Politik | Konvent Bozen

Unsere Autonomie und ihre Verantwortung außerhalb Südtirols

Zwei unverzichtbare Säulen unserer Autonomie, die die Autonomie tragen, die aber auch von Autonomie getragen werden müssen.

Klar, es gibt immer Luft nach oben, aber den roten Faden vom De-Gasperi-Gruber-Abkommen bis zum Südtirolkonvent nicht als Erfolgsgeschichte zu verbuchen, würde den zahlreichen Verhandlern und Streitern der vergangenen Jahrzehnte Unrecht tun. Schauen wir uns doch um: Es geht uns gut. Südtirol ist tendenziell erfolgreicher als die südlichen Regionen und misst sich mit den nördlichen Nachbarn wie etwa dem Bundesland Tirol, Vorarlberg, Salzburg und Graubünden. Die Autonomie ist in gewisser Weise eine Entschädigung dafür, dass die Grenzen so gezogen wurden, wie sie eben gezogen worden sind. Sie entschädigt zwar uns, nicht aber etwa die Osttiroler oder die Münstertalerinnen. Trotz österreichischer Schutzfunktion ist Autonomie, so wir sie heute verstehen, letztlich ein bilateraler Vertrag zwischen Bozen bzw. Trient und Rom. Ein Schützengraben Richtung Süden sozusagen.

Als erfolgreiche Provinz können wir nicht länger leugnen, dass Erfolg mit Verantwortung verknüpft ist. Wer soll sich dem Gedanken des Europas der Regionen verpflichten, wenn nicht wir? So ein Europa können wir nicht einfordern. Wir müssen es gestalten, etwas zurückgeben. Der europäische Gedanke ließ einst die erfolgreichen Länder Westeuropas die Osterweiterung beschließen. Weder selbstlos noch naiv. Die Osterweiterung war und ist kein Honigschlecken, wie es sich gerade dieser Tage wieder bestätigt. Trotzdem: Wer vermag sich eine optimistische Variante des Werdegangs Osteuropas und somit Gesamteuropas vorstellen, hätten damals westeuropäischer Politiker nicht beherzt und verantwortungsbewusst gehandelt? Mit Verantwortung für das Große, nicht nur für den eigenen Kirchturm, vielleicht auch mit einer Portion jenes Idealismus, der seit der Jahrtausendwende etwas aus der Mode gekommen ist.

Nun diskutieren wir hier als  halbwegs erfolgreiches Land über Autonomie, unser Leid, über unsere Rechte und unseren wohlverdienten Erfolg. Letzterer soll angeblich unsere Sonderstellung für die künftigen Jahrzehnte zementierten, was in der Vergangenheit ethnisch begründet war und was heutzutage gerne als „historisches Recht“ bemüht wird, wenn einem die gestalterischen Argumente ausgehen. Das ist zu wenig. Es reicht nicht, der Einäugige unter den Blinden zu sein. Der Beste unter Besten muss das Ziel sein. Einen Sandhaufen kann man aber nicht hoch bauen, wenn man ihn nicht auch breit baut. So vermischt sich die moralisch Pflicht, die uns der mit der Autonomie verbundene Erfolg aufbürgt, mit purstem Eigeninteresse. Wir können nur gut sein, wenn unsere Nachbarn zu den Besten gehören. Wir können nur stark sein, wenn wir uns nicht in egoistischem Einzelkämpfertum verlieren.  

Wir begründen unsere Autonomie mit Minderheitenschutz. Gut! Machen wir uns nicht unglaubwürdig, wenn wir dieses hehre Prinzip nur innerhalb der Landesgrenzen einfordern? Bis dato ist unsere Autonomie mehr Territorialautonomie als manchen lieb ist. Nicht einmal der einzige deutschsprachige RAI-Sender kann  in den diversen (deutschen) Sprachinseln südlich des Schützengrabens empfangen werden. Wäre es nicht angebracht, im neuen Autonomiestatut eine Patenschaft für Sappada/Plodn, Sauris/Zahre und wie sie alle heißen, zu verankern – so wie wir die Schutzmachtfrage in der österreichischen Verfassung verankern wollen? Für diejenigen unter uns, die sich vom Trentino lossagen möchten:  Stehen wir dann für die Sprachinseln im Trentino in der Pflicht?

Die Umsetzer für unsere ladinischsprachigen Programme reichen kaum über die Dolomitenpässe. Bis heute wehren wir Südtiroler uns, wenn sich Menschen, die sich als Ladiner deklarieren, ans Trentino anschließen wollen. Wir sprechen dem Nachbartal den Status als schützenswerte Sprachminderheit ab, nennen sie „falsche Ladiner“ und „Trittbrettfahrer“, nur weil sie eine andere Historie haben. Suchen die historisch deutschsprachigen Gemeinden des Altopiano von Asiago unsere Nähe, grüßen wir mit Stacheldraht zurück.  In der Zukunftsgestaltung ist Historie ein Argument, das sich selbst erlegt. Restauratives Tiroler Nationalgehabe ist kein Trumpf, den man Irredentistischen Strömungen überlegen entgegenhalten kann. Es ist ein Getue, mit dem man sich in einem modernen Europa lächerlich macht. Zu Recht! (Sprach-)Minderheiten sind unsere Legimitation, Mitverantwortung für sie unsere moralische Pflicht – in  Italien und vielleicht auch weltweit.

Minderheiten sind eine Säule, die uns trägt, aber auch eine Säule, die zu tragen wir verpflichtet sind.

Der Weg zu einem Europa der Regionen ist weit. Weder sind alle Zusatzprotokolle des Madrider Rahmenabkommens ratifiziert, noch gibt es es ein vergleichbares Instrument, um den italienischen Nachbarprovinzen und –regionen zu begegnen. Denken wir über den Rahmen der Euregio bzw. des EVTZs hinaus, ist die nächste bespielbare Klaviatur die Makroregion der Alpen, die EUSALP. Wie sehr spiegelt die EUSALP doch unser Selbstverständnis als Bergvolk wider! Nur gehen wir 14 Millionen Alpenbewohner in der Masse der 70 Millionen unter. Mehr Heimat als der Nationalstaat ist das immer noch. Und ein vielversprechendes Instrumentarium im europäischen Kontext sowieso. Trotzdem, wir 14 Millionen müssen uns besser organisieren. Und nein, da kommt es uns ganz und gar nicht gelegen, dass unsere alpinen Nachbarprovinzen Belluno und Sondrio mit dem herbstlichen Referendum als Provinzen abgeschafft werden und somit jegliche demokratisch legitimierte Rechtspersönlichkeit verlieren. Wir müssen also mit Maroni in Mailand über den Stilfserjochpark verhandeln und mit Zaia in Venedig über die Unesco Dolomiten. Da werden wir nicht immer am langen Hebel sitzen.

Daraus leitet sich die zweite Säule ab, auf deren Fundament wir unsere Autonomie bauen müssen, wenn wir sie langfristig moralisch rechtfertigen können wollen: Unsere Mitverantwortung für den Alpenbogen.

Es kann und darf uns nicht egal sein, wenn unsere Nachbartäler entdemokratisiert werden und sich entvölkern! Mitverantwortung macht uns nicht automatisch zum Zahlmeister. Dennoch, der Grenzgemeindenfond könnte Beispiel gebend sein. Die Steuergelder, die wir nach Rom abliefern, im Sinne der beiden Säulen weitergehend zweckzubinden, wäre erstrebenswert. Der Löwenanteil würde uns allerdings keinen Euro kosten: Unsere Wertschätzung und Mitverantwortungsbewusstsein in unsere Charta mit aufzunehmen und mit unserer Körpersprache und Rhetorik konsequent zum Ausdruck zu bringen. Wenigstens in moralischer Hinsicht möge die Autonomie ein multilateraler Vertrag zwischen uns und unserer Umwelt werden. 360°, um den Kreis zu Müstair und Osttirol zu schließen. Ein Licht, das zum Leuchtturm werden könnte.