Politik | Alternativen zum BGE

Der Lebenschancenkredit

Ein an Bedingungen geknüpfter Kredit, um zeitlich intensive Anforderungen im Leben zu finanzieren, wäre eine finanzierbare Alternative zum bedingungslosen Grundeinkommen.
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Geschenktes Geld vom Staat ohne Bedürftigkeitskriterien, das zum Großteil in den Konsum fließt und zu 80% an Menschen geht, die nach wie vor Erwerbsarbeit im selben Ausmaß leisten, unabhängig von der Vermögenslage und das zu Zeiten demografischer Alterung der Gesellschaft, wo potenziell mehr Menschen erwerbstätig sein könnten. Nein, das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) hat zu viele Schwächen, um konkret auf die politische Tagesordnung zu kommen, schon gar nicht in einem überschuldeten Staat wie Italien.

Viel interessanter sind Rechte, die Lebenschancen eröffnen und doch auch auf Arbeitsleistung basieren, wie Freistellungsrechte für Bildung, Pflege, Erziehung, Gemeinwesenarbeit. Jeder könnte solche Rechte in Anspruch nehmen. Sie würden wie Versicherungszeiten im Verlauf der Erwerbsarbeitszeit akkumuliert als eine Art universelles Anrechtsguthaben jedes Bürgers. Hinsichtlich der Nutzung dieses Guthabens sollten die Menschen möglichst viel Entscheidungsspielraum haben, aber eben mit Bedingungen.

Dieses Konzept „sozialer Ziehungsrechte“ kann als viertes Prinzip neben dem Versicherungsprinzip (Leistungsanspruch durch Beiträge), dem Versorgungsprinzip (Leistungsanspruch aufgrund von Bedürftigkeit oder eines anerkannten Bedarfs) und  universalistischen Leistungen (bedingungslose Leistungen an alle, wie in Italien der nationale Gesundheitsdienst oder das öffentliche Bildungssystem) verstanden werden. Es kann aber auch mit anderen Prinzipien (vor allem dem Versorgungsprinzip) kombiniert werden.

Der Lebenschancenkredit kann mit der Idee des Sozialerbes ergänz werden, das wie das BGE auf der Vorstellung einer „Teilhabegesellschaft“ gründet: alle Menschen gleich welcher Herkunft und Vermögensausstattung sollen als Anteilseigner des gesellschaftlichen Wohlstands gesehen werden. Das Sozialerbe ist eine Art Startkapital, das jeder mit Vollendung des 18. Lebensjahrs erhält und in seine Zukunft frei investieren kann, allerdings nicht für den bloßen Konsum verausgaben darf. Finanziert würde es über eine erhöhte Erbschafts- und Vermögenssteuer. Jeder Begünstigte müsste später über die Vermögenssteuer wieder einen Teil in den Sozialerbe-Fonds zurückzahlen, wie in einen Rotationsfonds, und am Ende einen Teil seiner Erbschaftssteuer. Mehr Verteilungsgerechtigkeit beim Vermögen, ein Konzept, für welches auch Christian Felber plädiert.

 Der Lebenschancenkredit dürfte im Unterschied zum BGE nicht konsumiert werden, sondern müsste für Bildung, Pflege und Erziehungszeiten und zur Kompensation anderer sozialer Risiken eingesetzt werden. Er sollte möglichst für alle gleich hoch sein, z.B. 50.000-60.000 Euro, und wäre allenfalls an die Vermögenslage der Eltern geknüpft. Mit einem solchen Kredit behalten die Bezieher freien Entscheidungsspielraum. Der Zeitpunkt und die Lebenslage für die Nutzung können frei bestimmt werden.

Der Lebenschancenkredit würde es z.B. erlauben, Familien und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen; er würde Teilzeit erlauben, wenn ein Elternteil pflegebedürftig wird oder eine intensive Phase der Weiterbildung ansteht. Der Kredit könnte auch zur Finanzierung eines Sabbatjahrs eingesetzt werden. Die Grundidee dahinter ist, dass aus einem solchen individuellen Guthaben tatsächlich mehr gesellschaftlicher Wohlstand erwachsen soll, nicht bloß ein für den Konsum frei verfügbares individuelles Zusatzeinkommen wie beim BGE. Aus der Nutzung dieses Guthabens soll der Gesellschaft ein Nutzen entstehen, weil die Gesellschaft auch dafür aufkommt. Typischerweise bietet der Lebenschancenkredit einen Anreiz für mehr Bildung und Weiterbildung. Menschen können dann das lernen, was die Gesellschaft braucht und die Gesellschaft kann das intellektuelle Potenzial zum Nutzen aller besser ausschöpfen.

Der zweite Bereich neben den Anreizen für lebenslanges Lernen wären die sozialen Risiken und mehr frei Zeit. Heute stehen viele Menschen in der Mitte des Lebens im Stress, alles gleichzeitig schaffen zu wollen. Die starren und immer nicht zu hohen Arbeitszeiten versetzen jene unter Druck, die am meisten unbezahlte Fürsorgearbeit leisten. Die heute gesetzlich gewährten Auszeiten für Erziehung, Bildung und Pflege sind zu kurz, um z.B. von Männern breiter genutzt zu werden. Der Lebens-chancenkredit erlaubt hier wiederum die Finanzierung längerer befristeter Auszeiten, immer geknüpft an Bedingungen. Da man mit einem solchen Modell auch kleinformatig anfangen könnte, ließe es sich auch besser finanzieren. Weil kein enorm hoher Ausgabenbedarf wie beim BGE entsteht und auch kein größeres Sozialleistungsgefälle gegenüber anderen Regionen, könnte es auch auf Landesebene eingeführt werden.

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gorgias Di., 09.06.2020 - 21:56

Dieser Lebenschancenkredit sieht eine Vielzahl an Möglichkeiten vor, die man als unübersichtlich und konfus bezeichnen möchte.
Die Bedingtheit führt sehr leicht zu komischen blühten. So konnte man schon im Jahr der Einführung des Kulturbonus sehen, wie man in einem Geschäft sich diesen in bar Auszahlen lassen konnte. - Natürlich mit einem gewissen Abzug. Ich glaube für die 500 Euro Kulturbonus konnte man dort 300 Euro Cash erhalten.

Hier werden genug Personen an das Bargeld interessiert sein und sich irgend ein System ausdenken wie sie dran kommen. - Mit entsprechenden Abzug natürlich.

Di., 09.06.2020 - 21:56 Permalink
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gorgias Do., 11.06.2020 - 10:58

Und so was wird es immer wieder geben. Jemand will oder braucht das Geld und sucht sich einen Trick um an das Geld zu kommen. Förderungen haben oft Nebeneffekte an die man vorher nicht denkt. Und ja: Es ist alles inoffiziell!

Do., 11.06.2020 - 10:58 Permalink