Politik | Flüchtlinge

Empörung zuerst

Aktuell drei WoBi-Wohnungen könnten an Flüchtlinge gehen, die auf ihren Asylbescheid warten. Die Präzisierung kommt nach dem Aufschrei.
Rifugiati
Foto: lettera43

“WoBi-Wohnungen für Flüchtlinge.” Viel weiter muss mancher nicht lesen, um in Empörung auszubrechen und vor Wut schäumend in die Tasten zu hauen. “Diese Entscheidung ist eine Zeitbombe”, schreibt der Bozner Gemeinderat Carlo Vettori am Donnerstag auf Facebook. Ulli Mair von den Freiheitlichen spricht gar von einem “massiven Missbrauch” und versucht, Schwache gegen Schwächste auszuspielen. “Den Einheimischen” würden WoBi-Wohnungen streitig gemacht und “an Asylanten” übergeben, schnaubt Mair. Doch Moment, gab es diese Szenen nicht schon einmal?

Ein ähnlicher Aufschrei war Anfang des Jahres durch das Land gegangen, als die Landesregierung entschied, Wohnungen des sozialen Wohnbauinstitutes auch anerkannten Flüchtlingen zugänglich zu machen, also jenen, die einen positiven Asylbescheid erhalten oder subsidiären Schutz zuerkannt bekommen haben. Bereits damals wurde klargestellt, dass diese Menschen in die Quote für “besondere soziale Kategorien” fallen, denen 20 Prozent der WoBi-Wohnungen vorbehalten werden. Dazu zählen auch Menschen mit Behinderung, Suchtkranke, Personen mit sozialem Fehlverhalten, Haftentlassene, Personen in sozialen Härtesituationen und gewaltbedrohte Frauen.
Die Anzahl der Sozialwohnungen, die damit an anerkannte Flüchtlinge gehen, dürfte sich in Grenzen halten. Den populistischen Aufschrei – “Auch bei den WOBI-Wohnungen muss der Grundsatz gelten: Einheimische zuerst!”, forderte etwa der damalige Freiheitliche Parteiobmann Walter Blaas – konnte diese Tatsache nicht verhindern. Genausowenig wie jetzt, mehr als ein halbes Jahr später.

 

Leer, vorübergehend und nur über Gemeinde

Am Dienstag (5. September) beschloss die Landesregierung, die Kriterien für die Zuweisung von WoBi-Wohnungen. Und zwar fallen ab sofort auch “Personen, die den Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben und in Erwartung der entsprechenden Entscheidung seitens der zuständigen Behörden sind”, unter die “besonderen sozialen Kategorien”.
Die Begründung dafür: “In Anbetracht der aktuellen internationalen Situation und der zu erwartenden zukünftigen Entwicklung scheint es angebracht, auch eingewanderte Personen und Flüchtlinge, welche den Flüchtlingsstatus oder den subsidiären Schutz beantragt haben, als Personen, die den besonderen sozialen Kategorien angehören, zu betrachten; dies, um die humanitäre Notsituation tragbarer zu machen und den Bedürfnissen dieser Menschen gerecht zu werden, indem auch ihnen in Anwendung von Artikel 24 Absatz 1 des Landesgesetzes vom 17 Dezember 1998, Nr. 13, in geltender Fassung, Wohnungen zugewiesen werden können.”

Kurzum, auch Asylwerber, die noch keinen Asylbescheid bekommen haben, dürfen in WoBi-Wohnungen einziehen. Allerdings nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen: Die Sozialwohnung muss von der jeweiligen Gemeinde oder Bezirksgemeinschaft angemietet werden, seit mindestens zwölf Monaten frei sein “und nicht an Gesuchsteller in der Rangordnung zugewiesen werden können”. So steht es im Beschluss der Landesregierung. Jemandem irgendetwas weggenommen wird also nicht.

Konkreter Anlass für diese Entscheidung seien Anfragen einiger Gemeinden gewesen, die am SPRAR-Programm teilnehmen, aber keine für die zeitweise Aufnahme von Flüchtlingen geeigneten Unterkünfte bereit stellen könnten, erklärt der zuständige Landesrat Christian Tommasini. Diese Gemeinden hätten beim Land angefragt, ob die auf ihrem Gebiet vorhandenen und nicht genutzten WoBi-Wohnungen für Asylsuchende geöffnet werden könnten. Dieser Bitte sei das Land mit dem Beschluss nachgekommen, so der Landesrat.

 

Präzisierung nach dem Aufschrei

“Es sind nicht Bozen oder Meran, sondern kleine Kommunen wie Prad am Stilfser Joch, wo das WoBi einige Wohnungen betreut, um die aber keiner ansucht”, präzisierte Tommasini am Donnerstag Nachmittag. Aufgrund der zum Teil heftigen Reaktionen sah er sich veranlasst, eine schriftliche Präzisierung zu formulieren: “Das WoBi schätzt, dass nur wenige Unterkünfte, und zwar vor allem in kleineren Gemeinden diese Voraussetzungen erfüllen. Derzeit gibt es nur drei Anfragen. Der Beschluss erlaubt also diese derzeit drei Unterkünfte in ganz Südtirol an die entsprechenden Gemeinden zu vermieten, wobei diese dafür den regulären Mietzins bezahlen müssen. Auf diese Weise kommt das Land den Bedürfnissen einiger kleiner Orte entgegen, die keine geeigneten Strukturen haben und auf diese Weise dem vom Staat koordinierten Schutzprogramm für Asylsuche SPRAR (Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati) entsprechen können.”
In einem Fernsehinterview gibt Tommasini an, dass er die Anzahl der Wohnungen, die über diese neu geschaffene Möglichkeit an Flüchtlinge gehen können auf “nicht mehr als vier oder fünf im gesamten Land” schätzt. So viel Platz dürfte in den Südtiroler Häusern (und Herzen?) wohl sein.

Bild
Profil für Benutzer Karl Trojer
Karl Trojer Fr., 08.09.2017 - 11:28

Das Geschrei eines Donald Trump "America first" hat nun auch Südtirol erreicht und wird von einigen fanatischen, politischen Exponenten schamlos mit "Einheimische zuerst" gegen die wenigen Flüchtlinge eingefordert. Wer keinen Respekt gegenüber und keine Wertschätzung für Verschiedenes aufbringen kann, trauert den Kriegs-Katastrophen des letzten Jahrhunderts nach und baut, meines Erachtens, nicht an Südtirols Zukunftsfähigkeit..

Fr., 08.09.2017 - 11:28 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Karl Trojer
Karl Trojer Sa., 09.09.2017 - 11:25

Geehrter Herr Basso, ähnelt die Forderung "Einheimische zuerst" nicht der Forderung von Trump "America first" ? Zur Not der Flüchtlingen habe ich letztes Jahr in einem RAI-Sender eine Filmreportage gesehen, die italienische Einwanderer (letztlich waren es "Wirtschaftsflüchtlinge") bei der Ankunft im Hafen von Nwe York, in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, zeigte. Die herumstehenden "Einheimischen" schrieen ; "schaut sie euch an wie verlottert sie sind", "welch durnkle Hautfarbe sie haben" und "wenn einer von ihnen eine kleine Wohnung bekommt, bringt er gleich zehn weitere bei sich unter" .... ähnlich ergimng es anderen Europäern , und das ist nicht so lange her...
Karl Trojer, [email protected]

Sa., 09.09.2017 - 11:25 Permalink