Gesellschaft | Migration

Und wenn Migration humaner werden würde?

Ein Recommender System für passgenaue Zielländer.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Refugeehackathon Berlin
Foto: refugeehackathon - CC BY 2.0 - flickr.com

Am Sonntag, 27. September ist Welttag der Flüchtlinge. Migration ist ein Thema, das niemanden kalt lässt und dennoch bemessen die Zielländer nur die Gesamtzahl der zugewanderten Menschen. Doch sind die Menschen am Ende der Reise auch immer zufrieden mit ihrer Wahl? Eine Studie von Nabil El Ioini an der Fakultät für Informatik mit anderen Forschern im Kontext einer Masterarbeit hat ein System entwickelt, das sich dem Thema von einer anderen Seite dieser entscheidenden Frage des menschlichen Lebens zuwendet: Recommender Systems könnten wertvolle Werkzeuge sein, um die Menschen bei der Entscheidungsfindung für ein Land zu unterstützen, damit ihre Entscheidungen nicht zu menschlichen Katastrophen führen.

Die internationale Migration ist in den vergangenen Jahren stark in den medialen Fokus gerückt: Berichten der Vereinten Nationen zufolge leben mehr als 243 Millionen Menschen in einem Land, das nicht der Ort ihrer Geburt ist. 243 Millionen Menschen, die ein Zielland mit der Hoffnung auf ein neues Leben wählen, eine Entscheidung, die aber nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung ihres Lebens führt.

Eine Masterarbeit von Ayoub El Majjodi, in Zusammenarbeit mit Nabil El Ioini und Mehdi Elahi an der Fakultät für Informatik, hat versucht, ein prädiktives Modell zu erstellen, das es ermöglicht, spezifische Präferenzen und Einschränkungen von Migrant*innen besser zu berücksichtigen. Ein System also, das die Wünsche der Benutzer*innen erfasst, aus diesen Präferenzen lernt und auf intelligente Weise eine personalisierte Rangliste der Länder für jeden Zielnutzer erstellt. „Dabei haben wir im System alle Länder frei angegeben, unabhängig von gesetzlichen Beschränkungen, da uns das übergeordnete Ziel des passenden Landes wichtig war“, erläutert Nabil El Ioini. Er selbst ist durch das Studium nach Bozen gekommen, „da das Informatikstudium in Bozen den Schwerpunkt auf angewandte Forschung legte“, erzählt der aus Marokko stammende Forscher, der jetzt im Forschungsteam von Prof. Pahl zu Software and Systems Engineering (SwSE) forscht.

Man muss sich unser System wie bereits bekannte Empfehlungssysteme vorstellen – auf Basis angegebener Präferenzen erhält der Nutzer ähnliche, den eigenen Bedürfnissen entsprechende Empfehlungen.

Was lässt ein Land generell zum Sehnsuchtsziel werden? In Befragungen mit Mehrfachmöglichkeiten gaben die Teilnehmer einer Nutzerstudie an, dass es folgende Themen waren, die grundlegend für die Wahl ihrer Auswanderung sprachen: Arbeitsmöglichkeiten (72%), Qualität der Ausbildungsmöglichkeiten (46%), Arbeitsatmosphäre (44%), Gesundheitssystem (43%), Einkommensunterschiede (37%), politische Instabilität (26%), Kriminalitätsrate (26%), soziale Konflikte (22%), kulturelle und sprachliche Ähnlichkeiten (21%), Krieg und Diktatorenherrschaft (16%), Familienmitglieder im Ausland (8%), geringere Distanzen (6%).

Erstellt wurde dafür ein dynamisches Modell. Nach seiner Registrierung stellt der Nutzer grundlegende Informationen zur Verfügung und beantwortet einen Kurzfragebogen zu seiner Person. Die Nutzer werden nunmehr gebeten, aus oben genannten Themen bis zu drei Schlüsselfaktoren einzugeben, die die wichtigste Rolle bei der Entscheidung darüber spielen, in welches Land sie einwandern wollen. Danach wird die Person aufgefordert, jene Länder zu wählen, die ihr gut bekannt sind.

 

Auf Basis dieser Informationen generiert der Algorithmus personalisierte Länderempfehlungen, die dem Benutzer in Form von drei verschiedenen Listen präsentiert, die jeweils durch einen anderen Empfehlungsalgorithmus generiert werden. Der Benutzer wurde in der Studie gebeten, einen Fragebogen auszufüllen, um die Qualität der Empfehlungen in den verschiedenen Metriken zu beurteilen. „Man muss sich unser System wie bereits bekannte Empfehlungssysteme vorstellen – auf Basis angegebener Präferenzen erhält der Nutzer ähnliche, den eigenen Bedürfnissen entsprechende Empfehlungen“, so Nabil El Ioini. Daraus folgert die wahrgenommene Personalisierung, „das System versteht mich."
Die Nutzerstudie hat demnach die Qualität der Empfehlung eruiert, die Daten für Genauigkeit, Vielfalt, Neuheit (also auch Länder vorzuschlagen, die der Nutzer gar nicht kannte), Zufriedenheit und die Fähigkeit, die besonderen Präferenzen der verschiedenen Nutzer zu verstehen, zu bewerten. 2018 hat die Internationale Organisation für Migration (IOM) einen jährlichen Migrationsbericht über die wichtigsten Zielländer für internationale Migranten herausgegeben, und die Liste der Länder wurde in die Studie eingearbeitet. „Die Ergebnisse waren vielversprechend und zeigen das Potenzial der Generierung personalisierter Empfehlungen in diesem weniger erforschten Bereich auf“, so El Ioni.

 

Kontaktiert wurden die Testpersonen über soziale Netzwerke wie LinkedIn, 281 Teilnehmer registrierten sich aus einer Vielzahl von Ländern, von Pakistan über Österreich bis hin nach Tunesien, 67% füllten dann den Bewertungsfragebogen aus. Rund 71% der Teilnehmer waren männlich, 27% waren weiblich und 2% weigerten sich, Angaben zu machen. Das Alter der Teilnehmer variierte sehr stark: 5 % waren 18 Jahre alt, 42 % 18-24 Jahre, 39 % 25-35 Jahre, 9 % 35-45 Jahre, 4 % 45-55 Jahre und 1 % über 55 Jahre.

Ergebnis: Entwickelt wurde ein neuartiges System, das die Entscheidungsfindung von Menschen, die in ein neues Land einwandern wollen, unterstützen kann, indem es ihnen Präferenzen einräumt und von den eingeholten Präferenzen lernt und schließlich ein Modell aufbaut, das personalisierte Empfehlungen ändert. Das Forschungsfeld der Einwanderung ist gleichermaßen komplex wie sensibel, was in der Tat ein erster Schritt zur Erforschung des Potenzials der Empfehlungssysteme in diesem Bereich ist. „Aufbauend auf diese Arbeit planen wir, eine neue Version des Systems mit einer neuen Benutzeroberfläche zu implementieren, die weitere Funktionalitäten bietet, basierend auf größeren Datensätzen und vor allem mit Befragungen von Menschen, die in den entsprechenden Zielländern leben, um den Gegensatz zwischen Wunschdenken und Wirklichkeit aufzuheben“, so Nabil El Ioini.

Text: Vicky Rabensteiner