Wirtschaft | Überetscher Bahn: Nostalgischer Traum oder Zukunftsperspektive?

Argumente für die Neubewertung der Bahnpläne

Ist der Wunsch nach einer Bahnverbindung zwischen Bozen und dem Überetsch eine nostalgische Anwandlung des Kalterer Gemeinderats? Beabsichtigt ist wohl das Gegenteil.
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Der Beschluss sollte Signalwirkung haben. Dabei wurde in Kauf genommen, dass es ganz nach einem fruchtlosen Aufbäumen gegen die Metrobusfakten aussieht, wenn in Eppan keine gleichlautende Bahnresolution verabschiedet wird. Natürlich muss die Verkehrslösung das gesamte Überetsch einbeziehen und Eppan zieht aufgrund der Nähe zu Bozen den größten Vorteil daraus. Vermutlich trifft folgende Interpretation den Kern der Sache: Es besteht einerseits das diffuse Gefühl, dass das Überetsch keine Glanzzeit erlebt und am Rande der Landeshauptstadt dahindümpelt. Andererseits verspüren viele den Wunsch nach einer bahnbrechenden Idee, um dem Gebiet neue Vitalität, Einzigartigkeit und Attraktivität zu verleihen. Ich versuche in diesem Beitrag eine ganz persönliche Sichtung der bekannten Argumentationsschienen und möglicher neuer Ideen für die Aufwertung des Überetsch.

Kosten der Überetscher Bahnpläne als Hürde

Im Vinschgau und im Pustertal erlebt die Eisenbahn einen neuen Frühling. Es werden auch schon Pläne für weitere Zugverbindungen geschmiedet: Gröden, Ahrntal, Verlängerung der Vinschger Bahn. Bei der Überetscher Bahn ging die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung. Die von der Landesregierung angekündigte Überprüfung der 2007 vom Verkehrsexperten Hermann Knoflacher vorgestellten Machbarkeitsstudie mündete nicht in die Konkretisierung technischer, urbanistischer (vor allem für Bozen) und finanzpolitischer Varianten ein. Vermutlich wäre es schwierig gewesen, mit der Stadt Bozen auf einen Nenner zu kommen. Es sieht rückblickend vor allem so aus, als hätte die Landesregierung vor der Finanzierungshürde eine Kehrtwendung vollzogen und der Straßenbahn ade gesagt. Immerhin hätten laut Machbarkeitsstudie ca. 230-250 Millionen Euro für den Bau einer Straßenbahn aufgebracht werden müssen. Der Bau einer Minimetro laut Plänen der Fa. Leitner aus dem Jahr 2011, der mit ca. 200 Millionen Euro zu Buche schlagen würde - mit jährlichen Betriebskosten von 8-9 Millionen Euro – fand auch keine Befürworter. Der Ausbau der Busverbindung kostet offenbar nur ein Drittel. Das ist in Sparzeiten ein gewichtiges Argument.

Neubewertung des Projekts angebracht

Technologische Neuerungen und die wachsende Bedeutung von Lebensqualität und Umweltaspekten bewirken inzwischen auf internationaler Ebene eine umfassendere Betrachtung der verkehrspolitischen Weichenstellungen. Neue Zeiten erfordern neue Weichenstellungen. Fast 10 Jahre nach der Erstellung der Machbarkeitsstudie ist die Anregung nicht von der Hand zu weisen, die Rahmenbedingungen für eine integrierte schienengebundene Verkehrslösung unter vier Gesichtspunkten noch einmal zu überprüfen:

  • Vielleicht sind aufgrund des technischen Fortschritts und der Neuausrichtung der verkehrspolitischen und urbanistischen Konzepte inzwischen ausgereiftere oder günstigere technische Lösungen denkbar.
  • Bei der Planung ist der praktische Nutzen für das gesamte Gebiet der Stadt Bozen und die Umliegergemeinden womöglich nicht ausreichend gewichtet worden, was die Standortentwicklung angeht. Insbesondere könnte es angebracht sein, die Bedeutung umwelt- und kundenfreundlicher Verkehrslösungen im Gesamtkontext der Emissionsreduzierung und der Sicherung der Lebensqualität neu zu bewerten.
  • Europäische Förderungsprogramme könnten neue Finanzierungsperspektiven eröffnen, wenn die nachhaltige Mobilität als Triebfeder und Ziel der lokalen Smart Specialisation Strategy ausgewiesen wird[1].
  • Bei gleichbleibend hohen Kosten sind PPP-Lösungen, die das Gebiet qualifizieren und privaten Investoren Sichtbarkeit und Renditen bieten, ein gangbarer Weg, der noch nicht ausgelotet worden ist.

Verlagerung des Pendlerverkehrs stagniert

Aus eng gefasster administrativer Sicht ist das Kernproblem der Verkehrsplanung mit Blick von Bozen auf das Überetsch in der Pendlerbeförderung gesehen worden. Am Pillhof ist die viergrößte Zählstelle des Verkehrsaufkommens auf der Straße in Südtirol. Das Verkehrsaufkommen ist laut ASTAT-Daten seit dem Jahr 2008 (24.386 Fahrzeuge pro Tag) nahezu gleich geblieben. 2011 wurden durchschnittlich 25.097 Fahrzeuge pro Tag gezählt. In den Stoßzeiten in der Früh und am späten Nachmittag fahren dort pro Stunde mehr als 1.000 Fahrzeuge durch. Die Busverbindung mit weitgehend reservierter Fahrspur schien angesichts der für eine Straßenbahnverbindung veranschlagten drei oder vier Mal so hohen Kosten und des zusätzlichen Planungs- und Grundablösungsaufwands eine mehr als brauchbare Lösung.

In der Tat ist die Expressverbindung eine wahre Wohltat für Pendler/-innen. In Stoßzeiten müssen jedoch viele die Fahrt im Stehen bewältigen. Und die Linien über die Fraktionen brauchen sehr lange. Mit dem Stundentakt tagsüber und bis in die Nacht hinein ist die Busverbindung auch für all jene nutzbar, die in die Stadt hinein oder in die Natur hinaus wollen oder am Abend nach einer Veranstaltung wieder nach Eppan oder Kaltern zurückkehren. Diese bürgerfreundliche Serviceorientierung ist zwar für die Überetscher/-innen bequem, aber die Busse sind außerhalb der Stoßzeiten nicht sonderlich gut ausgelastet. Zudem fahren wenige Fahrgäste untertags von Bozen in das Überetsch. Ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht zufriedenstellend, so ist in den inzwischen eingeläuteten Sparzeiten immer eine Reduzierung der Fahrfrequenz im Raum. Insgesamt sieht es laut statistischen Daten danach aus, als hätten die Pendler/-innen bisher die von LR Thomas Widmann deutlich ausgebauten Busverbindungen nicht wirklich angenommen.

Machbarkeit der Bahnlösung braucht Perspektivenwechsel

Natürlich ist es jetzt schwer, die inzwischen geschaffenen Metrobus-Fakten wegzudiskutieren. So retro ist der Vorschlag der Revitalisierung der alten Überetscher Bahn gar nicht, wenn der Blick erweitert wird: Allein schon die Erschließung des Überetsch mit der Bahn als Naherholungsgebiet für den gesamten Großraum Bozen hätte doch eine ganz andere Qualität als die Erschließung des Arbeitsortes Bozen für die Pendler/-innen aus der funktionalen Kleinregion Überetsch. Damit wären ganz neue wirtschaftliche Entwicklungschancen verbunden, insbesondere, wenn die Bahn die verschiedenen Ortschaften und die öffentlichen Infrastrukturen in Bozen (Schulen, Ämter, Krankenhaus) gut erschließt, beim Messner Mountain Museum stehen bleibt und andere interessante Ziele ansteuert wie z. B. ein gut ausgestattetes gebietsübergreifendes Hallenschwimmbad und Freibad zwischen Kaltern und Eppan. Wenn zusätzlich zur Erreichbarkeit wichtiger Infrastrukturen Trassenführung, Fahrzeit und Fahrtakt bei einer Bahnverbindung gut gelöst werden, dann wäre das eine wirklich gute Alternative für die Pendler/-innen, die den Schienenbonus (Knoflacher) zum Tragen bringen kann. Nachrechnen und Alternativen ausloten ist angesagt.

Fahrkomfort ist sicher nicht das Thema, das einem bei der Regelung der Pendlerflüsse zuerst einfällt. Obwohl so ein Sitzplatz in der Bahn mit Stromanschluss und WLAN schon bei 30-45 minütiger Fahrzeit, hochgerechnet auf Jahrzehnte langes Pendeln, Lebensqualität bedeutet. Da kommen immerhin etwa 9.000 Stunden zusammen. Unverzichtbar sind stufenfreie Einstiegsmöglichkeiten: Eine Erleichterung vor allem für ältere Fahrgäste und für den Kinderwagentransport. Und das Nicht-im-Stau-Stehen-müssen einer Bahnverbindung gehört auch zu den Wohlfühlerlebnissen. Realistisch betrachtet müsste die Verwirklichung der Eisenbahnträume insgesamt entweder deutlich günstiger sein oder komparativ andere sehr gewichtige Vorteile bieten.

Smart-Cities-Konzepte eröffnen neue Zugänge

Die Identität und die Entwicklung der Stadt Bozen kann künftig nicht mehr abgekoppelt von den Umliegergemeinden betrachtet werden. Ein solcher stäfteplanerischer Zugang beruht auf den innovativen Ansätzen der Smart-cities-Konzepte. Diese nehmen die verkehrspolitischen Aspekte aus ihrem sektoralen Administrationsdenken heraus und setzen sie mit den wirtschaftlichen, sozialen und umweltpolitischen Erfordernissen der Städte und der angrenzenden Lebensräume in Zusammenhang. So betrachtet bildet Bozen schon zusammen mit Leifers, Eppan, Kaltern und Terlan ein urbanistisches Konglomerat in der Größenordnung von über 130.000 Einwohnern/-innen mit unterschiedlichen Identitäten, aber auch mit ähnlichen Herausforderungen und mit sich ergänzenden und somit wertsteigernden Charakteristiken, wenn der Blick darauf ein ganzheitlicher ist. Es scheint also naheliegend, die Entwicklungsplanung übergreifend zu betrachten - verkehrstechnisch auf jeden Fall: da geht es um gemeinsam zu bewältigende Problemstellungen.

Die Schaffung eines integrierten Infrastrukturnetzes ist bereits in der Machbarkeitsstudie angedacht worden. Von einer Kombination zwischen Metrobus und städtischer Straßenbahn mit Netzknoten in Sigmundskron war auch schon die Rede. Moderne öffentliche Verkehrsplanung setzt auf Vernetzung. Hier ist es endlich einmal notwendig, in die Zukunft der Stadt Bozen zu investieren. Das heißt konkret, das Infrastrukturnetz für die nächsten hundert Jahre zu planen und in der Hoffnung auf eine handlungsfähige künftige Stadtverwaltung die desinteressierte Zurückhaltung abzulegen, wenn es um die Aufwertung der Landeshauptstadt geht. Wie eine umweltfreundliche integrierte öffentliche Verkehrsverbindung für die Stadt und das Umland aussehen kann, ist Teil des Planungsauftrags.

Überetsch als Attraktionspunkt

Damals waren es kaiserliche Zeiten, als die Kurgäste mit der Eisenbahn im Überetsch ankamen. Die Bahn wurde ab 1898 zunächst von einer Dampflok gezogen und ab 1911 elektrifiziert. Da war eine gute Bahnverbindung der Schlüssel für die touristische Erschließung. Heute würde eine Straßenbahn sicher nicht für die Feriengäste neu gebaut. Die kommen ja mit dem Auto oder mit dem Bus. Die Begründung zieht also nicht, es sei denn, die Bahn ist selbst aufgrund ihrer Streckenführung, der Anbindung wichtiger Zielorte in Bozen bzw. im Überetsch und zukunftsweisender technischer Qualitäten eine Attraktion.

Heute ist das Überetsch als Urlaubsort und Lebensraum dann attraktiv, wenn dort zumindest einige bedeutsame Erlebnisorte, Infrastrukturen oder sonstigen Anziehungspunkte vorhanden sind. Dieser Diskurs kann zu einen touristisch aufgezäumt werden: Die Tourismusvereine bemühen sich sichtlich, Erlebniswerte zu bieten, obwohl mit traditionellen Konzepten das Potenzial der aktuellen touristischen Beherbergungs- und Dienstleistungsinfrastruktur kaum besser ausschöpfbar ist. Um dem Überetsch wieder ein Alleinstellungsmerkmal als Urlaubsgebiet zu verleihen sollten anstatt der x-ten Variante derselben Idee ganz neue angedacht werden, z. B. im Bereich Landschaftsgestaltung.

Gebietsförderung und Dezentralisierung

Ein anderer Weg zur Aufwertung des Überetsch führt über die gezielte Gebietsförderung und die gelebte Subsidiarität in den Entscheidungsprozessen auf Landesebene oder seitens staatlicher und privater Strukturen. Die Finanzierung der Generalsanierung der Mendelbahn fällt mir als historisches Beispiel dazu aus den 80-er Jahren ein oder als aktuelleres das Messner-Mountain-Museum. Hier ist der Frage nachzugehen, welche öffentlichen oder privaten Einrichtungen oder Dienstleistungen im Überetsch angesiedelt werden könnten. Dies kann im Rahmen einer Aufgabenteilung zwischen der Landeshauptstadt und den Umliegergemeinden bzw. im Zuge einer Dezentralisierung der Aufgaben der Landesverwaltung oder anderer Körperschaften erfolgen. Genauso können Private Anziehungspunkte schaffen, die dem Gebiet eine neue Dynamik verleihen.

Entflechtung der Einkaufszentren und Innovationsmarketing

Sowohl von Bozen wie aus dem Überetsch betrachtet, kann eine Bahntrassierung punkten, die auch die gute Erreichbarkeit der Einkaufszentren gewährleistet. Wenn genügend Waggons eingesetzt werden, ist es mit der Bahn leichter, die Einkäufe zu transportieren als in einem engen und übervollen Bus. Gerade zum Einkaufen nehmen viele das Auto, weil es sonst zu mühselig ist. Diese verkehrstechnische Überlegung ist mit urbanistischen Strategien zu verknüpfen. Die Konzentration der Kaufhausriesen oder anderer großer Anbieter auf Bozen sollte vermieden werden. Ein Entflechtung bedeutet für Bozen eine Entlastung und für andere Gemeinden eine Aufwertung.

Eine moderne Bahnlösung mit neuen technischen und Umweltstandards wäre ein sehr anschauliches Beispiel für zukunftsweisende Verkehrslösungen und für das Innovationspotenzial des Standorts. Dies könnte auch Thema der Forschungsanstrengungen im Rahmen des Technologieparks sein und somit ein konkret erfahrbares (im doppelten Sinne des Wortes) und vorzeigbares Marketinghighlight. Aus dieser Perspektive scheint wiederum eine PPP-Lösung vielversprechend, bei der ja durchaus ein lokales Unternehmen die Umsetzung übernehmen kann. Investitionsinteressen heimischer Unternehmer bestehen sowohl hinsichtlich der Bahn- wie der Busverbindung. Diese wurden und werden den politischen Entscheidungsträgern sicher vorgetragen. Da ist Blauäugigkeit fehl am Platz. Bei der politischen Gewichtung der urbanistisch-technischen Alternativen sollten privatwirtschaftliche Profiterwartungen im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit der Gesamtlösung erwogen werden.

 

[1] Die Region Lombardei hat im Rahmen der anvisierten Entwicklung in Richtung Smart Cities and communities entsprechenden Weichen gestellt: http://www.attivitaproduttive.regione.lombardia.it/shared/ccurl/224/789/DGR%20X3336_letturasmartcities.pdf

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Benno Kusstatscher Di., 08.12.2015 - 18:34

Vielleicht liegt der Schlüssel ja weder in Eppan noch beim Land sondern in Bozen. Vielleicht ist die derzeitige politische Situation in der Stadt eine Chance für einen neuen Versuch. Aber so wie Du argumentierst, könnte man meinen, die Hauptnutzen sei für die Stadt (dann soll die wohl dafür löhnen) und nachdem es nicht für die Touristen gebaut würde, müssten die Touristiker auch nicht zur Kasse gebeten werden. Woher, meinst Du, sollten die Gelder kommen?

Di., 08.12.2015 - 18:34 Permalink