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Von Cyborgs und "Frauen"

Die Ausstellung von Lili Reynaud-Dewar im Museion setzt ein beeindruckendes Statement in einer Zeit, in der es solcher Statements dringend bedarf.
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Die derzeitige Ausstellung „TEETH, GUMS, MACHINES, FUTURE SOCIETY“ der französischen Künstlerin Lili Reynaud-Dewar im Museion stellt Fragen, wie es in der gegenwärtigen Weltsituation dringlichere kaum geben könnte. Es sind Fragen nach Identität, Identitätskonstruktion, Diskriminierungen und Machtverhältnissen und nach der Verwobenheit derselben. Es sind Fragen, die sich bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Frauenbewegungen und anderen politischen Bewegungen marginalisierter, weil ethnisch, rassistisch oder sexistisch markierter Gruppen stellten und die seither Gegenstand hartgesottener Kämpfe für Gerechtigkeit und gegen Diskriminierung sind. In einem Kampf gegen die Marginalisierung von Menschen wird die individuelle und kollektive Identität zum zentralen Rüstzeug, mit dem politische Solidaritäten gebildet werden.

Reynaud-Dewar thematisiert in ihren Werken ebensolche Identitätszugehörigkeiten. Mit den Grillz – den der Hip-Hop und Dirty South Rap-Kultur eigenen Zahnschmuckstücken – die in Übergröße und mit Abfall gefüllt im Raum stehen, spielt sie auf provokante Weise einerseits mit der Aneignung fremder Identität aus der Perspektive einer weißen, weiblichen Künstlerin. Andererseits stellt sie die große Bedeutung von Identität als solcher in Frage.

Reynaud-Dewars Werk steht somit ganz in der Tradition der utopischen Überlegungen der amerikanischen Biologin Donna Haraway, deren feministisches Essay „A Cyborg Manifesto“ zentraler Gegenstand der aktuellen Ausstellung ist. Zitate aus dem Manifest sind in der Videoinstallation und in Form von riesigen Paneelen und unzähligen über den Boden verteilten Plakaten omnipräsent. Haraways Text wie auch die gesamte Ausstellung sind ein Plädoyer für eine Auflösung der Grenzen und der Dualismen von Geist und Körper, Mensch und Tier, Organismus und Maschine, Frau und Mann und für eine Einsicht in die Konstruiertheit und Widersprüchlichkeit von Identität. Eine Cyborg beschreibt Haraway als „eine Art zerlegtes und neu zusammengesetztes, postmodernes kollektives und individuelles Selbst.“ (Haraway D., Die Neuerfindung der Natur. 1985, S. 51) Sie ist ein Grenzgeschöpf, das sich bewusst zwischen den Dualismen bewegt und diese dabei untergräbt, ein Wesen, das sich nicht mehr über Identität sondern über Affinität definiert.

Gleichzeitig werden an anderer Stelle diese Dualismen fein säuberlich erhalten. So wählen etwa die Initiator_innen feministischer Demonstrationen wie des #WomensMarchs mit einer beachtlichen Öffentlichkeit und positiven Resonanz noch immer ein vermeintlich essentiell weibliches Körperteil, die Vulva, als Identität stiftendes Symbol. Damit wird nicht nur Feminismus jenen Personen vorbehalten, die im Besitz des besagten Körperteils sind, sie werden vielmehr sogar damit identifiziert, was nicht nur ein katastrophales Frauenbild offenbart, sondern auch Ausschlüsse aller Nicht Cis-Frauen bedeutet. Im Kontext einer vermeintlich feministischen Demonstration für Gendergerechtigkeit ist dies mehr als verstörend.

Umso interessanter ist es daher, sich mit der Ausstellung von Lili Reynaud-Dewar auseinanderzusetzten, die provokant und doch auf sehr scharfsinnige Weise die von Donna Haraway bereits 1985 verfassten Gedanken in die Konzeptkunst einbringt. Dadurch werden sie vielleicht einem neuen Publikum nähergebracht, gleichzeitig wird ihnen aber auch eine neue Ausdrucksform verliehen, die auch maßgeblich von den eigenen Reflexionen der Künstlerin gefärbt ist.

In einer Zeit, in der Feminismus scheinbar noch immer von so biologistischer Symbolik durchsetzt ist und die Diversität von Mann und Frau, als nur einer der vielen Dualismen immer wieder zementiert wird, ist es umso reizvoller sich eine Welt vorzustellen, in der Identität nicht mehr in der Abgrenzung zu Anderen begründet ist, sondern in der Koalition vieler Individuen, eben in Affinität. Eine Welt also, in der wir alle uns als Grenzgeschöpfe, als Cyborgs begreifen, für die Identität nur noch eine Illusion ist.

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gorgias Sa., 11.02.2017 - 02:36

Hier sieht man wieder die Unkultur jede Ontologie zu zerstören, in dem man Begriffe nach belieben benutzt und durch Falschanwendung vernutzt. Die Denkwerkzeuge die man mühevoll aufgebaut werden, werden so billig verramscht.
Ein Cyborg ist ein kybernetischer Organismus, eine Einheit die sowohl oranische als auch maschinelle Teile hat.
Der Mensch ist ein dimorphe Spezies mit zwei Geschlechtern. Die heterosexuelle Veranlagung in beiden Geschlechtern dient zur Fortpfanzung durch Neukombination der Erbmasse um eine diversifizierten resilienteren Genpool zu verschaffen.
Alles andere wie Hermaphroditen und Androgyne fallen aus der Norm. Diese sollen aus Menschlichkeit auch einen Platz in der Gesellschaft finden, aber nicht zu ungunsten und Abwertung der polarität der Geschlechter. Die zwei und komplementär angelegt sind und der Schlüssel für das Fortbestehen jeglicher Kultur und Gesellschaft.
Der Mensch ist ein Tier bei dem sein Selbstbewusstsein in Rückkoppelung mit seinem Körper steht und kein Geist der in einem Körper eingesperrt ist, wie es die Gnostik oder bestimmte Disziplinen in ihrem Theoriegewixe in einem säkularen Kleid propagieren möchten. Den Weg den hier der Feminismus einschlägt, ist nicht der Frau eine neue Stellung in der Gesellschaft zu geben, sondern diese aufzulösen in einem Geisteskonstrukt Namens Gender der sich durch seinen inflationären Gebrauch selbst nivelliert. Wenn wir weiter als Menschen einer humanistischen Gesellschaft entgegenstreben wollen, müssen wir diesen Irrweg entlarven frühzeitig Entlarven, der uns in eine Sackgasse hineinsteuert in der es nur noch Krüppel geben wird, die sich ohne maschinelle Unterstützung nicht einmal mehr Fortflanzen können.
". . . ein Plädoyer für eine Auflösung der Grenzen und der Dualismen von Geist und Körper, Mensch und Tier, Organismus und Maschine, Frau und Mann und für eine Einsicht in die Konstruiertheit und Widersprüchlichkeit von Identität."
Das erinnert mich an Mafarka il Futurista, der einen Sohn aus Mensch, Maschine und Tier konstruiert um ihn dann mit sich selbst zu beseelen. Die Feministinnen ahmen jetzt schon protofaschistische Größenwahnideale nach.

"Dopo aver scacciato Colubbi, guardiana degli sciacalli (che reclama di essere la madre di Gazurmah "poiché il suo primo sguardo fu per me"), Mafarka mostra la sua creatura alla mummia della madre; poi, baciando Gazurmah sulla bocca, trasferisce in lui la sua anima e muore. Decollando, il semidio alato Gazurmah ha in breve ragione dei venti, e si accinge a salire al sole per detronizzarlo."
Der degenerative Prozess muss dann wohl fast abgeschlossen sein.

Sa., 11.02.2017 - 02:36 Permalink