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Engagierte Frauen

Die Historikerin Martha Verdorfer hat das Herzstück der Südtiroler Friedensbewegung in Buchform aufbereitet – die Geschichte der „Frauen für Frieden“
Alpha Beta
Foto: Alpha Beta

salto.bz: Sie haben ein Buch über Frieden und zur Frauengeschichte der 1980er Jahre in Südtirol geschrieben. Wie friedlich gestaltete sich der Kampf gegen Atomkraft, Umweltverschmutzung und eine düstere Zukunft? Und warum war er vor allem weiblich geprägt?

Martha Verdorfer: In der Friedensbewegung haben Frauen immer eine wesentliche Rolle gespielt. Das gilt schon für die Friedensbewegung, die sich um die Jahrhundertwende bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges organisiert hat und für die Bertha von Suttner, Nobelpreisträgerin und Autorin des Buches "Die Waffen nieder" eine Symbolfigur ist. Ebenso waren Frauen in der Friedensbewegung in den 1970er und 1980er Jahren gegen den atomaren Rüstungswettlauf in der Logik des Kalten Krieges sehr aktiv und haben auch ökologische und soziale Anliege damit verbunden.

 

Frauen sind gewiss nicht „von Natur aus“ friedlicher als Männer, aber in unserer patriarchalen Tradition werden Frauen und Männer unterschiedlich vergesellschaftet und Kriege und Waffen gehören eindeutig in den Bereich der Männer, während Frauen historisch und bis in die Gegenwart eher in der Sphäre der Reproduktion und Fürsorge und Pflege verortet werden. Gleichzeitig gibt es keine Kriege, von denen Frauen nicht unmittelbar betroffen wären. Es gibt also viele Gründe für Frauen sich gegen den Krieg und für den Frieden zu engagieren. Nicht zuletzt war das letzte Viertel des vergangenen Jahrhunderts insgesamt von einem Aufbruch der Frauen in die politische Öffentlichkeit geprägt.

Der NATO-Doppelbeschluss von 1979, der die Stationierung hunderter Mittelstreckenraketen vorsah, sorgte für Unruhe – und veranlasste Irmtraud Mair einen Aufruf zu verfassen und an zehn Frauen zu verteilen. So nahm also im Kleinen diese Bewegung ihren Anfang

Ich denke, politische und soziale Bewegungen nehmen oft ihren Anfang im Kleinen, gehen von einzelnen Menschen aus. Sie sind dann erfolgreich, wenn sie ein Thema aufgreifen, das vielen Menschen ein Anliegen ist bzw. sie beschäftigt. Die Bedrohung des Weltfriedens war in den 1980er Jahren sicher ein solches. Die Spannungen zwischen den Supermächten, die zahlreichen Stellvertreterkriege, die enormen sozialen und ökologischen Kosten der Aufrüstung, das waren Probleme, die Menschen in vielen Ländern beschäftigen. Gerade die Vision eines begrenzten Atomkrieges in Europa war für Menschen eine durchaus reale Angstvorstellung.

 

Es gab eine Friedenszeitung, Friedenswanderungen auf den Kohlerer Berg, Vorträge und Feste. Wie hat der Rest der Südtiroler und Südtirolerinnen die Friedensbewegung wahrgenommen?

Die Friedensbewegung gehörte sicherlich zur so genannten Alternativkultur und war immer eine Minderheit in Südirol. Aber ich denke, sie war wohl jener Teil, dem es am ehesten gelungen ist breitere Allianzen zu schaffen und auch in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. Die „Frauen für Frieden“ suchten Bündnisse mit der Kirche, den Gewerkschaften, der Zivilbevölkerung ohne parteipolitische Scheuklappen. Und wenn man sich die Fotos von den Veranstaltungen aus diesen Jahren anschaut, dann spiegelt sich die Buntheit dieser Bewegung wieder: Latzhosen, Flatterkleider, Dirndl und auch Krawatte, alt und jung, Frauen, Männer und Kinder, alles war vertreten. Von Seiten der Bevölkerung erfuhren die „Frauen für Frieden“ sowohl Sympathiekundgebungen als auch Angriffe. Bei den regelmäßigen Schweigestunden am Bozner Obstmarkt schenkte z.B. einmal ein unbekannter Passant jeder schweigenden Frau eine Rose. Andere Passanten hingegen pöbelten die Frauen an und meinten, sie sollten besser nach Hause gehen und etwas Vernünftiges kochen.

 

Ich kann mir vorstellen, dass die Athesia im konservativen Kampfblatt Dolomiten über die friedliche Bewegung nicht – oder nur einseitig – berichtete. Liege ich richtig?

Die Dolomiten war in ihrem konservativen Weltbild in der Logik des Kalten Krieges ganz eindeutig positioniert. Freiheit, Wohlstand und Demokratie waren in dieser Sichtweise nur im Bündnis mit den USA zu haben und in der Hitze der Auseinandersetzung galt jede kritische Stimme als Verrat. Der damalige Chefredakteur Josef Rampold hat der Thematik einige seiner berühmt-berüchtigten Randbemerkungen gewidmet, in denen die „Frauen für Frieden“ u.a. als „Wasserträgerinnen Moskaus“ oder als „nützliche Idiotinnen“ bezeichnet wurden. Attribute, über die die Frauen zwar lachen konnten, aber die sie natürlich auch vehement zurückwiesen. Deshalb waren die „Frauen für Frieden“ und ihre Anliegen in den wöchentlichen Leserbriefseiten (damals gab es Leserbriefe in den Dolomiten nur dienstags) auch immer wieder präsent. Die Berichterstattung über die verschiedenen Initiativen war in den Dolomiten tatsächlich eher kurz, während andere Medien – wie Alto Adige, Volkszeitung, alternative, Gewerkschaftszeitungen – ausführlicher berichteten.

 

Wie gestaltete sich die Bewegung – geografisch, sprachlich, beruflich? Gab es Kontakte über die Landesgrenzen hinaus?

Die „Frauen für Frieden“ waren nicht die Südtiroler Friedensbewegung, aber sie waren ihr Herzstück würde ich sagen. Die Friedensbewegung war in ihrer Ausrichtung global orientiert. Das Motto: Global denken, lokal handeln trifft auf diese Bewegung und auch auf die „Frauen für Frieden“ voll zu. Die Gruppe hatte Kontakte zu Friedensgruppen im restlichen Staatsgebiet – mit Comiso auf Sizilien z.B., wo die Cruise Missiles stationiert werden sollten oder in Friaul-Julisch-Venetien, wo es Natobasen gab –, aber auch ins deutschsprachige Ausland und darüber hinaus. Sie korrespondierten mit Initiativen in Hiroshima und Nagasaki und luden auch Referenten von dort zu einer Vortragsreihe nach Südtirol ein. Sie beschäftigten sich mit globalen Zusammenhängen und waren in ihrer Arbeitsweise transnationale Netzwerkerinnen, gleichzeitig in ihren Aktionen aber auch sehr bodenständig. Die Kundgebungen auf Kohlern hatten immer auch einen Volksfestcharakter.
Bei den „Frauen für Frieden“ handelte es sich um eine deutschsprachige Gruppe, auch deswegen, weil die Friedensbewegung in der italienischsprachigen Bevölkerung mit Pax Christi schon verankert war. Die Friedensbewegung insgesamt war in Südtirol sprachgruppenübergreifend, daran besteht kein Zweifel.

 

Wie generationsübergreifend agierte die Gruppe?

Die älteste der „Frauen für Frieden“ war Isolde Doldi, Jahrgang 1923, viele der Gruppe sind in den 1940er und 1950er Jahren geboren und die Jüngsten Anfang der 1960er Jahre. Also eine eher heterogene Altersstruktur, die auch auf unterschiedliche Erfahrungshintergründe verweist. Die „Frauen für Frieden“ schauten auf diese Vielfalt immer mit Stolz und Freude. Im Buch gibt es ein Foto mit Teilnehmerinnen an einem Seminar zum Thema „Aktive Gewaltlosigkeit“, das im Februar 1982 im Gasthaus Klaus in Kohlern organisiert wurde. Die älteste Teilnehmerin war 82 Jahre alt, die jüngste 15. Ich denke, das sagt einiges aus über die generationenübergreifende Botschaft der „Frauen für Frieden“.

 

Die Frauengruppe hatte „einen harten Kern mit weichen Rändern“ schreiben Sie. Wie kommen Sie zu dieser Feststellung? 

Innerhalb der „Frauen für Frieden“ gab es eine relativ kleine Gruppe von Frauen, die sehr konstant war, die letztlich auch die Entscheidungen traf und die deshalb einen „harten Kern“ bildete. Darum herum gab es eine größere, auch recht fluktuierende Gruppe von Frauen, die bei Bedarf aktiviert und motiviert wurden, die zu größeren Kundgebungen mitfuhren und bei Aktionen mithalfen. Die „Frauen für Frieden“ waren nie ein eingetragener Verein, es gab keine finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand, ihre Unabhängigkeit war ihnen wichtig. Sie hatten im Inneren durchaus eine feste und auch hierarchische Struktur, was wahrscheinlich auch notwendig war, nach außen waren sie aber sehr offen für sehr unterschiedliche Grade der Verbindlichkeit und Formen der Mitarbeit.

 

Warum endet die von Ihnen für das Buch untersuchte Frauenbewegung für den Frieden mit dem Jahr 1986?

Das hat sowohl mit der Überlieferung als auch mit den Veränderung der weltpolitischen Lage zu tun. Mit dem Amtsantritt von Michail Gorbatschow 1985 setzte eine Politik der Entspannung ein, die internationale Friedensbewegung verlor an unmittelbarer Dringlichkeit, ökologische Themen rückten verstärkt in den Fokus. Für die „Frauen für Frieden“ in Südtirol war sicherlich der April 1984 ein wichtiges Datum, denn da verließ Irmtraud Mair, die bis dahin die unumstrittene Zentralgestalt der Gruppe war, Südtirol. Isolde Doldi übernahm ihre Rolle als Koordinatorin der Gruppe, aber Auflösungserscheinungen machten sich schon damals bemerkbar.
Irmtraud Mair hat im Sommer 2017 ihre gesammelten Materialen und Dokumente dem Frauenarchiv Bozen überlassen. Dieser Bestand wurde ergänzt mit Materialien von anderen ehemaligen Protagonistinnen, u.a. auch mit denen von Isolde Doldi, die 1989 verstorben ist. Ab 1986 werden die Unterlagen extrem lückenhaft und die „Frauen für Frieden“ verlieren auch ihre Präsenz in der Öffentlichkeit.

 

Welche Wege haben die Friedenskämpferinnen von damals eingeschlagen?

Die Lebenswege der ehemaligen Frauen für Frieden gingen in sehr unterschiedliche Richtungen. Einige haben Südtirol verlassen und leben jetzt im Trentino, in Deutschland, Österreich oder in Spanien. Nicht mit allen ist es mir gelungen Kontakt aufzunehmen. Von manchen konnte ich keine Kontaktadresse ausfindig machen, einige haben sich auf meine Anfrage auch nicht zurückgemeldet. Ich habe allerdings den Eindruck, dass alle Frauen, mit denen ich in Kontakt war, nach wie vor sehr politisch denkende und auch in verschiedenen Bereichen engagierte Frauen sind. Da gibt es schon eine Kontinuität des politischen Engagements, würde ich sagen

 

Was hat sich in Sachen Friedens- und Frauenbewegung seitdem in Südtirol getan?

Seitdem sind über dreißig Jahre vergangen, in denen sich sehr viel getan hat. Die Frauenbewegung hat sich insgesamt und auch in Südtirol institutionalisiert, von der Straße in die Gremien könnte man sagen. Aber gerade die jüngsten Entwicklungen um Covid und Lockdown haben gezeigt, dass Frauen und Männer immer noch sehr unterschiedlich von gesellschaftlichen Entwicklungen betroffen sind bzw. anders darauf reagieren.
Auch ist die Welt nach dem Ende des Kalten Krieges keineswegs friedlicher geworden und es sind immer noch Frauen, die in Friedensbewegungen weltweit eine zentrale Rolle spielen. Auch in Südtirol gab es im Zusammenhang mit den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien und in der Golfregion die Bewegung „Donne in nero/Frauen in schwarz“, die Mahnwachen abgehalten haben und auf den Zusammenhang von Kriegen und sexualisierter Gewalt an Frauen hingewiesen haben. Das ist ja immer noch ein wichtiges gesellschaftliches Thema, das vor allem auch von Frauen aufgegriffen wird. Aktuell die bekannteste Stimme ist hierzulande wohl Monika Hauser.

Erschienen bei: Edizioni alphabeta Verlag

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Karl Trojer Do., 10.09.2020 - 09:22

Friedenssicherung gelingt am ehesten damit, dass den Frauen, endlich, in Gesellschaft und in Religionen die Gleichberechtigung auf allen Ebenen zuerkannt wird.

Do., 10.09.2020 - 09:22 Permalink