die Geschichte um die Ausreden des fehlenden Ermittlungsbescheids weg lassen. Diesen aber frei zu erfinden geht eindeutig zu weit.

Mi., 07.09.2016 - 18:49 Permalink