Chronik | Justiz

Schlafende Konten

Der Prozess gegen die ehemalige Sparkassenspitze ist eine Chronik des Versagens der Bozner Justiz. Ein Anschauungsunterricht, wie man eine Ermittlung in den Sand setzt.
Das Gutachten, das am 21. Juli 2016 in der Bozner Staatsanwaltschaft abgeben und gestempelt wird, hat die Wucht eines Erbebens im oberen Bereich der Richterskala.
Sechs Monate zuvor hatte der leitende Bozner Chefstaatsanwalt Guido Rispoli ein Sachverständigen-Gutachten in einer besonders heiklen Ermittlung in Auftrag gegeben.
Die Ermittlung mit der Nummer 12877/15 betrifft die Südtiroler Sparkasse.
Mit dem Vizedirektor der Bozner Filiale der Banca d´Italia, Maurizio Silvi, hatte Rispoli einen Bankfachmann als Sachverständigen beauftragt, der bereits bei mehreren ähnlichen Ermittlungen außerhalb Südtirols mit Erfolg als Gutachter der Staatsanwaltschaft fungiert hatte. Vor allem aber kennt Silvi kraft seines Amtes Südtirols Bankensektor wie seine Westentasche.
Das Gutachten, das der leitende Beamte der italienischen Notenbank an diesem Sommertag in der Staatsanwaltschaft formell niederlegt, ist eine Bombe.
Auf 86 Seiten zeichnet Maurizio Silvi unzählige unlautere Machenschaften rund um die Sparkassen-Tochter Reatia SRG, um die Kapitalerhöhung 2012, um die Gewährung fragwürdiger Kredite und um eine ganze Reihe unüblicher Immobilienan- und -verkäufe durch die Sparkasse detailliert nach. Der Gutachter leuchtet dabei aber nicht nur alte Geschichten aus, sondern er beschäftigt sich auch mit Operationen, die bereits in die Ära der amtierenden Bankenführung fallen.
 
 
Silvi stützt sich in seinem Gutachten einerseits auf die offiziellen Dokumente der Bankenaufsicht, anderseits aber auch auf Teile des Materials, dass die Ermittler in der Sparkasse beschlagnahmt hatten. Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft sicherte die Carabinierisondereinheit ROS am Zentralsitz der Traditionsbank mehrere Terabyte an Daten. Zudem verhört man Dutzende Zeugen und setzt auch Abhörungen und Lauschangriffe ein.
Die Erkenntnisse im Sachverständigen-Gutachten würden dreimal ausreichen, um eine Anklagerhebung zu fordern und in einen Prozess zu gehen.
Doch es kommt völlig anders.
Der Fall ist eine Chronik des Versagens der Bozner Staatsanwaltschaft und Justiz.
Heute, über fünf Jahre später ist klar, dass die Ermittlungen gegen die Sparkasse in einem Nichts enden werden. Der Fall ist auch eine Chronik des Versagens der Bozner Staatsanwaltschaft und Justiz.
 

Verzögerungen und Unterlassungen

 
Der römische Verbraucherschutzanwalt Massimo Cerniglia ist von Anfang an als Zivilpartei Teil des Verfahrens. Zuerst für die Südtiroler Verbraucherzentrale tätig und - nachdem diese kalte Füße bekommt - als Anwalt der vom ehemaligen Chef der Verbraucherzentrale Walter Andreaus neugegründeten Aktionärsvereinigung Südtirol.
Anfang März 2021 verschickt das Duo Andreaus/Cerniglia eine brisante Pressemitteilung:
 
„Die Aktionärsvereinigung Südtirol wird eine Eingabe beim Justizministerium machen, um die möglichen Verantwortlichkeiten der Bozner Justizbehörden für mögliche Verzögerungen und Unterlassungen festzustellen, die dazu führen könnten, dass die Angeklagten sich nicht oder nur teilweise für die schweren Verbrechen zum Schaden tausender Sparer vor Gericht verantworten müssen.“
 
Es ist eine harte Anklage mit einem konkreten Hintergrund.
Denn im Gerichtsfall Sparkasse kommt es zu einer ganzen Reihe von Ereignissen und Vorfällen, die dazu führen, dass dieses Verfahren bereits zu Ende ist, bevor es überhaupt beginnt.
 

Die Staatsanwaltschaft

 
Im späten Frühjahr 2016 wird Guido Rispoli Oberstaatsanwalt in Campobasso, die Ermittlung 12877/15 erbt damit sein Nachfolger als Chefstaatsanwalt in Bozen, Giancarlo Bramante. Der Zufall will es, dass auch der Rispoli-Gutachter in diesem Verfahren einige Zeit später von Bozen „wegbefördert“ wird. Maurizio Silvi ist heute Direktor der Banca d´Italia-Niederlassung in Trient.
Unmittelbar danach wechselt man auch die Ermittlungseinheit aus. Der Fall Sparkasse wandert von der Carabinierispezialeinheit ROS zur Finanzwache. Zwei Jahre lang wird weiterermittelt. Ende März 2018 liefert die Finanzwache einen 312 Seiten langen Abschlussbericht zu den Ermittlungen ab. Unmittelbar danach lassen sich mehrere der Angeklagten von der Gerichtspolizei einvernehmen und hinterlegen Verteidigungsschriftsätze. Gleichzeitig gibt Chefstaatsanwalt Giancarlo Bramante den Fall an seinen Stellvertreter Igor Secco weiter.
 
 
Längst hat man die Anklage auf einige wenige Punkte aus dem ursprünglichen Gutachten eingeschränkt. Auffallend dabei: Verfolgt werden nur jene Punkte, die die frühere Sparkassen-Spitze betreffen. Alle möglichen Ermittlungsstränge gegen die amtierende Sparkassenführung, die im Silvi-Gutachten ausgearbeitet wurden, lässt man fallen.
Tatsache ist, dass die Ermittlungen jahrelang äußerst gemächlich dahintröpfeln.
Wobei zur Verteidigung der Ermittler aber auch gesagt werden muss: Die Staatsanwaltschaft Bozen ist personalmäßig chronisch unterbesetzt. Es fehlt an Staatsanwälten, Kanzleibeamten und vor allem an Beamten der Gerichtspolizei für die Ermittlungen. Das zieht die Ermittlungen - vor allem solche, die so komplex sind wie der Fall Sparkasse - unverhältnismäßig in die Länge.
 

Der Schleichgang


Erst Ende 2019 erhebt die Staatsanwaltschaft formell Anklage gegen den ehemaligen Sparkassen-Präsident Norbert Plattner, dem früheren Generaldirektor Peter Lothar Schedl, dessen Stellvertreter Richard Maria Seebacher und Sergio Lovecchio als Leiter des Bereichs „Finance & Controlling“. Die Vorwürfe sind schwerwiegend.
Chefstaatsanwalt Giancarlo Bramante und Staatsanwalt Igor Secco wollen gegen das Quartett wegen Fälschung der Informationsbroschüre für Anleger (falso in prospetto – Art. 173 D.Lgs 58/1998, StGB Art 100, 112), Kursmanipulation (Aggiotaggio – ZGB Art. 2637, StGB 61, 81, 110), wahrheitswidrige Mitteilungen an die Aufsichtsbehörde (false communicazioni all´autorità di pubblica vigilanza – StGB Art. 61, 81, 110, 112, sowie ZGB Art. 2638 und 2639) und vor allem schweren Betrugs (truffa agravata - StGB Art. 640) vorgehen.
Aber nicht nur die Staatsanwaltschaft hat im Fall Sparkasse anscheinend den Schleichgang eingelegt.
Weil die Straftaten bereits im Juni 2020 verjähren, ersucht die Staatsanwaltschaft das Voruntersuchungsgericht um eine schnelle Behandlung. Die Verhandlung wird für März 2020 vor Vorerhebungsrichterin Carla Scheidle festgesetzt, dann aber wegen der Corona-Krise auf Mai 2020 verschoben. Weil Scheidle aber inzwischen ans Freiheitsgericht wechselt, muss ein neuer Richter gefunden werden. Die Verhandlung wird erneut vertagt. Aber nicht für wenige Wochen, sondern am Ende um mehr als ein ganzes Jahr.
 
 
Damit dauert allein die Phase der Entscheidungsfindung vor dem Richter für die Vorerhebungen über eineinhalb Jahre. Als Vorermittlungsrichter Emilio Schönsberg Anfang Juli 2021 schließlich entscheidet, ist das eingetreten, was schon zwei Jahre vorher klar war: Der Großteil der Anklagepunkte ist zu diesem Zeitpunkt verjährt und damit strafrechtlich nicht mehr verfolgbar.
Bereits im März 2021 hatte Schönsberg deshalb die strafrechtlichen Vorwürfe des schweren Betruges, der Fälschung der Informationsbroschüre für Anleger sowie der Kursmanipulation als verjährt erklärt.
Das Hauptverfahren gegen die vier Angeklagten wird so nur mehr für den Strafbestand der wahrheitswidrigen Mitteilungen an die Aufsichtsbehörde (false communicazioni all´autorità di pubblica vigilanza) eingeleitet.
Aber auch dabei kommt es jetzt zu einer Überraschung.
 

Der Paukenschlag

 
Sowohl die Bankenaufsicht „Banca d’ Italia“ als auch die Börsenaufsicht Consob waren in der Vorverhandlungsphase als Nebenkläger in das Verfahren eingetreten und zugelassen worden. Bereits in diesen Verhandlungen werfen die Verteidiger der Angeklagten aber ein, dass für den Strafbestand der wahrheitswidrigen Mitteilungen an die Aufsichtsbehörde nicht das Landesgericht Bozen zuständig sei. Die Argumentation: Weil die Banca d’Italia und die Consob in Rom sitzen, müsse der Gerichtsstand auch in der italienischen Hauptstadt sein.
Voruntersuchungsrichter Emilio Schönsberg schmetterte diesen Einwand noch ab.
Doch jetzt folgt der Paukenschlag. Am Dienstagvormittag erlässt der Vorsitzende des für den Sparkassen-Prozess zuständigen Richtersenates, Carlo Busato, ein Dekret, in dem verfügt wird, dass das Sparkassen-Verfahren zuständigkeitshalber an das Landesgericht Rom abgeben wird. Es ist ein überraschender Schritt. Denn alle Beteiligten sind davon ausgegangen, dass die Hauptverhandlung jetzt endlich über die Bühne gehen wird.
Zunächst wird sich in Rom erneut ein Voruntersuchunsgrichter mit dem Fall beschäftigen müssen. Weil die Anklagepunkte im April und September 2022 bzw. im April 2023 verjähren, ist aber bereits klar, dass bis dahin das Hauptverfahren kaum abgeschlossen sein wird. Das heißt: Die gesamte Ermittlung wird sich im Nichts auflösen.
Die „Akte Sparkasse“ wird damit nicht endgültig geschlossen. Es zeichnet sich ab, dass ein Teil der Verfahrens - jenes gegen Vizegeneraldirektor Richard Seebacher - doch noch am Bozner Landesgericht über die Bühne gehen könnte. Hier drängt sich der Gedanke an das klassische Bauernopfer auf.
Der Fall Sparkasse ist kein Ruhmesblatt für die Bozner Staatsanwaltschaft und ein Warnzeichen, wie viel in der Südtiroler Justiz nicht funktioniert.
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Salto User
Günther Alois … Fr., 12.11.2021 - 07:13

Man kommt vom Staunen nicht mehr raus,und dies soll die italienische Justiz sein? Dass man Prozesse so lange in die Länge zieht , um dann alles in die Verjährung verschwinden zu lassen??? Ich fasse es nicht!!!!In welchem Staat leben wir eigentlich????

Fr., 12.11.2021 - 07:13 Permalink