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Los von Rom?

RAI Südtirol ein eigenständiger Landessender? Für Chefredakteurin Heidy Kessler ein Luftschloss. Doch Drang und Druck nach Veränderung am Mazziniplatz sind da.

“Momentan beschäftigt mich das Thema nicht – es ist dermaßen weit weg, dass ich keinen Bedarf verspüre, dazu Stellung zu nehmen.” Heidy Kessler hat dieser Tage wahrlich andere Sorgen als sich über einen eineinhalb Jahre alten Beschlussantrag den Kopf zu zerbrechen, der es diese Woche auf die Tagesordnung des Landtags geschafft hat. Und doch – das, was die Süd-Tiroler Freiheit fordert, ist auch im Sinne der Chefredakteurin der RAI Südtirol. Zumindest ansatzweise.

 

Neue Chefin, neuer Sender?

Es war Mitte November 2016. Mit wenigen Zeilen informiert Wolfgang Mayr damals die Redaktion von RAI Südtirol über seinen Rücktritt. Seit Dezember 2012 war Mayr Chefredakteur am Mazziniplatz. Knapp ein Jahr später nach seinem Schreiben an die Mitarbeiter steht seine Nachfolgerin fest: Heidy Kessler übernimmt im September 2017 offiziell die Führung der öffentlich-rechtlichen Redaktion.
Bereits Ende November 2016 reicht die Süd-Tiroler Freiheit im Landtag einen Beschlussantrag ein. “Neuausrichtung von RAI Südtirol!” fordern Bernhard Zimmerhofer, Sven Knoll und Myriam Atz Tammerle. Sie befinden: “Nach dem Rücktritt des Chefredakteurs ist es notwendig, dass sich auch der Landtag mit der Zukunft bzw. zukünftigen Ausrichtung des Senders befasst.” Nun, eineinhalb Jahre später, wird Zimmerhofer konkreter. “RAI Südtirol soll in einen unabhängigen Lokalsender umgewandelt werden.”

In einer Aussendung präzisiert der STF-Landtagsabgeordnete Ende vergangener Woche: Er fordere die Landesregierung auf, “alle rechtlichen, technischen und finanziellen Voraussetzungen für die Einrichtung eines in jeder Hinsicht eigenständigen Süd-Tiroler Senders, für Hörfunk und Fernsehen zu eruieren und bei positiven Befund umzusetzen”. RAI Südtirol soll sich von der römischen RAI-Zentrale loslösen, so Zimmerhofers Vision. Denn: “Eine moderne Führung bzw. Ausstattung eines erfolgreichen lokalen Fernseh- und Radiosenders wie RAI Südtirol ist mit dem Staatsapparat RAI in Rom kaum durchführbar, da dieser an übertriebener Bürokratie und an allgemeiner Trägheit krankt. Unter solchen Bedingungen sind kreatives Arbeiten und individuelle Gestaltungsmöglichkeiten bei den Programmen kaum möglich.”

 

Immer zuerst nach Rom

Der Befund des Landtagsabgeordneten ist keine Offenbarung. Der RAI-Zentralismus wird seit Langem auch am Mazziniplatz als Hemmschuh empfunden. Personalentscheidungen werden nicht in Bozen, sondern in Rom getroffen. “Ich kann nicht entscheiden, wen ich anstelle bzw. wen ich nicht anstelle”, bestätigt Heidy Kessler im Gespräch mit salto.bz.
Aber nicht nur das. “Wenn ich einen Journalisten nach Salzburg oder nach Innsbruck schicken will, muss ich in Rom um eine Außendienst-Erlaubnis ansuchen. Ich bin nicht einmal journalistisch letztverantwortlich für das Produkt, das wir abliefern – unser Direktor sitzt in Rom.”

Tatsächlich ist RAI Südtirol Teil der TGR, der Testata Giornalistica Regionale der RAI. Als solche hat die lokale RAI auch kein eigenes Budget. Die 20 Millionen Euro, die das Land RAI Südtirol angeblich zukommen lässt, “landen nicht bei mir, sondern in Rom”. Heidy Kessler wird nicht müde, die “ich will nicht sagen Lüge, aber Ungenauigkeit, die immer wieder verbreitet wird und mit der wir zu kämpfen haben” richtigzustellen: Die 20 Millionen Euro sind keine Gelder aus dem Landeshaushalt, sondern werden im Rahmen des Mailänder Abkommens zur Sanierung des Staatshaushaltes nach Rom bezahlt. “Rom finanziert uns, aber für uns hat das absolut nichts geändert. Wir haben weder mehr Spielraum noch mehr Freiheiten noch mehr Ressourcen”, stellt Kessler klar.

 

Auftrag Veränderung

Sie hat dieser Tage noch an einer anderen Front zu kämpfen. Die jüngste ASTAT-Erhebung zu den Radio- und Fernsehgewohnheiten der Südtiroler “stimmt uns alles andere als fröhlich”, gesteht die RAI-Chefredakteurin. Verständlich, hat der Privatsender Südtirol 1 doch inzwischen fast doppelt so viele Hörer wie der öffentlich-rechtliche Lokalsender. Und nicht nur das. Auch die ORF-Nachrichtensendung “Südtirol heute” kommt in der Seherstatistik der RAI-Tagesschau gefährlich nahe.
Auch wenn Format und Auftrag von RAI Südtirol und den Konkurrenzsendern “völlig unterschiedlich” seien, will Heidy Kessler nichts schönreden: “Wir – ich spreche für die Redaktion, denn für das Unterhaltungsprogramm ist die Programmabteilung mit Koordinator Markus Perwanger zuständig – müssen uns verändern. Etwa indem wir den politischen Elfenbeinturm, in dem wir uns manchmal befinden, verlassen.”

Mit ihrer Redaktion befinde sie sich derzeit in einer “Nachdenkphase”, übe sehr viel Selbstkritik, verrät Kessler. “Die Daten des ASTAT nehmen wir als Impuls für Veränderung, als Anlass, Änderungen, die wir eh schon geplant haben nicht nur anzudenken, sondern zu beschleunigen und umzusetzen.”

Doch wie einfach ist das, wenn für jede Kleinigkeit zuerst das Plazet in Rom eingeholt, die langsam mahlenden bürokratischen Mühlen der RAI-Zentrale durchlaufen werden müssen? Kommt der Beschlussantrag der Süd-Tiroler Freiheit da nicht gerade recht?

 

Autonomie statt Luftschloss

Ein Landessender “ist kein konkretes Thema, das mittelfristig Realität werden könnte”, winkt Heidy Kessler ab. Auch, weil “er eine Verfassungsreform notwendig machen würde – das Land hat in dieser Sache keine gesetzgeberische Zuständigkeit”.
Aber: Mehr “individuelle Gestaltungsmöglichkeiten” wie sie auch die Süd-Tiroler Freiheit in ihrem Beschlussantrag in Aussicht stellt, begrüßt Kessler.
“Mein Ziel ist so viel Autonomie wie möglich für den Sender bzw. für meine Redaktion – personelle und finanzielle Autonomie”, erklärt die RAI-Chefredakteurin.

Der viel realistischere Weg sei dabei aber, der, den sie selbst anstrebt: “Aus RAI Südtirol eine eigene testata mit einer eigenständigen Redaktion machen. Dann wären viele Probleme gelöst, wir hätten ein eigenes Budget und könnten über das Personal entscheiden.” Bestrebungen und Verhandlungen in diese Richtung habe es mit der RAI-Zentrale in Rom immer wieder gegeben, “aber es ist noch nichts so konkret, dass sie kurz vor dem Abschluss stehen würden”, gesteht Kessler, hofft aber darauf, dass Rom ihr und dem öffentlich-rechtlichen Lokalsender mehr Handlungsspielraum einräumen wird. Denn: “Bei RAI Südtirol ist einiges zu verändern. Und wir werden einiges verändern – und sicherlich keine Ausreden suchen.”

Ein erstes konkretes Projekt ist bereits auf dem Weg – es soll noch dieses Jahr umgesetzt werden: TGR plant einen Internetauftritt – “und wir als Teil der TGR werden Teil davon”, bestätigt Heidy Kessler.
Der Landessender RAI Südtirol bleibt vorerst ein Luftschloss? “Ich glaube ja.”