Kultur | Salto Afternoon

Beklemmender Film

“Astrid” von Pernille Fischer Christensen erzählt die schwierigen jungen Jahre der bekannten Kinderbuchautorin Astrid Lindgren
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Foto: Filmclub

Wer kennt sie nicht? Astrid Lindgren, die viel gelesene Autorin des meist übersetzten Kinderbuches Pippi Langstrumpf? Und vieler anderer Titel, die auch als Hörbücher in vielen Kinderstuben laufen... Genau dieses Echo kommt auch im Spielfilm Astrid vor, der nun von der dänischen Regisseurin Pernille Fischer Christensen der „jungen“ Astrid gewidmet wurde. Denn, er beginnt und schließt mit Kinderzeichnungen, die einer schon älteren Lindgren zu ihrem Geburtstag gesendet wurden: anmutende Bilder, denen Kinderstimmen das Leben einhauchen... Uraufgeführt auf der Berlinale 2018 im Rahmen der Special Galas, fand der Film gleich guten Anklang beim Publikum.

Der Kern der Geschichte ist bald erzählt: ein junges Mädchen wächst in einer sehr streng religiösen Familie auf, eine Tatsache, die sie (zuerst) in die Fantasie- und dann in die wirklichen Abenteuer des Lebens treiben soll. Was passiert da nun genau? Die fehlende Wärme sucht sie sich bei ihrem Arbeitgeber, dem Chefredakteur der lokalen Zeitung von Vimmerby, ihrem Heimatort, der eine Stelle als Volontärin ausgeschrieben hatte. Den Mut dazu findet sie in den Zeitschriften über die „neue Frau“, die sie gerne durchblättert, aber auch rezensieren soll. Dieser Mann aber, der ihr anfangs den notwendigen auch beruflichen Halt gibt, wird sie, sobald sich erweist dass sie schwanger ist, abweisen, oder zumindest nicht offen zu ihr stehen. Sie ist gerade mal achtzehn Jahre jung! Und das im Schweden der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Welch eine Scham, also, für die Familie, besonders für die stur moralische und von emotionaler Härte geprägte Mutter! Astrid – sehr nuancenreich von der Newcomerin Alba August auf der Leinwand gespielt - wird auf Fortbildung in die Stadt Stockholm verschickt, oder besser gesagt: verbannt. Dort führt sie ein schlichtes Leben, wohnt gemeinsam mit einer Studienkollegin und schafft es gerade mal sich zu erhalten. Aber: ihr Lebensdrang und -mut helfen ihr immer wieder weiter.

Ein beklemmender Film, über die Auswirkungen strenger Moral in der Familie. Aber auch eine Hymne an das immer währende Leben...

Es ist ihre Lebensfreude, die sie immer wieder rettet und die auch anfangs im Film in ihrem Pippi-Langstrumpf-mäßigen Aussehen gezeigt und eingeführt wird: ihre Witze auf dem Schlitten im Winter, ihre wilden Schreie im stillen verschneiten Wald oder die Art, wie sie mit ihren beiden aus der Wollmütze hervorspringenden rothaarigen Zöpfen die Straße entlang schlendert. Diese Lebensfreude schimmert immer wieder auf ihrem Gesicht, auch wenn die Zöpfe zu Gunsten eines moderneren Kurzhaarschnittes längst abgefallen sind...

Astrid Trailer Deutsch German (2018)

Zum Beispiel, wenn sie in Stockholm in ihrer Verzweiflung von einer Rechtsanwältin hört, die schwangeren Mädchen zur Seite steht und von dieser dann auch eine Adresse in Dänemark bekommt, wo sie ihren Sohn Lars, den sie dann Lasse nennen wird, ohne Vaterschaftsbekanntgabe gebären kann und ihn auch in Obhut einer Pflegemutter lassen kann, bis sich die Lage mit dem Vater bessern sollte. Denn dieser wollte Zeit gewinnen: seine Frau hatte die Scheidung eingereicht, droht aber mit einer Anzeige auf Unzucht.

Inszeniert wie ein klassischer Erzählfilm, wird in Astrid auch stark durch die musikalische Begleitung auf die emotionale Gefühlsleiter beim Zuschauer gedrückt.

Ganze drei Jahre schafft es der Mann Astrid auf der Leine zu halten, mit dieser Mahnung, während sie ab und zu nach Dänemark fährt, um den Kontakt mit ihrem Sohn bei seinem Wachsen nicht ganz zu verlieren. Was aber dann doch passiert: er hat nur Zutrauen zur Pflegemutter, denn die kennt er, seine eigene, leibliche Mutter kennt er viel zu wenig. Astrid, mittlerweile eine selbständige und berufstätige junge Frau (sie hatte eine erste Anstellung als Sekretärin in der Buchhandelszentrale gefunden), erfährt einen weiteren Seelenschlag. Ihre einzige Hoffnung auf ein mit Kind und Mann erfülltes Leben zerfällt aber sobald ihr geliebter Reinhold – alles eher als ein „reiner Hold“ - wieder einmal auftaucht und ihr ganz nebenbei berichtet, er sei mit einer Geldstrafe davon gekommen. Das ist definitiv zu viel für Astrid, so viel Kummer für ein bisschen Geld! Denn die Drohung von seiner Seite war immer das Gefängnis... Dies erkältet ihre bisher warmen Gefühle ihm gegenüber und sie schlägt seinen (wirklich ehrlich gemeinten?) Heiratsantrag ab und entscheidet sich für ein autonomes Leben in Stockholm. In einer neuen Wohnung, gemeinsam mit ihrer Zimmerkollegin und mit Lasse, den sie zu sich holen wollte, denn mittlerweile hatte sie auch eine neue Arbeitsstelle gefunden, beim Königlichen Automobilclub. Aber die langandauernde Entfernung von ihrem kleinen Lasse haben diesen immer mehr von ihr entfremdet und er will nicht mit ihr mitkommen. So fährt sie schweren Herzens wieder nach Stockholm zurück und beginnt ein von Trauer und Enttäuschung beherrschtes Leben, das ihr Lebenswille jedoch mit Alkohol und Tanz überschatten will. Bis, ja, bis die Pflegemutter krank wird und sie Lasse wirklich zu sich holen muss, der anfangs ganz und gar nicht will. Dann wird er krank und sie, immer mehr besorgt, schläft am Arbeitsplatz ein, da sie nachts kein Auge zutut. Da kommt der Büroleiter vorbei und schickt sie nach hause, aber nicht weil er sie entlässt, sondern auf dass sie ihrem kranken Kind besser beistehen kann... Ab diesem Moment gibt es einen Wendepunkt im Film, denn wenn bisher die dunklen Farben überwogen haben, die teils an manchen melancholisch angehauchten nordischen Stummfilm erinnert haben, werden die Bilder nun in immer hellere Farben getaucht und die Story geht genauso einem Happy-End entgegen. Inszeniert wie ein klassischer Erzählfilm, wird in Astrid auch stark durch die musikalische Begleitung auf die emotionale Gefühlsleiter beim Zuschauer gedrückt. Originell sind dabei die Kinderstimmen, die in den Tiefmomenten der weiblichen Hauptfigur immer wieder eingeblendet werden und ihren Humor und die phantasievolle Sichtweise besingen, die in ihren Kinderbuchfiguren durchleuchten.

Ein beklemmender Film, über die Auswirkungen strenger Moral in der Familie. Aber auch eine Hymne an das immer währende Leben, das in uns sitzt und nur darauf wartet durch Liebe und Fröhlichkeit geweckt zu werden. Gestern wie heute.