Kultur | Salto Weekend

Juckende Fingerspitzen

Alles okal? Für Nadja Rungger ist "OKAL" (Mischung aus okay und egal) unabdingbar im Wortschatz einer Unschlüssigen. Was sie sonst noch zu sagen und zu schreiben hat...
Bücher
Foto: Salto.bz

Salto.bz Drei Räume, in denen Sie sich verorten könnten?
Nadja Rungger: Raum 1 ist groß aber nicht leer. Die Wände sind etwas schief, die Tür knarzt beim Eintreten und die hölzernen Fußdielen geben bei jedem Schritt etwas nach. Nichts ist gerade, nichts ist glatt. Bücher stehen in den Bücherregalen, liegen verstreut auf dem Tisch oder sind auf dem Boden gestapelt. Wind blättert die Seiten eines auf dem Rücken liegenden Buches um. Durch zwei offene Fenster fällt Sonnenlicht auf ein rotes Sofa.
Raum 2 ist ein Zugwaggon. Die Fensterscheiben sind schmutzig, draußen regnet es in Strömen. Unbekannte Menschen fangen ein Gespräch an, eine Frau strickt bunte Socken und verschenkt sie, ein Mann liest Zeitung. Niemand will aussteigen.
Im Raum 3 gibt es keinen Lichtschalter. Vielleicht auch keine Lampe, man sieht es ja nicht. Es ist dunkel. Alles ist möglich. Alles ist da und gleichzeitig ist nichts greifbar. Ich könnte auf einem tiefen Ast einer alten Kiefer sitzen, im Schneidersitz auf einer Bank in einer Stadt oder abends auf den Klippen am Meer, Salz auf den Wangen und beim Zurückgehen die Flipflops in der Hand, kalter Sand zwischen den Zehen.

Architekt zu sein ist wohl schwieriger, als ich dachte. Es ist nicht einfach, einen Lebensraum zu gestalten, in dem Menschen sich wohlfühlen. Damit ich mich wohlfühle, braucht ein Raum Platz für Worte, geschriebene, gesprochene, gedachte. Ein Blatt Papier zum drauflosschreiben, genug Dunkelheit zum Träumen. Oder, wie es in meiner Kurzgeschichte Anlauf heißt:
„Jeder braucht einen Traum.
Falsch. Jeder braucht Raum für einen Traum.“

Ein selbst geschaffener Neologismus?
Okal - eine Mischung aus okay und egal. Unabdingbar im Wortschatz einer Unschlüssigen.

Warum schreiben?
Schreiben, weil die Worte in der Feder gefangen sind und herauswollen. Weil die Fingerspitzen jucken. Schreiben, damit der Kopf frei wird für neue Gedanken.
Schreiben, damit Menschen sich umdrehen oder weitergehen. Je nachdem.

Nicht immer ist das Leben rosa, manchmal schreibt der Dichter Prosa.

Welche Motive tauchen in Ihrem Schreiben immer wieder auf?
Immer öfters schleichen sich surreale Elemente in meine Geschichten. Von sprechenden Steinen, bis hin zu Katzen, die Frühstück machen, „das Brot aus dem Kühlschrank nehmen und die Milch aufschneiden“, aus der Kurzgeschichte Ich mache uns Frühstück.

Welche war Ihre außergewöhnlichste Lesung?
Tatsächlich in Raum 2. Im Herbst 2015 fuhr ich nach Perg, Oberösterreich, und lernte im Zug eine nette Frau kennen. Wir kamen ins Gespräch, und ich erzählte ihr, dass ich auf dem Weg zu einer Lesung sei. Daraufhin schlug sie vor, ich könnte den Text doch als Übung vorlesen. Warum nicht, sagte ich und begann zu lesen. Als ich aufhörte, merkte ich, dass es still geworden war. Auch wenn ich andere Gelegenheiten hatte, meine Texte vor Publikum vorzutragen, war dieser Moment im Zug außergewöhnlich. Einen Text zu schreiben ist eine Sache. Aber zu sehen, wie er bei einem Zuhörer ankommt, eine ganz andere.
Seit dem bin ich gerne mit meinen Worten unterwegs. Socken habe ich auch geschenkt bekommen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Textauszug

Wir haben Geld gespart. Für einen Staubsauger. Noch sind wir beide nicht so berühmt, dass wir Geld einfach so ausgeben können, allein durch die Miete steht uns das Wasser bis zum Hals.

Wir haben das alte Gerät auf dem Flohmarkt ersteigert.
Ich: „Immer noch besser als gar nichts.“

Bald dürfen wir in der Küche barfuß herumgehen, ohne dass sich bei jedem Schritt Brotbrösel zwischen den Zehen einnisten. Besonders Ines findet Gefallen am Staubsauger, sie benutzt ihn jeden Tag. Ich musiziere im Zimmer nebenan, sie fährt mit dem Staubsauger über den ohnehin sauberen Boden.
Ich: „Kannst du bitte staubsaugen, wenn ich nicht spiele?“

Ich hätte es besser nicht sagen sollen. Mitten in der Nacht werde ich von fürchterlichem Krach geweckt. Etwas saugt alle meine Träume in sich hinein, bis nichts davon mehr übrig ist und ich die Augen aufschlage. Ich tappe in die Küche. Dort stehen Ines und der Staubsauger.

Ich ziehe den Stecker und es wird noch lauter.
Langsam sage ich: „Was ist los, Ines?“
Ines: „Als du sagtest, immer noch besser als gar nichts, da hast du es zu mir gesagt.“
Ich runzele die Stirn. „Ich habe den Staubsauger gemeint!“
Ines: „Ich weiß!“
Ich bemerke, warum es in der Küche plötzlich leer aussieht: Ines hat alle bunten Post-it‘s mit ihren Gedichten eingesaugt. Am Boden liegt noch ein letztes. Ich hebe es auf. Da steht:

Nicht immer ist das Leben rosa, manchmal schreibt der Dichter Prosa. Und darunter, mit Bleistift: Bis er am Ende doch kapiert, dass selbst das nicht funktioniert.

Ines weint. Ich will sie trösten, aber sie stößt mich von sich.
Sie schreit: „Ich kann dich nicht mehr hören! Ich kann nicht!“

Mehrmals habe ich in Erwägung gezogen, den Staubsauger zu entsorgen. Oder zurück zum Flohmarkt zu bringen, wo er hingehört. Er ist besser als gar nichts, aber schlechter als alles, was Ines und mir hätte passieren können. Ich fliehe in die Universität und übe dort. Wenn ich abends zurückkomme, finde ich kein einziges Staubkorn in unserer Wohnung. Auch von Ines keine Spur.

Es ist nicht so, dass sie ausgezogen wäre. Ihre Zahnbürste steht im Bad neben meiner, ihre Shampoo Flaschen sind den Farben nach in der Dusche aufgereiht, ihr Pyjama liegt nach wie vor unordentlich zusammengeballt unter ihrem Kissen, sodass es ganz schief sitzt, das Kissen. Sie ist noch da, isst mit mir zu Mittag, stochert mit der Gabel in ihrem Salat und schaut mich an. Aber sie ist mit den Gedanken ganz woanders.

SALTO in Kooperation mit: Südtiroler Autorinnen und Autorenvereinigung (SAAV)