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„Ich erkenne Kaltern nicht mehr“

​Wie erlebt ein gut integrierter Pakistaner die Kalterer Flüchtlingsdiskussion? Jungunternehmer Zauheb Sardar über einen spontanen Auftritt und lehrreiche Lektionen.
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Foto: Foto Privat

salto.bz: Sind Sie der Mann, der die Kalterer davon überzeugt hat, doch noch 30 Flüchtlinge in Ihrer Gemeinde aufzunehmen - wie es am Wochenende in der Tageszeitung Alto Adige zu lesen war?
Zauheb Sardar: Nein, das ist total übertrieben. Es stimmt aber, dass ich bei der Bürgerversammlung vor einer Woche das Wort ergriffen habe und damit glaube ich ein wenig dazu beizutragen, die aufgeheizte Stimmung im Saal ein wenig zu beruhigen und ein paar Leute zum Nachdenken zu bringen.

Mit der Bemerkung, dass Sie als Muslim auch ab und zu Wein trinken?
Auch das scheint beruhigt zu haben, Sie kennen ja die Kalterer und den Stellenwert von Wein hier. Aber das war alles sehr spontan, ich bin als Mitglied der Dorfliste zu dieser Versammlung und hatte mich überhaupt nicht vorbereitet, etwas zu sagen. Doch dann wurde die Stimmung immer hitziger. Da gab es tatsächlich Menschen im Saal, die meinten, man solle die Schiffe in Afrika bombardieren, dann hätten wir hier keine Probleme.

Oder den Flüchtlingen ihre Handys wegnehmen, damit sie aufhören, andere anzulocken...
Ja, die Stimmung war zu einem gewissen Zeitpunkt sehr aggressiv. Es gab da zum Beispiel einen ehemaligen Nachbarn meiner Familie, dessen ganze Familie uns immer Komplimente gemacht hatte, welch gute Nachbarn wir wären. Und der sagt plötzlich vor dem ganzen Saal lautstark sehr negative Dinge über Moslems.

Was zum Beispiel?
Das Übliche, dass sie sich ohnehin nicht integrieren könnten und solche Sachen. Ich bin nicht jemand, der schnell den Impuls hat, in Verteidigung gehen zu müssen. Doch irgendwann reichte es mir echt und da habe ich um das Mikrofon gebeten. Ich war schon nervös, denn die meisten Leute im Saal kannten mich nicht. Ich habe in vielen Gesichtern gelesen: Na bitte, jetzt steht der Ausländer auf, der kann sicher nicht einmal Deutsch. Und dann habe ich gesagt: Ich werde Dialekt sprechen, weil mein Hochdeutsch sehr schlecht ist.

Und damit war das Eis gebrochen?
Irgendwie schon, ab dem Zeitpunkt waren die Leute dann auf jeden Fall interessierter. Ich habe auch nichts Großartiges gesagt, ihnen einfach ein wenig über mich erzählt und vor allem gesagt: Ich erkenne Kaltern nicht mehr. Als ich mit neun Jahren hierherkam, war ich willkommen. Ich konnte weder Deutsch noch Italienisch, doch die Leute haben mich auf der Straße angesprochen, mit mir versucht zu kommunizieren, da war keine Angst da. Und genau diese Liebe, dieses Vertrauen, dass ich damals bekommen habe, hat mich dazu motiviert, hier etwas schaffen zu wollen, Südtirol auch etwas zurückgeben.

Zum Beispiel mit dem Webunternehmen Südweb, das Sie vergangenes Jahr im Alter von 25 Jahren gegründet haben?
Ja, Südtirol ist bei diesem Unternehmen nicht nur im Namen verankert. Wir arbeiten nur mit Südtiroler Lieferanten, auch im Druckbereich, das war mein persönliches Anliegen. Wir haben Projekte mit Lehrlingen am Laufen, ich mache Umsatz, zahle Steuern. Und das war mir möglich, weil ich nicht nur von meiner Familie, sondern damals auch von Kaltern die Unterstützung bekommen habe, die ich gebraucht habe, um mich so entwickeln zu können. In Bozen war das zum Beispiel schon früher anders. Dort war diese Trennung immer viel stärker zu spüren, aber in Kaltern ist die Hautfarbe oder Religion nicht im Vordergrund gestanden.

 

Doch gerade in der Diskussion um die Aufnahme von Flüchtlingen war von dieser Offenheit nicht viel zu spüren. Wie haben Sie das erlebt?
In den vergangenen Jahren hat sich viel verändert. Auch für Leute, die wirklich voll integriert sind wie ich. Ich sehe das in den Augen von immer mehr Leuten, denen ich so auf der Straße begegne, da ist Angst oder Aggression, wenn sie mich sehen. Irgendwie kann ich es auch nachvollziehen, die haben alle schon so unglaublich viele Meldungen und Schlagzeilen im Kopf, über Terroranschläge, Vergewaltigungen, Schlägereien. Und dann wird einfach jeder Moslem, jeder Mensch mit anderer Hautfarbe in den gleichen Topf geworfen, unabhängig davon, welches Leben er hier hat.

Man hört ja oft, dass auch aus solchen Gründen auch unter den unterschiedlichen Gruppen von Migranten Ablehnung herrscht. Bedroht die Flüchtlingswelle also auch Ihr Leben als gut integrierter Südtiroler mit Migrationshintergrund?
Ich spüre einfach, dass die Stimmung gegenüber Ausländern in den vergangenen Jahren immer radikaler wird und finde die Entwicklung gerade ganz schlecht. Es gibt aber auch immer mehr ausländische Familien, die beschließen, von Südtirol wegzugehen. Ich habe gerade wieder von drei, vier Familien gehört, die alle einen guten Status hier haben, ein eigenes Geschäft, eine eigene Wohnung. Dennoch beschließen sie dann nach zehn, oft auch nach 20 Jahren wieder wegzugehen, weil sie erkennen, dass sie trotz all dem, das sie aufgebaut haben, nicht akzeptiert werden.

Gehen diese Menschen dann zurück nach Pakistan bzw. in ihr jeweiliges Herkunftsland?
Nein, gerade unter den Pakistani ziehen derzeit viele nach England weiter, dort sehen Sie mehr Zukunft, dort gibt es auch eine große pakistanische Community. Selbst meine Eltern überlegen das derzeit.  Und ich kann das auch verstehen. Mein Vater hat hier über 25 Jahre als Handwerker gearbeitet, sie haben sich gut integriert. Dennoch spüren sie, dass sie anders angesehen werden und oft auch behandelt werden, wenn sie ins Krankenhaus oder zu einer Behörde müssen. Man spürt einfach, da geht es vor allem um die Hautfarbe, vielleicht auch die Religion. Und das ist einfach schade.

Warum sind Ihre Eltern überhaupt nach Südtirol gekommen?
Weil sie auch auf einen besseren Lebensstil hofften, eine bessere Gesundheitsversorgung.

Das, was man heute den sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen vorwirft....
Doch wir waren keine Flüchtlinge, wir haben nie Geld vom Staat bekommen. Als wir hier herkamen, hatte mein Vater schon eine Wohnung, er hatte schon längere Zeit hier gearbeitet. Ich war am Anfang aber alles andere als glücklich. In Pakistan hatten wir ein großes Haus gehabt, ich hatte viele Freunde, hier mussten wir anfangs alle in einer kleinen Wohnung wohnen, ich kannte niemanden und verstand nichts. Der einzige Trost war damals, dass meine Familie wieder zusammen war und wie ich hier in Kaltern aufgenommen wurde. Das hat mir geholfen, diesen Schmerz zu überwinden.

Was bedeutet es für Sie zu sehen, dass diese Aufnahmebereitschaft nicht mehr vorhanden ist?
Ich muss vorab sagen, dass ich weder rechts noch links bin. Ich bin einfach ein realistischer Mensch, der seine Meinung sagt. Und die wiederum ist von meinen Erfahrungen mit Menschen verschiedenster Herkunft geprägt. Und wenn ich sehe, wie nun in Kaltern teilweise argumentiert wird, muss ich auch an all die Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund denken, die heute in meiner damaligen Situation sind. Die dieselben Schulklassen besuchen wie die Kinder jener Menschen, die auf Versammlungen sagen, man soll Flüchtlingsboote bombardieren, weil es in Kaltern keinen Platz für 30 Flüchtlinge gibt. Ich meine, wenn die das hören, ist es auch für sie ein klares Zeichen, dass auch sie nicht akzeptiert werden, dass auch sie keinen wirklichen Platz hier haben.

 

Aber gelingt es Ihnen auch, die Ängste nachvollzuziehen, die entstehen, wenn Menschen aus komplett anderen Realitäten in ein kleines Dorf einziehen sollen?
Wie gesagt: Zumindest bis zu einem bestimmten Punkt kann ich vieles nachvollziehen. Wir sind alle Menschen mit Emotionen und Instinkten und heute gibt auch eben auch viel Propaganda, vor allem aus Deutschland. Und viele Politiker hier springen da eben auch auf, um mehr Wähler zu bekommen, man versteht ja, wie das läuft.

Es gibt aber auch tatsächliche Probleme, mit Menschen, die ihrer neuen Heimat keinen Platz finden, auf schiefe Bahnen geraten, von der Arbeitslosigkeit bis hin zu Radikalisierung oder  Kriminalität.... Kurzum: Nicht alle Geschichten sind so herzeigbar wie Ihre.
Ich bin wirklich keine Ausnahmeerscheinung, es gibt so viele gute Geschichten und sicher noch viel bessere als meine. Aber es gibt auch das Gegenteil. Ich recherchiere zum Beispiel bei jedem IS-Attentat in Europa, wer die Menschen dahinter waren. Und das sind immer die, die keinen Kontakt zur Gesellschaft um sich hatten. Die sind zwar dann in Europa aufgewachsen, aber haben nie ein Vertrauen erhalten, immer nur Ablehnung gespürt. Und gerade deshalb sage ich: Leute passen wir auf, dass es hier nicht wird wie in Paris. Wir haben noch eine Chance, dass solche Radikalsierungen nicht passieren. Und zwar vor allem, wenn wir die Kinder, die hier geboren werden akzeptieren, sie nicht schon mit drei oder vier Jahren spüren lassen, dass sie eine andere Hautfarbe oder Religion haben.

Und was ist mit 20-jährigen Männern mit anderer Hautfarbe, vor denen sich die Ängste noch viel größer sind?
Ich habe auch in Kaltern bei der Bürgerversammlung gesagt: Wir sind in keinem Grimm-Märchen, wo immer alles gut wird. Es gibt auch hier kein Schwarz und Weiß. Auch unter den Menschen, die Flüchtlingen hierherkommen, gibt es vielleicht einige, die kriminell sind. Aber dafür auch einige, die vielleicht einmal zu einer wichtigen technologischen Innovation in Südtirol beitragen werden. Es wird auch welche geben, die sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben, die miterleben mussten, wie ihre Angehörigen starben, ihre Häuser zerstört wurden, und die deshalb nicht von Beginn an total aufgeschlossen sein werden. Auch ich war übrigens in der vierten Grundschule nicht einfach. Ich habe mich ständig mit allen geschlagen.

Warum?
Das war bei uns in Pakistan so üblich, da steckte man in der Schule und unter Freunden tagtäglich Prügel ein und verprügelte selbst. Und so habe ich auch in Kaltern bei der kleinsten Provokation darauf losgeschlagen. Als ich dann die Sprache besser verstand, brachten mir meine Mitschüler und meine Lehrer dann bei, dass man auch reden kann, seine Meinung sagen kann statt die Faust sprechen zu lassen. Aber wie gesagt: Wir müssen aufhören, immer nur Schwarz und Weiß zu malen. Es gibt nicht nur Kriminelle oder Gute, weder unter Flüchtlingen und Migranten, noch unter den Kalterern oder den Südtirolern.

Was braucht es, damit das von mehr Menschen verstanden wird als bisher?
Zuallererst eigene Erfahrungen mit Menschen anderer Herkunft. Alle, die solche Erfahrungen haben, kommen meist überhaupt nicht mehr auf die Idee, so extreme Aussagen zu machen wie sie auch auf der Bürgerversammlung zu hören waren. Xenophopie, Fremdenfeindlichkeit ist eben etwas, das sehr tief im Menschen sitzt. Wenn ich eine Kreatur nicht kenne, auch ein fremdes Tier sehe, könnte es schließlich beißen oder giftig sein.

Wenn ich es dagegen kenne?
Dann kann ich auch viele Schreckensmeldungen hören, und werde dennoch unterschieden und nicht alle in einen Topf werfen. Deshalb sage ich: Macht Eure Erfahrungen. Und wer ganz sicher sein will, dass sie gut sind, kann gerne mit mir essen gehen (lacht).

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Paul Stubenruss Mi., 08.11.2017 - 16:29

Es gibt ein Buch einer gewissen Glaubensgemeinschaft das Freiheiten erlaubt wie keine andere Glaubensgemeinschaft. Wenn jemand grade mal Lust hat jemanden zu betrügen, zu schlagen oder gar zu ermorden, dann bekommt er die Erlaubnis wenn nicht gerade die Aufforderung dazu. Nur eine kleine Einschränkung muss in Kauf genommen werden, es müssen ungläubiger sein.

Mi., 08.11.2017 - 16:29 Permalink