Kultur | Salto Weekend

„Feier der Vielsprachigkeit“

Beim Vaclav-Burian-Preis im tschechischen Olomouc/Olmütz ging es Ende September um internationale Lyrik. Mit dabei waren Sabine Eschgfäller und Jörg Zemmler.
vaclav_burian.jpg
Foto: Vaclav-Burian-Preis

Salto.bz: Frau Eschgfäller, Sie waren als Jurorin beim Treffen internationaler Lyrik im Osten Tschechiens…
Sabine Eschgfäller: Der Vaclav-Burian-Preis existiert seit 2016. Er wurde für den bekannten und beliebten Polonisten, Journalisten und Schriftsteller Vaclav Burian gestiftet, der seit vielen Jahren in Olomouc die Zeitschrift Listy herausgegeben und immer wieder selbst Dichterlesungen und Diskussionsrunden veranstaltet hat. Vaclav Burian ist im Herbst 2014 unerwartet mit 55 Jahren gestorben. Seine Freunde und Familie wollten im Gedenken an ihn eine Veranstaltung konzipieren, die alles vereint, was er geliebt hat: Literatur aus verschiedenen Ländern, politische Diskussion und Musik.
Neben dem Preis für Lyrik wird auch ein Preis für den Beitrag zum mitteleuropäischen Dialog vergeben, den im vergangenen Jahr Aleksander Kaczorowski und dieses Jahr Laszlo Szigeti gewonnen haben. Am Abend findet in der legendären Kneipe Ponorka immer zum Ausklang ein Konzert statt.

Das Preislesen wird an Burians Namenstag veranstaltet. Zufall?
Sabine Eschgfäller: Die Veranstaltung wird jedes Jahr am 28.9. veranstaltet, dem Tag des Hl. Wenzel, da ist hier Staatsfeiertag und eben auch Vaclavs Namenstag, denn Wenzel heißt im Tschechischen Vaclav.

Herr Zemmler, wie kam es zur Einladung zum Vaclav-Burian-Preis?
Jörg Zemmler: Ich war in den Sommermonaten als Stipendiat auf Schloß Wiepersdorf in Brandenburg. Dort bekam ich eine E-Mail-Anfrage. Ich hab mich sehr gefreut und mit Vorbehalt zugesagt. Zuerst wollte aber ich klären, ob meine Art Gedichte zu schreiben, auch – sozusagen –, in Ordnung sei. Das hat dann gepasst.

In welchen Sprachen haben Sie auf dem Festival kommuniziert?
Jörg Zemmler: Der polnische Autor und ich hatten persönliche Übersetzerinnen, die uns bei Bedarf während der Veranstaltung mit Übersetzungen versorgten. Mit Tomas, dem Gewinner unterhielt ich mich auf Englisch, mit Sabines Mann David auf Deutsch und mit Sabine auf Dialekt.

Wie war die Begegnung mit internationaler Gegenwartslyrik?
Jörg Zemmler: Ich habe vor dem Wettlesen je 2 Gedichte von den anderen 3 Autorinnen bekommen. Das fand ich sehr gut. Am besten gefielen mir, außer meinen, die von Herrn Aids aus Prag. Mir gefiel auch seine anarchistische Attitüde, die er durch sein Nicht Erscheinen bewies. Es war für mich guttuend, mich mit anderen treffen zu können, die im selben Boot rudern.

Wie klingt Zemmlers Lyrik auf Tschechisch?
Jörg Zemmler: Ich weiß es nicht. Die Übersetzungen meiner Gedichte habe ich nur schriftlich und nicht vorgelesen bekommen.
Sabine Eschgfäller: Ich habe Zemmler übersetzt, ja. Er klingt auf Tschechisch ziemlich anders, die Sprache hat einen anderen Sound und andere grammatikalische Notwendigkeiten – im Deutschen kann man sich viel abstrakter und unbestimmter ausdrücken, im Tschechischen ist man viel kasusgebundener bzw. muss alles geschlechtlich bestimmt werden. Auch die konsequente Kleinschreibung, im Deutschen auffällig, spielt hier keine bzw. kaum eine Rolle, weil man eh – abgesehen von z.B. Städte-oder Personennamen – alles kleinschreibt. Ich habe versucht, dass es so klingt, wie ich ihn gelesen habe: ruhig, unprätentiös, einfach.

Wie geht das Festival mit dem Thema Mehrsprachigkeit um?
Sabine Eschgfäller: Das Thema Mehrsprachigkeit ist ein Zentrales für das Festival: Es werden vier Autorinnen und Autoren aus vier verschiedenen Ländern eingeladen – in diesem Jahr aus Tschechien, der Slowakei, Polen und Österreich. Jeder bzw. jede liest in der eigenen Sprache. Alle Gedichte werden für das Publikum ins Tschechische übersetzt und während des Lesens auf eine Leinwand projiziert. Alle Gedichte sind auch physisch im Original und in der Übersetzung in einer begleitenden Publikation, die zum Tag der Veranstaltung herausgegeben wird, vorhanden. Es geht darum, dass man sich begegnet und auch ein Ohr öffnet für die Lyrik, die in einer anderen Sprache geschrieben ist. Die Jury-Diskussion findet gleich nach den Lesungen öffentlich statt. Die Jurymitglieder stammen ebenfalls aus vier Ländern. Die Diskussionssprache ist Tschechisch, die Kandidatinnen und Kandidaten haben Übersetzer neben sich sitzen. Es ist eine Feier der Vielsprachigkeit also.
Gewonnen hat den Preis der Jury dieses Jahr Tomas Rozycki aus Polen, den Publikumspreis Anna Ondrejkova aus der Slowakei.

Wie würden Sie die Literaturszene Tschechiens beschreiben?
Sabine Eschgfäller: Das ist ein weites Feld. Sie ist auf jeden Fall sehr lebendig und aktiv. Die Literatur hat vor 1989 eine große Rolle gespielt, v.a. wollte man lesen, was man nicht lesen durfte. Es gab sehr schöne Editionen und geniale Übersetzungen, z.B. schon in den 70ern und 80ern von Jandl ins Tschechische. Nach 1989 wurde viel neu übersetzt, neue Autoren und Autorinnen entdeckt und man produzierte auch viel neue Literatur. Wie so oft bei kleinen Ländern mit einer großen Metropole ist vieles, was man so "Literaturszene" nennen würde, auf Prag konzentriert. Der Vaclav-Burian-Preis versucht auch abseits von Prag ein Statement für Lyrik und Kultur zu setzen. Wie gesagt, es ist ein weites Feld, wenn ich auf etwas Konkreteres antworten sollte, bitte fragen Sie gerne nach.

Wie schmeckt das Bier in Olomouc/Olmütz?
Jörg Zemmler: Wie erwartet gut. Und bezahlen musste ich, wenn ich mich recht erinnere, insgesamt nur eines. David Voda, den ich schon am Vorabend des Wettbewerbs getroffen habe, lud mich ein. Und am Abend nach dem Wettbewerb wurden alle mit Bier, Gulasch, Broten und Kuchen verköstigt.