Politik | Umwelt

Ja zur WM - Nein zum Landfraß!

Wir müssen die alten Theorien völlig neu denken.
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[1970] Campionati del mondo di sci alpino in Val Gardena. Al traguardo in zona Ruacia gli spettatori in attesa degli atleti.
Foto: http://www.fotosantacristina.it/it/archivio.html?category=wm

Manchmal habe ich den Eindruck, als hätten wir heute eine immer stärker von Arroganz geprägte Mentalität, die sich nur noch mit kleinen Alltagsproblemen beschäftigt und völlig die Fähigkeit verloren hat, die Dinge in einem größeren Zusammenhang und mit Weitblick zu sehen. Eine Politik, die den Dialog verschmäht, die keine Kompromisse findet, die grundsätzlich immer erstmal die Tür zuschlägt und außerdem vernichtende Botschaften aussendet, macht sich des Nihilismus und der totalen Selbstreferenzialität schuldig. Vielleicht ist der Moment gekommen, mal grundsätzlich ein paar politische Ideen neu zu überdenken. Oder sich auch mal an die ein oder andere historische Begebenheit zu erinnern, die uns in der Vergangenheit zu besseren Menschen gemacht hat.

An Alcide de Gasperi zum Beispiel (für den die Ladiner eine italienische Minderheit waren, doch insgesamt griffen seine Ideen höher und waren umfassender): In der ersten Nachkriegszeit, als unser armes Italien dank des Wirkens einer der vielen tragischen Knallschoten, die unsere Geschichte geprägt haben, zerstört und kraftlos am Boden lag, sagte er 1946 in Paris: „Alles hier außer Ihrer persönlichen Höflichkeit ist gegen mich.“ Mit seiner Aufrichtigkeit, seiner Geduld, seinen Visionen sorgte er dafür, dass wir wieder den ersten Schritt in Richtung einer zivilen Gemeinschaft tun konnten. Und heute?

In unserer Provinz wurde erfolgreich eine Allianz mit den Umweltschützern verhindert; es werden weiterhin die Äpfel vergiftet und es wird zu viel Milch produziert, während uns gleichzeitig die europäischen Grünen, die nun wirklich keine Hardliner sind, in Richtung einer besseren Zukunft führen.

Was sollen wir tun? Wir bräuchten so etwas wie Kallipolis, die von Philosophen regierte Idealstadt, wie Platon sie sich in seiner „Politeia“ vorstellte, um die beste staatliche Ordnung zu erreichen. Von derlei Niveaus sind wir heute allerdings meilenweit entfernt. Im Gegenteil: Es fehlt uns eine Vision, die sich nach oben orientiert und die auch die Mitmenschen im Blick hat, die anderen.

Nach diesen einleitenden Worten will ich nun versuchen, meine Gedanken zum Thema Ski-WM 2029 zusammenzufassen. Eine Kandidatur von vorneherein abzulehnen, mit der Begründung, dass wir dadurch unsere Natur schützen, wäre aus meiner Sicht allzu beschränkte Kirchturmpolitik. Denn zerstörerische Umwelteingriffe würden dann vermutlich dennoch geschehen – in anderen Teilen der Alpen. Und es ist kein großer Trost, wenn statt bei uns die neuen Pisten und Bergbahnen anderswo gebaut werden. Doch warum denken wir, statt grundsätzlich abzusagen, nicht mal über mögliche Allianzen mit unseren ladinischen Brüdern/ Schwestern/ Nachbarn nach? So wie es bereits mit Dolomiti Superski bestens funktioniert, ein System, das unsere Täler nicht nur symbolisch miteinander verbindet. Oder mit der Maratona dles Dolomites, bei der wir erfolgreich gemeinsame Sache mit den Grödnern und den Ampezzanern machen. Wäre es nicht eine feine Sache, wenn wir viel öfter solche gemeinsamen Projekte in Sachen Kultur, Soziales, Wirtschaft und Umwelt versuchten?

Noch ein Beispiel: Auch für Alta Badia Brand haben wir uns zusammengesetzt, um mit einer gewissen Weitsicht gemeinsame Vorhaben, gemeinsames Planen in die Wege zu leiten. Der Tourismusverband, die Bergbahnen, der Ski-Weltcup und die Maratona – wir alle haben uns zusammengetan, um Synergien zu kreieren, um miteinander zu sprechen, um uns gemeinsam an klar definierten Werten auszurichten, um ein gemeinsam festgelegtes Ziel zu erreichen. Wir haben mit viel Mühe etwas geschaffen, haben einander zugehört, haben uns gegen Verschlossenheit und Egozentrik entschieden. Haben ganz im platonischen Sinne eine Welt der Ideen geschaffen. Noch sind es nur Ideen, doch auch die haben bereits unseren Gemeinschaftssinn gestärkt.

Wenn wir dieses Beispiel nun ein wenig größer denken, dann könnte eine gemeinsam ausgerichtete WM die homogenere Entwicklung des gesamten ladinischen Territoriums bewirken. WM-Profite kämen zum Beispiel Livinallongo gut zu Pass, einem Tal, das wirtschaftlich bisher viel weniger Glück hatte als wir, in dem ein anderer unternehmerische Geist herrscht als bei uns und welches das Geld viel nötiger braucht als wir. Dort droht die Entvölkerung, dort gibt es kein Geld für die Förderung der ladinischen Kultur, für die Instandsetzung alter Bergbauernhöfe. Dort gibt es nur ein paar Fördergelder von der Provinz, die aus unternehmerischer Sicht aber gar nicht so gut sind. Wäre ich ein Tetrarch, dann würde ich zu den Gästen sagen: Bitte kommt zu uns, aber ohne uns zu erdrücken! Und dann würde ich all unsere makellosen Bedingungen in die Waagschale werfen, ohne mich allzu sehr mit dem hohlen Begriff der „Nachhaltigkeit“ zu beschäftigen. Ja zur WM – nein zum Landfraß! Ja zur WM und zur Schließung der Dolomitenpässe zu bestimmten Uhrzeiten. Ja zur WM unter der Bedingung, dass gleichzeitig ein Radweg gebaut wird, der Colfosco mit Sankt Lorenzen verbindet. Und wo wir schon beim Thema sind, würde ich mir auch gleich eine Eisenbahnlinie wünschen, oder eine Seilbahn, die die Dörfer in Alta Badia mit dem Pustertal verbindet. „Wir haben kein Geld“ ist keine akzeptable Entschuldigung mehr. Wer langfristig plant, der findet das nötige Geld, und die technischen Schwierigkeiten lassen sich ebenfalls lösen.

Wir müssen die alten Theorien völlig neu denken, müssen uns in guter Philosophie üben, müssen uns die richtigen Fragen stellen und vor allem ein für alle Mal begreifen, dass wirtschaftliche Entwicklung nie stärker sein darf als kulturelle Entwicklung. Kultureller Weitblick ist nicht einfach nur wichtig, er ist die einzige wirklich entscheidende Grundbedingung, um im öffentlichen und privaten Leben dauerhaft Gutes zu schaffen.

Weil ich nun aber kein Tetrarch bin, der sich mit drei anderen Herrschern eine Region teilt, bleibt mir nichts anderes übrig, als die Gemeinschaft herzlich dazu einzuladen, sich wieder gemeinsam an einen Tisch zu setzen. Um zu reden, um Projekte zu entwerfen und dann gemeinsam zu handeln. Um gute Politik zu betreiben, so wie es die alten Griechen verstanden haben, mit einem einheitlichen Bewusstsein, mit Mut sowie klaren, radikalen Entscheidungen. Mit einer Einstellung, die Überkommenes überwindet und einem Mantra, das folgendermaßen lautet: „Wenn du etwas haben willst, das du noch nie zuvor besessen hast, musst du etwas tun, dass du noch nie zuvor getan hast“

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pérvasion Di., 08.06.2021 - 19:07

»Ja zur WM unter der Bedingung, dass gleichzeitig ein Radweg gebaut wird, der Colfosco mit Sankt Lorenzen verbindet.«

Wo liegt denn dieses schöne Colfosco?

Di., 08.06.2021 - 19:07 Permalink