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Women first

„Internationaler Frauentag? Ein Tag, um die Frau mit all ihren Stärken zu feiern, aber auch um auf bestehende Missstände aufmerksam zu machen.“
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Co-Opera

Interview mit Barbara Großgasteiger, Geschäftsführerin der Sozialgenossenschaft Co-Opera aus Bruneck.

Obwohl sie ein Unternehmen leitet, das fast ausschließlich Frauen beschäftigt – 62 der 63 Mitarbeiter/innen der Sozialgenossenschaft Co-Opera aus Bruneck sind Frauen – sieht die Geschäftsführerin Barbara Großgasteiger keinen großen Unterschied zu anderen, hauptsächlich von Männern, geführten Betrieben: „Was zählt ist die Qualität, die Authentizität, das Wissen und die Erfahrung. Diese Eigenschaften sehe ich nicht als geschlechtsbezogen“. Eigentlich könnten in den verschiedenen Tätigkeitsbereichen der Sozialgenossenschaft Co-Opera – Reinigung und Raumpflege, Wäscherei, Tagescafé und Küchenhilfe – sowohl Frauen als auch Männer beschäftigt sein. Die Konstellation hat sich aber so ergeben. Ursprünglich ist die Genossenschaft nämlich entstanden, um Frauen aus schwierigen Lebenslagen die Möglichkeit zu geben, ins Arbeitsleben wiedereinzusteigen. „Mittlerweile zeigt aber die Erfahrung, dass auch der Bedarf für Männer da wäre“, bringt es Barbara auf den Punkt.

20 eurer 63 Mitarbeiter/innen sind derzeit im Rahmen eines Arbeitsintegrationsprojekts in eurer Genossenschaft beschäftigt. Inwiefern gelten diese Frauen als benachteiligt?
Ein Großteil der Frauen, welche im Rahmen eines Arbeitsintegrationsprojekts bei uns arbeiten, leidet an einer psychischen Erkrankung. Einige sehen sich mit einer Suchterkrankung konfrontiert, bei anderen wiederum liegt eine körperliche Beeinträchtigung vor. Oft treten aber gleichzeitig weitere Problematiken auf, wie zum Beispiel Armut und soziale Isolation.

Wie werden diese Mitarbeiterinnen betreut?
Jedes Integrationsprojekt wird bei uns individuell gestaltet, die Ziele werden gemeinsam mit der Sozialpädagogin der Genossenschaft und den Fachdiensten erarbeitet und regelmäßig überprüft. Neben Vermittlung technischen Wissens gehören Regelmäßigkeit, Selbständigkeit und Verantwortungsbewusstsein zu den inhaltlichen Zielen. Das Zugehörigkeitsgefühl und die soziale Interaktion werden durch Ausflüge, Weihnachtsessen, Kurse und Mitarbeiterversammlungen gestärkt.

Welche ist die größte Herausforderung der Integrationsarbeit?
Frauen mit Benachteiligung haben in ihrem Leben oft wenig Wertschätzung erfahren und erleben sich nicht als wertvolles Mitglied der Gemeinschaft. Sie werden aufgrund ihrer Beeinträchtigung teilweise fremdbestimmt, erfahren Armut, Scham und soziale Isolation. Die Arbeit in unserer Genossenschaft hilft ihnen, den Anschluss wieder zu finden und Anerkennung durch die Gesellschaft zu erlangen. Wir versuchen, ihnen Selbstwert zurückzugeben, indem wir ihnen Struktur und eine geregelte Arbeit bieten und ihre finanzielle Unabhängigkeit, ihre Eigenständigkeit und ihre Stärken fördern.

Durch die Arbeitsintegrationsprojekte sollen diese Frauen den Sprung in die Arbeitswelt schaffen.  Gelingt das immer?
Die derzeitige Realität erschwert es uns, diese Frauen auf dem freien Arbeitsmarkt zu vermitteln. Die Anforderungen sind zum Teil sehr hoch. Dennoch gelingt es uns jährlich eine bis zwei Mitarbeiterinnen im freien Arbeitsmarkt unterzubringen.

Was bedeutet es für dich in einem Unternehmen, das fast ausschließlich Frauen beschäftigt, zu arbeiten?
Ich erlebe im Alltag keinen Unterschied zu einem Unternehmen, das hauptsächlich Männer beschäftigt. Ich bin überzeugt, dass unser Betrieb ebenso Stärken und Schwächen besitzt wie andere Unternehmen auch. Von geschlechtsspezifischen Klischees distanzieren wir uns bewusst. In unserer täglichen Arbeit erleben wir, dass Familie Herzensthema bei den Mitarbeiter/innen ist. Deshalb war es uns wichtig, anhand des audits „familieundberuf“ noch mehr familienfreundliche Maßnahmen umzusetzen.

Wie schafft ihr es, die soziale Komponente mit den unternehmerischen Zielsetzungen zu vereinbaren?
Es ist nicht immer leicht, alle Fäden in der Hand zu halten. Unserer Genossenschaft  ist es wichtig, die Gesellschaft zu sensibilisieren und ihr aufzuzeigen, welchen Mehrwert Sozialgenossenschaften durch Inklusion für die Gesellschaft schaffen können. Sobald der Kunde sich des Mehrwerts der eingekauften Dienstleistung von Sozialgenossenschaften bewusst wird, ist eine faire Preisgestaltung möglich.

Kann man auch bei der Qualität der Dienstleistungen mit den herkömmlichen Unternehmen mithalten?
Leider glauben noch immer viele, dass unsere Qualität darunter leidet, dass wir benachteiligte Personen einstellen. Qualität und Professionalität werden in unserer Genossenschaft sehr groß geschrieben, dies zeigt die langjährige Zusammenarbeit mit unseren Vertragspartner. Unsere Mitarbeiter/innen sind unser größtes Kapital; deshalb werden diese nicht nur technisch geschult, wir bieten ihnen auch die richtigen Rahmenbedingungen, damit sie sich im zwischenmenschlichen und persönlichen Bereich weiterentwickeln können.

Kann man von Benachteiligung der Frauen in der Arbeitswelt sprechen?
Ja, sicher. Nachweislich besteht bis heute ein gender pay gap. Die Konditionen am Arbeitsmarkt ermöglichen es vor allem jungen Müttern oft nicht, ihren beruflichen Ambitionen nachzukommen. Unsere Gesellschaft profitiert von der unsichtbaren Erziehungs- und Pflegearbeit, die bis heute noch vermehrt von Frauen getragen und finanziell leider kaum anerkannt wird. Für die Zukunft benötigen wir alternative Arbeitszeitmodelle, die es Frauen und Männern ermöglichen, Familie und Beruf zu vereinbaren. Die Gleichstellung der Frau sollte allerdings nicht nur in beruflicher Hinsicht ein gesamtgesellschaftliches Ziel sein.

Wie könnten die Frauen unterstützt werden? 
Die Gesellschaft  braucht alternative Modelle, die es Frauen, aber auch Männer ermöglichen, Familie und Beruf besser in Einklang zu bringen. Wir brauchen ein gesamtgesellschaftliches Umdenken, das Frauen in ihrer beruflichen Verwirklichung unterstützt und klassische Rollenbilder in Frage stellt.

Im Jahr 2015 hat die Genossenschaft Co-Opera das Zertifikat „audit familieundberuf" erhalten. Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern?
Als Genossenschaft haben wir verschiedene Maßnahmen getroffen, um die Vereinbarkeit zu ermöglichen. Mitarbeiter/innen können zum Beispiel eine zusätzliche bezahlte Freistellung für die Pflege kranker Kinder erhalten. Nach der Mutterschaft kann zusätzlicher unbezahlter Wartestand beantragt werden. Frauen und Männer, die in der Verwaltung arbeiten, können bestimmte Arbeiten zuhause verrichten. Außerdem bieten wir kostenlose Gesundheitskurse und Sportaktivitäten für Mitarbeiter/innen an. Im Betrieb gibt es auch eine Familienbeauftragte, an die sich jeder für Fragen rund um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wenden kann. Oft werden wir als Genossenschaft auf das eingeführte audit angesprochen, wie die eingeführten Maßnahmen bei unseren Mitarbeiter/innen ankommen. Unsere Erfahrung zeigt, dass familienfreundliche Maßnahmen die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter/innen steigert; die Ausfallquote sinkt, die Motivation, sich beruflich und persönlich weiterzuentwickeln steigt, Flexibilität nimmt zu. Für den/die Mitarbeiter/in wird Arbeit zu mehr als reinem Broterwerb. Letztendlich profitieren Betrieb und Mensch.