Kultur | Salto Return

#090117

In Salto Return geht es nicht um zerstörte Handyumsetzer im Trentino oder Busstreiks in Bozen. Es geht um den poetischsten Busfahrer seit Barnaba Cecchini.
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Foto: Robert Bosisio, Foto: Günter Richard Wett

Paterson und Jarmusch
Im Kino bei einem Jim Jarmusch-Film zu sitzen, finde ich sehr reizvoll, zumal sein jüngster Film dem Busfahrer und Poeten Paterson gewidmet ist, dargestellt von Adam Driver. An dessen Seite agiert äußert kreativ Golshifteh Farahani, die Tapeten bemalt, bzw. alles was ihr in die Hände kommt. Am Ende des Films zupft sie an ihrem Traum, einer Gitarre.
Paterson heißt wie die Stadt in der die Geschichte spielt, die dank des Schriftstellers William Carlos Williams zu den denkwürdigsten Orten der amerikanischen Literaturgeschichte zählt. Jarmusch lässt neben dem Filmpaar und einem hässlichen Hund immer wieder ganz unaufdringlich Zwillingspaare als Komparsen auftreten (einmal sogar mit einer kleinen Sprechrolle) – ein wirklich sehr lustiger Einfall des Kultregisseurs, der auch musikalisch eingreift, denn die Filmmusik stammt wie bei Only Lovers Left Alive von SQÜRL, dem hauseigenen Musikprojekt. Ein musikalischer Hinweis auf den Künstlerfreund Iggy Pop darf natürlich nicht fehlen, ein Rapper im Waschsalon ebenfalls nicht. Zu sehen gibt es viel Paterson-Alltag, zu hören viel Poesie (Ron Padgett). Jarmusch – sogar einmal in Bruneck, als er vor vielen Jahren seinen einstigen Produzenten Karl Baumgartner besuchte –, liebt die wohltuende getragene Langsamkeit. Was will man mehr, in schnelllebigen Kinozeiten? Vielleicht einen Blick in den Original-Filmtrailer (in HD)?

Paterson: 10. und 11.01. Capitol Bozen / 13.02. in Brixen, Forum, 14.02. in Neumarkt, Ballhaus, 15.02. in Schlanders, Kulturhaus, 16.02. in Bruneck, Kolping und 17.02. Sterzing, Stadttheater.

Einmal belauscht Paterson während seiner Dienstfahrt zwei Jugendliche im Bus. Sie sprechen überraschend über Anarchismus und die tragische Geschichte des italienischen Anarchisten Gaetano Bresci, der in seinen Jahren in Amerika, Ende des 19. Jahrhunderts, der Gruppe Il diritto all` esistenza angehörte, einem von Italienern frequentierten anarchistischen Zirkel in Paterson. Nach seiner Rückkehr ermordete er, am 29. Juli 1900, den italienischen König Umberto I in Monza, da er den König für das Leid vieler Italiener in Amerika verantwortlich machte. (Dici che sono ancora anarchici? Qui a Paterson?)
Jarmuschs Bezüge zu Italien gehen weit über Bresci und Bruneck hinaus. In Italien hat Jarmusch nämlich seinen Durchbruch geschafft, 1982 in Salsomaggiore, mit dem Kurzfilm The New World, den Vorläufer von Stranger than Paradise. Und das, nachdem er vorher bei Wim Wenders Produktionsassistent war.

 

Pontives und Wenders
2015 war Wim Wender in Pontives, das ist dort wo das Grödental noch nicht so kitschig ist. Pontives ist eine Handwerkerzone mit Kreisverkehr, wo im Halbstundentakt Hubschrauber starten und landen. Pontives hat aber – im Unterschied zu vielen anderen reizvolleren Gegenden des Landes – eine Kunstgalerie! Unter dem Namen Ghetta hat sich diese in die Mauern einer Industriehalle eingenistet und zeigt gegenwärtig in Detroit entstandene Zeichnungen des Künstlers Peter Senoner.
Zu sehen sind auch einige Arbeiten der Ausstellung Vanishing Point, von Donata Wenders und Robert Bosisio, die vor kurzem ihren Katalog zur Ausstellung präsentierten, diesmal ohne Anwesenheit von Wim Wenders, dafür aber mit einem Vorwort der Wenders-Studio-Managerin Anna Duque y Gonzáles, die die Arbeiten der „künstlerischen Photographin“ und musikaffinen Regisseursgattin folgendermaßen beschreibt:
Donata Wenders nimmt den Betrachter mit auf eine sanft brechende, diskursive Lichtwelle und führt ihn näher an eine authentische Realität heran. Die Abwesenheit des Fluchpunktes und das Spiel mit der Perspektive in vielen ihrer Bilder ist Konzept und führt die Fotografie wieder zum Nukleus eines Bilder zurück – zur erzählerischen Spur des Moments \

Die fein gesetzten Worte der Schriftstellerin Roberta Dapunt beschreiben hingegen die zweite Hälfte des Buches Vanishing Point, die Bilder des Malers Robert Bosisio:
                 … Hier ist jede Evidenz aufgehoben,
ist bewusst Gesichertes entzogen worden. //
Bleibe ich somit mir überlassen, lediglich meiner Anwesenheit
bewusst. Überzeugt, dass, ja, in diesem Austausch von Bild
und Beobachtung ich die einzige sichere Realität bin. Fühle mich
also einmal mehr ausdrückliche Identität eines Körpers.
Soll das ein Nachdenken über das Poetische sein? // Ja. Es ist
mir der einzige mögliche Zustand vor den Bildern des Freundes,
das unzweifelhafte Beobachten des Undurchdringlichen. \


Poesietives und Positves
Poesie im Film, in Fotografie und in der Malerei! Literatur bei und auf salto.bz! An dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle Autorinnen und Autoren, die salto.bz im Rahmen des Jahreswechsels 2016/2017 mit besinnlichen und visionären Texten zu Weihnachten und Europa bereichert haben: Selma Mahlknecht, Anne Marie Pircher, Kurt Lanthaler, Waltraud Mittich, Arno Dejaco, Maria Cristina Hilber, Paolo Valente und josef oberhollenzer. Ein Dankeschön für die Unterstützung in der Koordinierung der Textbeiträge geht natürlich an die Südtiroler Autoren- und Autorinnen-Vereinigung (SAAV), welche auch als Mitveranstalter der 9. Ausgabe des Literaturpreises Frontiere-Grenzen aufscheint. Der Wettbewerb steht allen Genres der zeitgenössischen Prosa offen, teilnahmeberechtigt sind alle Personen, die vor dem 31.12.2003 geboren und in den Gebieten der Alpenkonvention und in der Provinz Triest wohnhaft sind. Hier die Regeln. Und was soll 2017 sonst noch passieren?
Mit Lyrischer Wille – so schreibt die SAAV in ihrer heutigen Presseaussendung – ist gegenwärtig „ein großer Übersetzungsprozess im Gange“. Auf Initiative von Arno Dejaco und Matthias Vieider werden lyrische Kompositionen von Südtiroler Autorinnen und Autoren in ihrer Muttersprache übersetzt und als Publikation zusammengefasst. Neben den drei Landessprachen bereichern albanische, bulgarische, englische und arabische Beiträge die Sammlung.
Als World Wide Wars findet unter der Leitung von Anna Rottensteiner und Stefano Zangrando ein Symposium über die literarische Bearbeitung von Krieg und Geschichte statt. Welche Rolle spielt das Internet in der Geschichtsschreibung? Wie wird Mehrsprachigkeit berücksichtigt bzw. umgangen? Das mehrsprachig angelegte Projekt verbindet sich mit Nazione Indiana, dem wichtigsten italienischen Literaturblog.

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