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Kinder als Musiker

Im Forschungsprojekt von Prof. Franz Comploi wird Grundschulkindern ein Saiteninstrument auf besondere Weise beigebracht. Projektleiterin Irene Troi erklärt, wie.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Kinder als Musiker
Foto: unibz

„Peter öffnete die Gartentür und trat hinaus auf die große grüne Wiese“, ertönt die Stimme des Märchenerzählers aus der Schallplatte. Plötzlich erklingt ein fröhliches Geigenspiel, ein leichter Schritt wird durch den Rhythmus der Streichinstrumente angedeutet. Und so schreitet der Protagonist in den Köpfen der lauschenden Kinder fröhlich auf der Wiese umher. Als Peter auf die Ente trifft, ertönt die quakende Oboe, die seinen fedrigen neuen Freund musikalisch in die Geschichte einführt. Eine halbe Stunde später, das Märchen nähert sich in stetigem Crescendo seinem Höhepunkt zu, begegnen Peter und die Ente schließlich dem bösen Wolf. Dieser Moment  wird mit dunklen Klängen und angsteinflößenden Paukenschlägen noch mal untermauert und lässt die Augen der Kinder größer werden. „Peter und der Wolf“ heißt das musikalische Märchen aus dem Jahr 1936. Es ist ein Versuch, Kinder in die Welt der Musik einzuführen und sich dabei ihrer ausgeprägten Phantasie zu bedienen.

Ein ähnlicher Versuch wird nun in Südtirol gemacht. Im Herbst 2015 startete an der Grundschule von Milland bei Brixen das Projekt Kinder als Musiker von Prof. Franz Comploi der Uni Bozen. 67 Kindern der ersten und zweiten Klasse wird das Musizieren auf einem Streichinstrument beigebracht. Das dreijährige Forschungsprojekt soll dabei die musikalische Bildung der Grundschulkinder und den damit verbundenen Lernfortschritt untersuchen. Irene Troi, die den Musikunterricht mit den Kindern gestaltet, weiß ihre Klassen zu schätzen: „Ich musiziere seit 25 Jahren mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Der große Unterschied von einem Kind zum Erwachsenen ist, dass Kinder noch eine reiche Phantasiewelt in sich verbergen, die leider später oft abhanden kommt. Kinder lassen sich sehr schnell begeistern und geben dann sofort alles. Für mich ist das Erlebnis jedes Mal eine unglaubliche Bereicherung, weil ja jedes Kind seinen persönlichen Teil dazugibt und so eine wunderbare Atmosphäre entsteht.“

Leistungsdruck gibt es im Unterricht keinen, denn die Instrumente werden den Kindern durch eine sehr phantasievolle Bildsprache nähergebracht: „Jedes Kind hat einen Namen für die Geige, die für uns in Milland ein Theater mit vier Bühnen ist, auf denen der Bogen tanzt oder malt oder springt. Dasselbe auf dem Cello. Wir sind immer in einer Phantasiewelt unterwegs, ich benutzte bewusst nie technische Musikausdrücke.“

Das wichtige bei dem Projekt ist zudem das eigenständige Lernen, sowie der verantwortliche Umgang mit den Instrumenten, die den Kindern nähergebracht werden sollen. „Sie müssen sich auf ihrer Geige oder dem  Cello selbst das Musizieren beibringen, Ich kann es nur mit meiner Geige zeigen. Die Zweitklässler nehmen die Instrumente auch mit nach Hause. Sie tragen damit eine große Verantwortung. Die Instrumente hat die Uni Bozen zur Gänze finanziert, so weiß jedes Kind, dass die Geige, oder das Cello nicht sein Eigentum ist und deshalb wird noch besser aufgepasst.“

Zusätzlich zu den Instrumenten, wird den Kindern auch das Hören beigebracht. Hören müsse nämlich jedes Kind selbst lernen, da es nichts sei, das von außen eingesetzt werden könne, meint Frau Troi. Ein Ton wird nämlich zuerst von innen gehört, bevor das Kind ihn auf dem Instrument reproduzieren kann. Auch dabei kommt die Bildsprache und Phantasiewelt nicht zu kurz, erklärt die begeisterte Musiklehrerin: „Ein Spaziergang zum Vahrner See zählt für mich zum Geigentraining. Der Vahrner See ist für das richtige Treffen eines Tones sehr wichtig. Wir stellen uns den See vor, der wie ein bestimmter Ton klingt, die Kinder schließen die Augen und springen Kopfüber mit ihrer Stimme in den See.“

Irene Troi, Orchester- und Kammer-Geigerin, leitet seit 10 Jahren gemeinsam mit ihrem Mann das Jugendsinfonieorchester Südtirol und gibt zudem Kurse für Kinder-und Jugendgruppen sowie Schulklassen. Davor spielte sie 25 Jahre lang im Concentus Musicus Wien unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt, einem der bekanntesten Dirigenten der Welt. Von ihm lernte Troi die lebhafte Vermittlung von Musik: „Ich muss sagen, er hatte bis zum Schluss seines Lebens die Phantasie eines 4-Jährigen! Wir haben mit ihm nie Noten gespielt, alles war in Bilder verpackt: Spielen Sie diese Töne wie das Moos im Wald, die zweite Flöte soll wie ein Kuckuck klingen, das müssen sie spielen, wie wenn sie auf einer Bananenschale ausrutschen würden....er sprach praktisch immer so mit uns sogenannten Profimusikern. Seine Art möchte ich ganz vielen Kindern weitergeben, das habe ich ihm versprochen.“

Vor einem Jahr übernahm Irene Troi das Projekt in Milland. Der Musikunterricht findet eineinhalb Stunden in der Woche statt. Im Lernverhalten der Kinder lassen sich bereits erste Ergebnisse beobachten, bestätigt Frau Troi. Nicht nur das Hörvermögen, die Stimme, sowie das Rhythmusgefühl der Kinder hätten sich verbessert, sondern auch ihr Selbstwertgefühl, durch das Bewusstsein, Teil einer Gruppe zu sein, in welcher der eigene Beitrag wichtig und einzigartig ist. Auch die Eltern scheinen zufrieden mit den Resultaten ihrer Kinder zu sein: „Die Eltern hatten am Anfang ganz unterschiedliche Meinungen dazu. Manche waren ganz froh, manche skeptisch. Jetzt, nach dem ersten Jahr höre ich nur Positives von den Eltern der Zweitklässler,“ meint Troi.

Das könnte auch an dem zusätzlichen Nebeneffekt liegen, den die Kinder aus dem Musikunterricht generieren. Dieser wird nämlich 3-sprachig abgehalten und trägt so zur besseren Artikulation der Kinder in den drei Sprachen Deutsch, Italienisch und Englisch bei. Die Vermittlung der Sprache bleibt der phantasievollen Weise treu. Irene Troi nennt ein Beispiel, wie sich die Kinder von einer Sprache zur nächsten bewegen: „Wir fliegen immer mit Chilliairways nach Berlin oder Rom oder London. Die Kinder schließen da ihre Augen und stellen sich vor, sie wären nicht mehr in Milland. Kinder sind herrlich, sie können das noch.“

Was die Musiklehrerin aber am meisten begeistert, ist die enorme Aufnahmefähigkeit der Kinder: „Ein Streichinstrument zu lernen, ist für ein kleines Kind eine große Herausforderung und ich stelle immer wieder verwundert fest, mit was für einer Geduld das Kind ans Lernen geht. Ein Kind hat meiner Meinung nach schon alles in sich verborgen. Es muss im Hirn Verbindungen geben. Wie könnte sonst ein Kind innerhalb kürzester Zeit Lieder in verschiedenen Sprachen, prosodisch richtig gesprochen und gesungen und gleichzeitig auf dem Instrument begleitend wirklich toll auswendig vortragen?“

Pädagogik hat Frau Troi noch nie studiert. Sie lerne alles von den Kindern selbst. Außerdem, stecke in jedem Kind ein Musiker: „Es ist so, dass in manchen Familien viel gesungen oder musiziert wird und in manchen kaum. Ich erlebe Kinder, die vielleicht am Anfang nicht ganz richtig gesungen haben und jetzt überhaupt kein Problem mehr damit haben. Es gibt verschiedene Talente, aber jeder ist absolut gleich wichtig und meine Kollegen und ich müssen da einen guten Weg finden, die verschiedenen Kinder weder zu unter- noch zu überfordern. Da habe ich einen ganz tollen Mann, der mir schon seit vielen Jahren Musikstücke auf jedes Kind zuschneidert. Kinder sind das Beste, was einem passieren kann. Lassen wir sie, wie sie sind. Das ist nämlich wunderbar.“

 

 

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Karl Trojer Di., 13.12.2016 - 11:18

Wunderbar, wenn Kinder musizieren ! Bei Sokrates habe ich sinngemäß die Aussagen gefunden "hütet Euch vor Homer, der preist die Helden und schickt Eure Kinder in den Krieg... Kinder brauchen keine Heldengeschichten, sondern Rhytmus, Musik und Tanz, damit ihre Seelen gedeihen können und sie zu sich selber finden... "... und "Erziehen heißt Hebamme sein":..

Di., 13.12.2016 - 11:18 Permalink