Gesellschaft | start.klar

"Wir sind mittendrin!"

Gewerkschafterin Yvonne Peruzzi und Soziologe Davide Brocchi diskutieren im Kulturzentrum UFO über soziale und ökologische Transformation und Wege, um diese zu gestalten.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Peruzzi, Brocchi
Foto: Teona Gogichaishvili

Ein Beitrag von Valentina Gianera

 

“Heute ist die Frage nicht mehr, ob wir eine große Transformation der Gesellschaft wollen oder nicht: Wir sind bereits mittendrin”, sagt Davide Brocchi, Soziologe, Kulturforscher und Publizist. Worin sieht ein Kulturforscher die Zeichen dieser Transformation? Worin eine Gewerkschafterin? Und wie können wir auf die multiplen Transformationen, die sich sowohl auf umwelttechnischer als auch auf sozialer Ebene abspielen, ganz konkret als Gesellschaft reagieren?

Darüber diskutieren Davide Brocchi und die Gewerkschafterin der SGB-CISL, Yvonne Peruzzi, am 16. Februar im Jugend- und Kulturzentrum UFO. Wie häufig in der von Markus Lobis moderierten Diskussionsreihe start.klar treffen zwei Realitäten aufeinander: die theoretisch fundierte Welt der Soziologie und Kulturforschung und die sehr alltägliche, praxisnahe Realität der Gewerkschaft. Eine Kombination, die Spannung verspricht. 

 

Wo sind die Freiräume für die Vielfalt und die Alternativen?

 

Dabei ist Davide Brocchi bemüht, seine Forschung in konkrete Anwendungsbeispiele herunterzubrechen: “Ich versuche im Lokalen Räume zu öffnen, in denen die private Frustration in kollektive Kreativität und Macht umgewandelt werden kann”, so Brocchi, “und in denen bessere Alternativen gemeinsam entworfen und erprobt werden können.” Ganz konkret verwandelt der Kulturforscher und Soziologe öffentliche Räume, Bibliotheken oder sogar Kirchen in erweiterte Agoren, in denen nicht nur Frauen, Kinder, Arbeiter*innen und Menschen mit Migrationshintergrund die Stadt auf Augenhöhe mitgestalten dürfen: “Auch die Natur muss als politisches Subjekt anerkannt werden”, so Brocchi. Und weiter: “Wir sind gefangen in den materiellen Infrastrukturen. Alle Flächen in der Stadt werden privatisiert oder stehen dem Auto zur Verfügung: Wo sind die Freiräume für die Vielfalt und die Alternativen?”

Nachhaltigkeit bedeutet für Brocchi also nicht, Menschen von oben herab zu belehren und mit moralischen Vorgaben zu konfrontieren: “Immer mehr Menschen merken selbst, dass etwas in unserer Gesellschaft nicht mehr stimmt und sehnen sich nach anderem”, so der Soziologe. Um dieses “andere” zu ermöglichen, müsse zuallererst das pessimistische, misstrauische Menschenbild eines gewinnsuchenden “homo oeconomicus” überwunden werden: “Auf dem pessimistischen Menschenbild basiert eine zentralistische Organisation der Gesellschaft. Wenn die Marktwirtschaft und dieser zentralistische Staat unsere Gesellschaft in die multiple Krise geführt haben, dann brauchen wir eine andere Governance und ein anderes Menschenbild, um wieder rauszukommen und eine nachhaltige, gerechte Zukunft zu ermöglichen.”

 

Der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft darf nicht in die Brüche gehen.

 

Auf die weitreichenden Überlegungen von Davide Brocchi, der Mensch und Gesellschaft bei ihren Wurzeln packt, trifft der doch sehr spezifische Blickwinkel von Yvonne Peruzzi, die — ausgehend von der Transformation der Arbeitswelt — soziale Entwicklungen verfolgt. “Der ökologische Umbau der Wirtschaft und die demografische Entwicklung stellen große Herausforderungen dar, bei denen darauf zu achten ist, dass der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft nicht in die Brüche geht”, so Peruzzi. 

Als Mitglieds des Generalrats der FeLSA beschäftigt sie sich vor allem mit “atypisch Beschäftigten”, also Menschen, die kein fest geregeltes Arbeitsverhältnis vorweisen, und kennt Formen von Arbeit, mit denen versucht wird, soziale Errungenschaften der letzten Jahrzehnte aufzuweichen. Die Zahl der atypisch Beschäftigten ist in den letzten Jahren immer weiter gestiegen und weist Problematiken auf, die weit über Vertragsfragen, Arbeitszeit - Lohnkontrolle hinausreichen. “Der soziale Aspekt spielt hier keine unwesentliche Rolle”, so Peruzzi.

Mit dem Wegfallen von klaren Trennlinien zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, zwischen Freizeit und Arbeitszeit und der Tendenz zu immer mehr Flexibilität verändert sich auch die Rolle, die die Gewerkschaften in der Gesellschaft spielen: Es müssen neue Wege gefunden werden, um die Arbeitswelt und die sozialen, ökonomischen und ökologischen Aspekte, die diese beeinflusst, mitzugestalten. 

Wer also Umwelt und Gesellschaft abseits der festgetretenen Wege von Markt und Politik mitgestalten möchte, sollte sich den Diskussionsabend im UFO am Donnerstag, dem 16. Februar um 20 Uhr also auf keinen Fall entgehen lassen.