Gesellschaft | ECER

„Nicht gedacht, dass es so aktuell wird“

Professor Edwin Keiner, akademischer Verantwortlicher für die ECER an der Universität Bozen, über die Konferenz und ihr heikles Thema: Inklusion und Exklusion.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Edwin Keiner
Foto: unibz

salto.bz: Herr Professor Keiner, nach Budapest, Dublin und Kopenhagen wurde die ECER, die größte bildungswissenschaftliche Konferenz Europas, dieses Jahr in Bozen organisiert. Wie ist es dazu gekommen?

Edwin Keiner: Ich selbst arbeite seit bestimmt über 15 Jahren bei dieser Organisation, immer an verschiedenen Stellen. Vor fünf Jahren hat mich dann die Uni Bozen von Deutschland nach Südtirol geholt und ich habe bei dieser Gelegenheit angedeutet, dass ich diese Konferenz nach Bozen holen könnte. Der damalige Rektor und der Präsident waren sofort begeistert und so habe ich begonnen, den Kongress vorzubereiten. Ein weiterer Grund, dass die Konferenz in Bozen stattfindet, ist, dass die Organisation die Tagung immer schon in Italien veranstalten wollte. Städte wie Verona, Bologna und Neapel waren im Gespräch, die Konferenz ist aber nie zustande gekommen. Wir haben uns beworben und bekamen dann den Zuschlag. Wichtig ist zu sagen, dass die Tagung dem Land kein Geld kostet. Wir haben 300.000 Euro vom Ausland angeworben und mit Ökonomen errechnet, dass sie einen Ertrag von 2,2 bis 2,5 Millionen Euro bringt. Also sind wir im Geschäft. Das war die Ausgangsidee und es ist wirklich bemerkenswert, dass sich hier die europäische Spitze der Bildungswissenschaften trifft.

 

Hat Bozen die Voraussetzungen auch in Zukunft ähnlich große Kongresse abzuhalten?

Es gab Bedenken, ob Bozen infrastrukturell in der Lage ist die Tagung abzuhalten. Wir haben das geprüft, mit allen Zuständigen diskutiert und sind zum Schluss gekommen, dass wir es schaffen können. Wenn man in Kopenhagen eine Tagung veranstaltet, dann wohnen die Teilnehmer im Norden der Stadt oder irgendwo anders und haben auch eine halbe Stunde Anfahrtszeit. Hier wohnen sie halt in Meran oder einer anderen Stadt in Südtirol und benötigen gleich viel Zeit. 

 

Das große Thema der Konferenz ist „Inclusion or Exclusion, Resources for Educational Research?“. Was kann man sich darunter vorstellen?

Inklusion und Exklusion sind weitrechende und äußerst wichtige Themen, bei denen auch Dinge wie Kinderrechte und Menschrechte eine große Rolle spielen. Natürlich sind die meisten Menschen sofort für Inklusion, vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet ist aber zum Beispiel auch das Durchfallen in der Schule eine Form der Exklusion. Wir dürfen nicht nur die romantische Seite der Inklusion betrachten, sondern wir müssen festhalten, dass wir es eben auch oft mit Exklusion zu tun haben. Das gilt für Kinder in der Schule, das gilt für Kinder mit besonderen Bedürfnissen, das gilt für Migranten und es gilt es sogar, wenn man vom Gadertal ins Vinschgau zieht. Auch dort braucht es oft ein halbes Leben, bis man sich heimisch fühlt. Die Politik muss hier schnell handeln und wir als Wissenschaftler müssen versuchen das Problem zu verstehen und genau zu analysieren, um dann entsprechend differenzierte Ratschläge zu geben.

 

Ist das Thema Inklusion und Exklusion in den letzten Jahren durch die vermehrte Migration und das Erstarken der Nationalismen mehr in den Vordergrund gerückt oder war es schon immer von Bedeutung?

Das Thema ist durch die Migration und die fast schon völkerwanderungsähnlichen Auswirkungen schon sehr aktuell. Allerdings gab es auch schon in den 90er Jahren Überlegungen und das Bestreben über Inklusion und Exklusion zu sprechen, auch weil man als EU näher zusammenwachsen wollte. Schon damals wurden große Themen wie Partizipation und Ähnliches behandelt. Unsere Organisation, die European Educational Research Association, zu der ungefähr 15.000 Mitglieder aus 40 Staaten zählen, hat sich in den letzten Jahren mehr auf Themen wie Business und Kreativität fokussiert. Wir haben uns vor etwa fünf Jahren gedacht, dass es jetzt mal wieder an der Zeit ist ein sozialpolitisches Thema aufzugreifen, aber wir haben nicht gedacht, dass es so aktuell werden wird.

 

Wie ist die Konferenz aufgebaut und was sind im Einzelnen die inhaltlichen Schwerpunkte?

Die Tagung findet ja jährlich statt, mit rund 2.500 Bildungs- und Erziehungswissenschaftlern aus über 100 Ländern. Diese arbeiten alle in Netzwerken zusammen, die bei der Konferenz Gedankenaustausch pflegen, anregen und über den neuesten Stand der Forschung informieren. Gleichzeitig adressieren sie auch Projektvorschläge an die Europäische Union, um weitere Forschungsgelder zu erhalten. Die Netzwerke sind thematisch und haben mal mehr, mal weniger mit Inklusion und Exklusion zu tun. Das ist der inhaltliche Rahmen, zu dem auch besonders prominente Wissenschaftler aus der ganzen Welt eingeladen wurden. Ich habe gesehen, dass das Thema in den verschiedenen Netzwerken und bei verschiedenen Vorträgen sehr intensiv und breit diskutiert wurde, auch wenn es ja nicht unbedingt hätte sein müssen. Dort geht es dann auch um sehr verschiedene Felder, die dabei eine Rolle spielen, sei es Didaktik, Medienerziehung, Schulpädagogik, Sozialpädagogik, Soziologie, Psychologie und viele weitere. Es ist also äußerst weitgefächert.