Kultur | Theater Carambolage

Alte Leute sind auch nur Menschen

„Das Eine und das Andere“ von Heinrich Schwazer ist ein Stück, das in acht Miniaturen um mehr als eine unsichtbare Grenzen tanzt und doch nicht wirklich transgressiv ist.
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Foto: Tiberio Sorvillo (Carambolage)

Das Gewinnerstück des letztjährigen Autorenwettbewerbs der Südtiroler Theaterzeitung hat, wie es in der Karambolage Bozen zur Aufführung kommt,  vor allem ein Problem. Der Duden definiert Kitsch als „aus einem bestimmten Kunstverständnis heraus als geschmacklos [und sentimental] empfundenes Produkt der darstellenden Kunst, der Musik oder Literatur;“. Wenn mir diese Auffassung des schwer festzumachenden Begriffs persönlich auch zu hart ist, so möchte ich sie an dieser Stelle doch wegen der fünf Worte am Anfang aufführen: „aus einem bestimmten Kunstverständnis heraus“.

Kitsch hat also durchaus eine individuelle Komponente und was dem einen kitschig erscheint ist für den anderen auf Grund der selben Eigenschaften besonders schön. Geschmacklosigkeit ist die Eigenschaft, welche ich mit meinem persönlichen Verständnis von Kitsch nicht in Einklang bringen kann (sind Geschmäcker doch bekanntlich auch verschieden), Sentimentalität hingegen ist etwas, dem sich „Das Eine und das Andere“ immer wieder annähert; zu nah für den einen, nicht weit genug für denjenigen, der Til Schweiger Filme mag.

Im Stück setzen sich kleine Gruppen von einer bis drei, meist zwei, Figuren, gespielt von Liz Marmsoler, Patrizia Pfeifer, Hans-Jürgen Bertram und Horst Herrmann mit den Themen Älterwerden, Altsein, dem Tod und der Liebe auseinander. Durch das Stück zieht sich Herz-Metaphorik als ein roter Faden, mal als roter Luftballon, gleich zweimal als Organspende, oder aber als eingebildeter Klang. Man sprüht mit Wortwitz und aus Absurdität entwachsender Situationskomik, die in meinem Fall in sechs von acht Fällen auch zum Lachen führten, womit das Stück als Komödie auch zu empfehlen ist. Miniatur Sieben will witzig sein, gerät mit der Figur einer militanten Vegetarierin allerdings an ein Klischee, das ich als Vegetarier, der mit einer persönlichen Entscheidung nicht hausiert, sehr ausgelutscht finde. Miniatur Acht nimmt für den Schluss des Stücks die Lacher heraus um Liz Marmsoler im Monolog so etwas wie ein Fazit aushandeln zu lassen.

 

Kluge Fragestellungen und moralische Dilemmas sind im Stück neben Humor durchaus zu finden, sie werden allerdings leider zu schnell und glatt aufgelöst. Vom persönlichen Ausnahmezustand zu einer Lösung des Problems muss man - weil acht Ministücke gespielt werden wollen - oft hasten.

Hast ist auch bei den sieben Szenenwechseln geboten, für welche die Schauspieler ein einzelnes Bühnenelement - einen schwarzen Quader (Bühne: Kerstin Kahl) - verschieben und nur einige wenige Requisiten brauchen, aber auch jedes mal einen Kostümwechsel (Kostüme: Sieglinde Michaeler und Walter Granuzzo) vollziehen. Der Minimalismus des Bühnenbilds und die klaren Kostüme sind eine Wohltat für das Stück. Im Hintergrund läuft derweil die Projektion eines zusehends langsamer werdendes Schnellfeuers an humorvoll kuratierten Fotografien von Senioren, vielfach im Unruhestand (Fotos: Luca Guadagnini und Tiberio Sorvillo), welches beim Bild der Schauspieler zu stehen kommt, ganz als wäre die Reihenfolge des Stücks ein Zufallsprodukt. Für die Ohren gibt es dabei sieben mal Indie-Pop-Rock auf Deutsch mit männlicher Kratzstimme, der anfangs noch charmant zur Slideshow passt, am Ende aber überstrapaziert ist.

Die Schauspieler machen ihre Sache sehr gut, haben das humoristische Timing soweit verinnerlicht, das keine Pointe flach fällt. Alle haben sie jedoch eine Rolle, welche ihre anderen überstrahlt: Patrizia Pfeifer als die lebensmüde und todkranke Ex eines Trinkers, Liz Marmsoler als Schlager-Groupie vor Gericht und Hans-Jürgen Bertram und Horst Herrmann gemeinsam als alternde Schwule auf einem Blinddate.

 

Was bleibt ist ein wenig die Enttäuschung darüber, dass zwar viel angesprochen, aber wenig zu Ende gesagt wurde. Persönlich hätte ich mir ein Stück mit ein paar Lachern weniger und einem etwas längerem Blick in den Abgrund gewünscht, statt das man immer wieder das Ticken der Uhr zu hören ist. Ein Text der nicht mit großen Themen geizt und sich in der achtfachen Teilung ein wenig verliert, wird durch ein paar wenige Regieentscheidungen (Regie: Torsten Schilling) zu nah an die Grenze des Kitschs heran geführt, zumindest an meine persönliche.