Gesellschaft | Kirche

„Für die Würde des Menschen“

Bischof Ivo Muser ruft in einem sehr mutigen Hirtenbrief auf, der Gewalt gegen Frauen entgegenzutreten und er warnt vor einer gesellschaftlich-politischen Verrohung.
Das Anliegen dieses Hirtenbriefes möge am Festtag selber oder am Sonntag vor oder nach dem 15. August in den Gottesdiensten aufgegriffen und vertieft werden“, steht ganz am Ende des Schreibens.
Traditionell verfasst der Südtiroler Bischof zum „Hoch-Unser-Frauentag“ einen Hirtenbrief. Bischof Ivo Muser hat sich in seinem Hirtenbrief diesmal zweier Themen angenommen, die kaum aktueller sein könnten. Muser hat einen Hirtenbrief verfasst, in dem er aufruft, der Gewalt gegen Frauen entgegenzutreten und in dem er mit dem Blick auf die Flüchtlingskrise vor einer gesellschaftlich-politischen Verrohung warnt.
Der Hirtenbrief des Bischofs kreist um drei Gedanken. Im ersten Teil geht um „Maria ist Sinnbild des erlösten Menschen“. Ivo Muser legt dabei seine Gedanken und Überlegungen zu Maria Himmelfahrt dar.
Danach kommt der Bischof auf zwei brandaktuelle Themen zu sprechen.
 

Überbetonung des Nationalen

 
Im Hirtenbrief heißt es:
 
„Daran möchte ich meinen zweiten Gedanken anknüpfen. Denken auch wir groß vom Menschen – von jedem Menschen! Wie wir von einem Menschen denken und was wir von ihm halten, bringen wir zuallererst dadurch zum Ausdruck, wie wir von ihm sprechen. Ich möchte an dieser Stelle eine große Sorge mit Ihnen teilen, die mich umtreibt und mit Unruhe erfüllt: Was mich in der gegenwärtigen Diskussion um die „Aufnahme“ von Flüchtlingen besonders beschäftigt, ist die Verrohung der Sprache, die Angstmacherei, das Übertreiben, die demagogischen Argumentationen. 
Wir dürfen nicht schweigen, wenn Flüchtlinge als „menschliches Fleisch auf Schlepperbooten“ bezeichnet werden, als „Ware von menschlichen Wesen“. Hier wird sprachlich einer radikalen Entsolidarisierung mit Menschen in Not der Weg bereitet.“
 
 
Wir dürfen nicht schweigen, wenn Flüchtlinge als „menschliches Fleisch auf Schlepperbooten“ bezeichnet werden, als „Ware von menschlichen Wesen“.
 
Ivo Muser lässt es in seinem Hirtenbrief keineswegs an Deutlichkeit fehlen:
 
„In den vergangenen Wochen sind wir Zeugen geworden dafür, dass jene, die Menschen in Not zu Hilfe eilen, kriminalisiert werden. Es ist uns allen bewusst, dass die Flüchtlingskrise und die Migration weitsichtiger, politischer Lösungen bedürfen. Diese Lösungen können nicht einfach sein, weil das Problem komplex ist und weil es hierfür viele Ursachen gibt. 
 
In den vergangenen Wochen sind wir Zeugen geworden dafür, dass jene, die Menschen in Not zu Hilfe eilen, kriminalisiert werden.
Deshalb halte ich die derzeitigen Tendenzen einer zunehmenden Schließung der Grenzen für höchst problematisch. Die notleidenden Menschen werden aus dem Blick verloren, stattdessen werden eigene Interessen in den Vordergrund gestellt und wir erleben, wie eine Überbetonung des Nationalen neu auflebt und auch auf europäischer Ebene den so wichtigen Zusammenhalt untergräbt. Es braucht verantwortete Lösungsansätze und nicht populistische und zynische Parolen. Es braucht Sachlichkeit und nicht das Schüren von Emotionen. Alles andere wird unserer menschlichen Würde nicht gerecht.“
Deshalb halte ich die derzeitigen Tendenzen einer zunehmenden Schließung der Grenzen für höchst problematisch.
 

Die Würde der Frau 

 
Ivo Muser greift in seinem Hirtenbrief als dritten Gedanken, passend zum „Hoch-Unser-Frauentag“ dann das Thema der Gewalt gegen Frauen auf.
Der Bischof schriebt dazu:
 
„Sie ist ein tagtäglich präsentes Thema. Es beschämt mich, dass wir vor diesem Problem allzu oft die Augen verschließen. Gewalt gegenüber Frauen reicht von psychischer Unterdrückung bis hin zu schwersten körperlichen Angriffen, die manchmal in familiären Katastrophen enden. 
Auch die sexuelle Ausbeutung ist eine schwere Verletzung der Würde der Frau. Sie kann in der eigenen Familie ebenso stattfinden wie durch Prostitution. Papst Franziskus hat sich wiederholt mit ehemaligen Prostituierten getroffen. Er erkennt in diesen Frauen besonders schwache Glieder unserer Gesellschaft. 
Auch in Südtirol gibt es Frauen, die sich prostituieren, meistens sind es Frauen mit Migrationshintergrund. Ich erinnere mich, wie Papst Franziskus einmal tief bewegt von einer Begegnung mit einer jungen afrikanischen Frau erzählt hat: „Sie wurde ausgebeutet. Auch mit Folter wurde sie dazu gezwungen, zur Arbeit zu gehen. Sie war schwanger. Und sie musste bis zum Tag der Geburt arbeiten und hat ihr Kind, allein und im Winter, auf der Straße zur Welt gebracht. Sie erzählte mir, dass das Mädchen nicht überlebt hat.“ 
Der Papst hat dann eine ganz zentrale Frage angesprochen: Das Verhalten der Kunden: „Ich dachte bei mir, nicht nur die Zuhälter, sondern auch diejenigen, die die Mädchen bezahlen: Wissen sie denn nicht, dass sie mit diesem Geld, mit dem sie sich eine sexuelle Befriedigung kauften, den Ausbeutern geholfen haben?“ 
 
 
Wir lösen das Problem der Prostitution nicht, indem wir sie durch bestimmte Maßnahmen von einer Straße in eine andere verlagern. 
Der Papst entschuldigte sich für katholische Männer, die sich der „Verbrechen gegen Frauen“ verantwortlich machen, indem sie die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen. Ich möchte mich diesem eindringlichen Appell an das Gewissen von Papst Franziskus anschließen. Wir lösen das Problem der Prostitution nicht, indem wir sie durch bestimmte Maßnahmen von einer Straße in eine andere verlagern. Wir lösen sie nur, wenn wir beginnen, den betroffenen Frauen Aus- und Fluchtwege aus der Prostitution zu ermöglichen und indem ihre Dienste als Prostituierte nicht in Anspruch genommen werden. „
 

Die Fragen

 
Der Südtiroler Bischof lädt dann die Gläubigen ein seine drei im Hirtenbrief dargelegten Gedanken persönlich zu vertiefen und auch gemeinsam zu diskutieren.
 
  • Was bedeutet es für uns als Christinnen und Christen, dass wir mit Leib und Seele, mit unserer gesamten Lebensgeschichte und mit unserer ganzen Persönlichkeit auf Erlösung hoffen dürfen? 
  • Von welchem Menschenbild lassen wir uns in unserem Denken, Reden und Handeln leiten und was können wir tun, damit sich eine menschenverachtende Sprache und eine gesellschaftlich - politische Verrohung nicht weiter ausbreiten? 
  • Was können wir tun, um den unterschiedlichsten Formen der Gewalt gegenüber Frauen entgegenzuwirken und um jene Initiativen sowie Organisationen, die ein Netzwerk gegen Gewalt bilden, zu stärken und zu unterstützen?
     
Mit dem Herzen im Himmel und mit den Füßen auf der Erde“, mit diesen Worten des Jugendseelsorgers Johannes Bosco schließt der Bischof seinen Brief.
Es ist eine mutige und wichtige Botschaft, die Ivo Muser der Südtiroler Öffentlichkeit in diesem Hirtenbrief mitgegeben hat.
Ob die Botschaft ankommt, wird sich zeigen. Spätestens wenn der Wahlkampf für die Landtagswahlen in die heiße Phase geht.