Kultur | salto afternoon

Fliegen lernen

Die Carambolage zeigt nach der Corona-bedingten Pause eine besondere Eigenproduktion: Drosseln (Swallow) von der schottischen Autorin und Theaterregisseurin Stef Smith.
Swallows Titel
Foto: Foto: Tiberio Sorvillo

Joachim Gottfried Goller inszeniert in Drosseln (Swallow) die Momentaufnahme der Leben von zwei Frauen und einem Trans-Mann. Rebecca (Katharina Gschnell) wurde von ihrem Mann verlassen, wird durch eine Narbe schmerzlich daran erinnert, und versinkt seither im Frust und in der Perspektivlosigkeit.

Anna (Doris Pigneter) hat seit über zwei Jahren die Wohnung nicht mehr verlassen und sich eine eigene Parallelwelt erschaffen. Diese will sie zwanghaft von materiellen Einflüssen befreien und dort hat sie es sich zur Aufgabe gemacht aus Materialresten ein Nest zu bauen.

Sam (Daniel Clemente, gesprochen von Viktoria Obermarzoner) hat entschieden, fortan als Mann zu leben und übt vor dem Spiegel auf möglichst maskuline Weise eine Zigarette zu halten. Im eigenen Kopf ist er schon viele Schritte weitergegangen als die Menschen in seiner Umgebung, die ihn nicht als den wahrhaben wollen, als der er sich fühlt. Alle drei hadern mit den Erwartungen, die sie selbst an sich und andere an sie stellen.

Schließlich kommt es zur Begegnung zwischen den drei Charakteren, die ihnen jeweils zu der Veränderung verhilft, die sie sich so sehnlichst gewünscht haben. Denn: die drei verurteilen sich selbst viel stärker als die jeweils anderen, und das macht ihre Bindung sehr wertvoll.

Das Stück zeigt auf plakative Art, wie das menschliche Selbstbildnis von äußeren Erwartungen geprägt wird. Die Last dieser Erwartungen, die der vielschichtige Mensch unserer Zeit besonders zu spüren bekommt, ist schwer und wer unter ihr kollabiert fühlt sich einsam und nicht mehr zugehörig. Obwohl inzwischen Konsens sein sollte, dass das Individuum so komplex und facettenreich ist, beschränkt es sich oft auf vorgegebene Kategorien.

Tatsächlich könnten die drei Charaktere auch die Verkörperung eines Einzelnen sein: ein einzelnes Individuum, das zwischen verschiedenen Wünschen hin- und hergerissen ist. Eines, das in einer glücklichen traditionellen Partnerschaft leben will, sich gleichzeitig entgegen alter Gender-Rollen ausleben will und sich aber genauso gerne Allem entziehen würde, um die Last des menschlichen Erbes nicht tragen zu müssen.

Die Botschaft bildet sich im Laufe des Stückes immer klarer hervor: Gerade in der heutigen Zeit haben wir uns mit bestehenden Strukturen in Bereichen wie Sex, Macht und Wirtschaft eingemauert. Genau diese Strukturen werden als die Quelle unseres Unglücks identifiziert, dabei sollte es sich doch eigentlich nicht wie persönlicher Ruin anfühlen, wenn wir nicht mehr perfekt gemäß dieser funktionieren. Sie sollten nicht dazu führen, dass man sich in einem Nest verkriecht. Wenn wir Geschlechterrollen hinterfragen, wenn wir von Partner*innen verlassen werden oder wenn wir den Bus verpassen, dann ist das okay und das sollten wir hinnehmen.

Wer sagt denn, dass es falsch ist, Dinge zu zertrümmern? Es ist in Wirklichkeit ziemlich befreiend.

Die Zuschauer*innen begleiten die Charaktere auf einer Sinnsuche, in der sie sich immer mehr befreien und ihre Umgebung aus der Vogelperspektive erfassen. Man erlebt ihren Umgang mit Angst, Frustration, Verleugnung, und wie sie auf selbstironische, aber liebevolle Art von sich erzählen. Hierbei zeigen die Schauspieler*innen Bravour und keinerlei Scheu vor Gefühl: sie sind laut und eigen, weinen und schreien, aber teilen auch leise, zärtliche Momente. Es wird mit Sachen geschmissen und es wird zu guter Musik so getanzt, dass man gerne mittanzen würde.

Das Bühnenbild mit zwei voneinander abgetrennten Wohnräumen verleiht den Gefühlen der Charaktere noch mehr Ausdruck: Es erzeugt die räumliche Isolation, in der sie sich anfangs in ihre Gefühlsstadien hineinsteigern und in der gerade Anna und Rebecca noch verkrampft gegen Veränderung ankämpfen, in ihren vier Wänden, die ihnen Halt geben. Ein Zustand, den man vielleicht auch selbst in den letzten Monaten des Lockdowns auf die ein oder andere Art erlebt hat. Deswegen ist gerade die Feststellung im Stück besonders wohltuend, dass man nicht so alleine ist wie man sich fühlt.

Und: dass Veränderung ein essenzieller Bestandteil des Seins ist. In einer Szene steht Sam seinem Spiegelbild gegenüber– auf der einen Seite das neue Ich verkörpert von Daniel Clemente, auf der anderen das alte Ich, die alte Stimme, die er als Frau hatte, gespielt von Viktoria Obermarzoner ­– und tanzt mit ihm.