Wirtschaft | Interview

“...dann ziehen wir vor Gericht!”

Die SAD kündigt ihren Fahrern den Zusatzvertrag. ASGB-Chef Tony Tschenett ist erzürnt. Er sagt weitere Kündigungen voraus – und stellt dem Land die Rute ins Fenster.
Tony Tschenett
Foto: YouTube/Autonomiekonvent

Die SAD hat wie angekündigt den Zusatzvertrag mit seinen über 200 Busfahrern aufgekündigt. Seit Anfang September greift nur mehr der nationale Kollektivvertrag, die Fahrer müssen mit “bis zu 400 Euro netto monatlich” weniger auskommen, meint ein entsetzter Tony Tschenett. Der ASGB-Chef will nicht klein beigeben, und zieht den Gang vor das Arbeitsgericht in Erwägung. Mit seinen Rechtsanwälten hat sich der Gewerkschaftsvertreter bereits beraten.

salto.bz: Herr Tschenett, zu welchem Schluss sind Sie mit Ihren Rechtsberatern gekommen?
Tony Tschenett: Wir sind der Meinung, dass der Betrieb den Zusatzvertrag effektiv nicht aufkündigen kann. Bereits heute (gestern, Freitag, Anm. d. Red.) dürfte ein entsprechendes Schreiben unserer Rechtsanwälte an die SAD gehen. Und wir bereiten uns auf den Gang vor das Arbeitsgericht vor. Sollte die Summe aus dem Zusatzabkommen auf dem Lohnstreifen der Angestellten tatsächlich fehlen, werden wir das Geld individuell einklagen. Zugleich geht ein weiteres Schreiben geht an die Landesregierung.

Weshalb?
Die Zahlungen, die die SAD nun einstellen will, tätigt nicht das Unternehmen, sondern das Land Südtirol, das 2015 ein Mobilitätsgesetz gemacht hat. Dort heißt es in Art. 15, dass die Auftragnehmer der öffentlichen Linienverkehrsdienste verpflichtet sind, die geltenden nationalen Bereichskollektivverträge sowie die zusätzlichen territorialen Abkommen einzuhalten. Wir fragen uns, ob die Landesregierung jetzt auch vorhat, sich nicht mehr an das Gesetz zu halten.

Bei dieser neuen Gehaltskürzung kann sich der Betrieb sicher sein, dass noch einige einheimische Fahrer kündigen werden.

Diese Zusatzabkommen sind nun alle aufgekündigt worden?
Ja. Es gibt zum einen Zusatzverträge, die zwischen dem Betrieb und den Gewerkschaften abgeschlossen wurden. Und zum anderen so genannte “interaziendale”-Verträge, die Mitte der 1980er Jahre zwischen Land und Transportdienstleistern, also zum Beispiel auch der LiBUS unterzeichnet wurden. Für beide Arten von Zusatzverträgen ist das Land aufgekommen. Die SAD hat allesamt aufgekündigt. Das heißt, für die Angestellten gilt nur mehr der nationale Kollektivvertrag.

Nun führt SAD-Geschäftsführer Ingemar Gatterer das Argument ins Feld, dass der betriebsinterne Zusatzvertrag, den er aufkündigt, bereits 1994 ausgelaufen, nie erneuert worden sei und die Zusatzlohnzahlungen aufgrund eines “uso aziendale” erfolgt seien. Sie aber sagen, der Zusatzvertrag kann nicht so einfach außer Kraft gesetzt werden?
Die Zulagen in den Betriebsabkommen sind eine Art erworbenes Recht. Wie etwa die Produktivitätsprämie, die seit 1984/85 fix monatlich mit dem Gehalt ausgezahlt wird. Unverständlich ist die Aufkündigung vor allem deshalb, weil die Zulage ja nicht der Betrieb zahlt, sondern das Land.

Landeshauptmann Arno Kompatscher hat angekündigt, die Beiträge für die Personalkosten der SAD zu senken. Konkret: 2,8 Millionen Euro weniger Landesgelder für die SAD. Den Angestellten wird das wenig bringen?
Absolut nicht. Uns geht es um das Geld, das den Arbeiter betrifft. Dem fehlen im Schnitt zwischen 290 bis 400 Euro netto monatlich. Diese Zahlungen wurden mit dem Abkommen anno dazumal vereinbart und stets vom Land bezahlt. Dass das Land diese Kosten jetzt nicht mehr verrechnet, ist logisch. Aber den Arbeitern fehlt das Geld! Daher stelle ich mir schon die Frage: Hält sich das Land nach dem 2015 erlassenen Gesetz jetzt auch nicht mehr an seine gesetzlichen Verpflichtungen?

Das Land kann mit den Gewerkschaften ein territoriales Zusatzabkommen abschließen.

Den Gewerkschaften wird von der SAD bei der ganzen Geschichte der Schwarze Peter zugeschoben. Sie hätten die Verhandlungen mit der SAD zum Scheitern gebracht. Die wiederum sehe sich regelrecht gezwungen, die Gehälter zu kürzen, weil die SAD ansonsten eine mögliche Ausschreibung der Überlandlinien 2018 “niemals gewinnen” könnte. So stellt es SAD-Chef Gatterer in einem Schreiben an seine Angestellten dar. Sehen Sie das genauso?
Nun gut, das stimmt ganz sicher nicht. Es gibt momentan auf staatlicher Ebene ein Gesetzesdekret, das besagt, dass bei Ausschreibungen im Transportwesen auch die soziale Klausel des nationalen Kollektivvertrags zur Anwendung kommt. Und soziale Klausel, das bedeutet, sämtliche territorialen Verträge, die abgeschlossen wurden. Die Gewerkschaften haben im heurigen Juni mit dem Transportministerium ein entsprechendes Protokoll vereinbart, das mittlerweile in ein Gesetzesdekret eingeflossen ist, das in Kürze sicher in ein Gesetz umgewandelt wird. Deshalb müssten, wenn in Zukunft eine Ausschreibung gemacht wird, den Angestellten auch danach dieselben Bedingungen und somit dieselbe Entlohnung wie heute zustehen. Natürlich haben wir heute das Problem, dass dieser Zusatzvertrag von der SAD aufgekündigt wird und die Zusatzelemente im Gehalt nicht mehr enthalten sind. Umso mehr appellieren wir jetzt an das Land.

Was kann das Land tun?
Wenn diese territorialen Zusatzabkommen schon im Mobilitätsgesetz vorgesehen sind, muss das Land mit uns Gewerkschaften einen Zusatzvertrag auf Landesebene abschließen. Damit auch in Zukunft, wenn eine Ausschreibung gemacht wird, die Betriebe auf jeden Fall, das, was in diesem Zusatzvertrag drin ist, zahlen müssen. Ob dafür, wie bisher, das Land aufkommt, ist uns im Endeffekt egal. Auf jeden Fall stehen diese 2,8 Millionen Euro auch weiterhin den Arbeitern zu!

Woran sind die Verhandlungen mit der SAD schlussendlich gescheitert?
Der Betrieb wäre bereit gewesen, die Zulagen weiter zu zahlen, wenn die Angestellten dafür mehr gearbeitet hätten. Und zwar bis zu 15 Stunden. Deswegen haben wir gesagt, dass für uns das überhaupt nicht in Frage kommt.

Unverständlich ist die Aufkündigung vor allem deshalb, weil die Zulage ja nicht der Betrieb zahlt, sondern das Land.

“Nach Scheitern der Verhandlungen vom 01.09.17 hat SAD dem Vorsitzenden des ASGB Toni (sic!) Tschenett zu diesem Punkt (Ausweitung der Dienstspanne, Anm. d. Red.) einen Kompromissvorschlag vorgelegt (…). Tschenett hat jedoch abgelehnt”, schreibt Gatterer seinen Angestellten.
Das stimmt absolut nicht! Ich habe keinen Vorschlag erhalten. Nach dem Treffen vom 1. September habe ich mit niemandem von der SAD mehr gesprochen und auch Herrn Gatterer nicht mehr gehört. Im Übrigen haben alle Gewerkschaften, die am 1. September anwesend waren, gesagt “wir möchten verhandeln”, weil wir nach den Betriebsversammlungen den klaren Auftrag erhalten haben, den Vorschlag wie er von der SAD gemacht wurde, so nicht zu unterzeichnen. Es war der Betrieb, der uns damals klipp und klar zu verstehen gegeben hat, dass er nicht verhandeln will.

Ingemar Gatterer wirft “einigen Gewerkschaftsvertretern”, die er auch als “Kommunismusveteranen” bezeichnet, vor, “die gesamte heimische Nahverkehrsindustrie über den Markteinstieg von Busitalia zu italianisieren”. Dieselben Gewerkschaften, die das von der SAD vorgeschlagene Abkommen abgelehnt haben, hätten dasselbe mit dem staatlichen Busunternehmen Busitalia abgeschlossen, so Gatterer.
Diesen Vergleich hat die SAD immer hergenommen, ja. Es stimmt: Auf nationaler Ebene haben CGIL, Cisl und UIL mit Busitalia ein Abkommen gemacht. Dabei handelt es sich aber um ein Betriebsabkommen, und unsere Situation in Südtirol ist eben etwas anders.

Der Vergleich hinkt?
Er ist einfach nicht korrekt, absolut nicht. Dazu ist auch zu sagen, dass in den Verträgen mit Busitalia zum Beispiel auch andere Zulagen drin sind, die bei uns nicht vorgesehen sind.

Nach dem Treffen vom 1. September habe ich mit niemandem von der SAD mehr gesprochen und auch Herrn Gatterer nicht mehr gehört.

Wollen die Gewerkschaften mit ihrem Gebaren, wie von Gatterer in den Raum gestellt, “SAD Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit entziehen, mit dem Ziel der staatlichen Gesellschaft Busitalia behilflich zu sein, den anstehenden Ausschreibungswettbewerb zu gewinnen”?
Noch einmal: Mir geht es darum, dass die Leute das, was ihnen laut Zusatzabkommen zusteht, auch nach der Ausschreibung 2018 bekommen. Es ist immer besser, wenn heimische Betriebe gewinnen. Aber es bleibt für mich unverständlich, weshalb dieser Zusatzvertrag gekündigt wurde. Man weiß ja noch nicht einmal, wann die Ausschreibung stattfinden wird. Noch liegt der Entwurf zum Landesmobilitätsplan für Stellungnahmen auf. Dann kommt er in die Landesregierung und dann in den Landtag. Wenn er (Gatterer, Anm. d. Red.) schon solche Angst hätte, nicht zu gewinnen, könnte er das alles auch zu einem späteren Zeitpunkt machen. Das muss nicht jetzt, im September 2017 gemacht werden. Und Herr Gatterer muss sich noch etwas bewusst sein.

Ja?
Es haben schon 41 einheimische Fahrer innerhalb eines Jahres bei der SAD gekündigt. Bei dieser neuen Gehaltskürzung kann sich der Betrieb sicher sein, dass noch einige einheimische Fahrer kündigen werden. Wenn mir im Monat 300 Euro netto fehlen, suche ich mir eine andere Arbeit. Dann kommen halt Italiener von unten herauf, ohne Zweisprachigkeit und Ortskenntnisse. Die kommen den Betrieb sicher billiger, aber von Qualität brauchen wir dann nicht mehr zu sprechen.

Den Arbeitern fehlt das Geld!

Man darf also nicht davon ausgehen, dass die Busfahrer die Kürzungen einfach auf sich sitzen lassen werden?
Unter den Busfahrern selbst heißt es, dass man kündigen wird, wenn dieses Geld tatsächlich fehlen wird. Wenn jemand heute eine andere Arbeit findet, wird er gehen.

Die SAD hat den betroffenen Angestellten angeboten, individuelle Einzelverträge abzuschließen. Kann das eine Lösung in dieser verzwickten Situation sein?
Ich weiß nicht, was der Betrieb mit den einzelnen Personen bespricht. Eine Lösung ist das sicher nicht. Aber es kann auch keine Lösung sein, deine Angestellten heute zu 13, 14, 15 Stunden Arbeit zu verpflichten. Man muss doch auch auf die Sicherheit schauen – die der Arbeiter, aber gleichzeitig auch die der Fahrgäste.

Sie lassen sich nicht kleinkriegen und werden sich weiterhin für die Sicherheit – und die Rechte – der SAD-Angestellten einsetzen?
Wie gesagt, wir haben unseren Rechtsanwälten nun den Auftrag gegeben, ein erstes Schreiben an den Betrieb und ein zweites an die Landesregierung zu schicken. Und die Vorbereitungen, im Ernstfall schon im Oktober vor das Arbeitsgericht zu ziehen, laufen.

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alfred frei Sa., 09.09.2017 - 10:34

Der Vorschlag eines “Kommunismusveteranen” : der gute Tony sollte den Gang vor das Arbeitsgericht für eine kurze Zeit aussetzen und den Ausgang des Strafverfahrens gegen “Doggi” Dorfmann abwarten; zwei Gerichtsverfahren auf einmal könnten Herrn Ingemar Mitterer unnötig belasten und dadurch heimische Betriebe benachteiligen (jeder Bezug zu Großraubtiermanagement oder Rotkäppchen reloaded wäre rein zufällig)

Sa., 09.09.2017 - 10:34 Permalink
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Ludwig Thoma Sa., 09.09.2017 - 12:32

Warum ist es wichtig, dass einheimische Betriebe die Ausschreibung gewinnen, wenn diese dann Fahrer ohne Zweisprachigkeit und Ortskenntnis anstellen? Kann dem nicht ganz folgen.

Sa., 09.09.2017 - 12:32 Permalink