Wirtschaft | Außenbetrachtung II

Wertschätzen oder versilbern?

Südtirol soll aufblühen. Doch Blumen und Bienen können nicht die Interessenskonflikte zwischen Ökonomie und Ökologie lösen. Dafür braucht es Konsens zu wirksamen Regeln.
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Blumenwiese
Foto: Othmar Seehauser

Die Biodiversitätsoffensive ist startklar. Das hat der SVP-Fraktionssprecher im Landtag Gert Lanz angekündigt und beim Wettlauf zwischen den Hasen der Opposition und dem Regierungsigel behauptet: „Wir sind schon da“. Er bezieht sich dabei offenbar auf das Konzept „Blumenwiese“, initiiert und ausgearbeitet vom Tagblatt „Dolomiten“ und dem Pflegezentrum für Vogelfauna in Tirol. Auch Vorschläge des Beratungsrings sind eingeflossen, weiß laut stol.it der Landtagsabgeordnete Franz Locher. Der SVP-Fraktionssprecher wird folgendermaßen zitiert: „Wir haben seit kurzem ein ausgereiftes Konzept vorliegen, mit klaren Ideen, konkreten Maßnahmen und wertvollen Tipps. Dieses werden wir uns jetzt genauer anschauen und überprüfen, was sich wie, wo und wann umsetzen lässt.“ Die Berichterstattungsgrammatik gibt schon was her: Da stellt sich z. B. die Frage, wer ist „Wir“. Jedenfalls erfahren wir, dass sich die SVP dieses Konzept erst noch „genauer anschauen“ muss. Förderungslatein versteckt sich womöglich hinter der Aussage „Damit Biodiversität gelingen kann, bedarf es einer Symbiose von verschiedenen Ausgleichsmaßnahmen bei der Flächennutzung durch Infrastrukturen bzw. Gebäude, es braucht eine neu zu definierende landwirtschaftliche Nutzung von Flächen“.

Blühende Gärten und Balkone lösen keine Interessenskonflikte

Positiv ist allemal, dass Bewegung in die Sache kommt. Wenn landesweit Gemeinden und private Grundeigentümer mitmachen, tut das der Natur gut und schafft mehr Bewusstsein für die Bedeutung des ökologischen Gleichgewichts. Dass nun die Bienen auf einem Büroturm der Landesverwaltung summen, ist eine weitere Aktion, die dazu beiträgt, dass in der Öffentlichkeit den vielen kleinen Dingen mehr Beachtung geschenkt wird, die unsere Lebensgrundlagen schützen. Authentische Naturerfahrung ist nicht nur Wellnessasset, sondern muss stärker mit der laufenden Sorgenahme um die Natur und ihre Ressourcen verbunden werden. Blühende Gärten und Balkone allein taugen nicht zur Lösung von Interessenskonflikten zwischen Ökologie und ökonomischen Interessen, wie sie in unserer materialistisch orientierten Welt laufend vorkommen bzw. gleichsam vorprogrammiert sind. Dafür braucht es klare und wirksame landesweite urbanistische Regelungen. In der Formulierung muss das Bewusstsein für den Wert von naturbelassener Landschaft und Förderung der Biodiversität zum Ausdruck kommen. Solange die Politik im Einklang mit den Interessenvertretungen immer wieder Löcher in das normative Netz zum Schutze der Natur reißt, wird Südtirol zwar den Wohlstand steigern, aber als Lebensraum verarmen.

Ökologische Rücksichtnahme kann nicht mit Gold aufgewogen werden

In der Summe werden die unternehmerischen Zukunftspläne der landwirtschaftlichen Betriebe das künftige Erscheinungsbild der Landschaft verändern. In noch viel größerem Maße werden neue urbanistische Entscheidungen deren künftige Gestaltung beeinflussen. Finanzkräftige Investoren werden gerade in landschaftlich wertvollen Gebieten versuchen, die Vernachlässigung der ökologischen Belange mit Produktivitätssteigerungen und Renditen schmackhaft zu machen. Ökologische Rücksichtnahme hingegen kann nicht mit Gold aufgewogen werden, sondern hängt von der Konsistenz gesellschaftlicher Werthaltungen ab und von deren Verankerung im Bewusstsein der Menschen und der Entscheidungsträger, also derer, die mit der Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt bestreiten, und der von der Anzahl her stetig wachsenden Gruppe von Nebenerwerbsbauern, die außerhalb der Landwirtschaft ihren Hauptverdienst erzielen und somit einen anderen arbeitsorganisatorischen Zugang zur landwirtschaftlichen Tätigkeit aufweisen. Umweltbewusste Konsumentinnen und Konsumenten und Bürgerinnen und Bürger können durch ihre Kaufentscheidungen und durch hartnäckige Interventionen bei den politischen Schaltstellen die künftige Entwicklung und die Dynamik der Entwicklung Einfluss nehmen.

Sorge um Naturlandschaft und Habitate nicht unbegründet

Es ist nämlich durchaus denkbar, dass sich die Nutzungsoptimierungen aus wirtschaftlicher Sicht, die in den Tälern stattgefunden haben, nun in höheren Lagen einstellen werden. In den Talsohlen sind im Laufe der Jahrzehnte Auen aufgeschüttet und Feuchtwiesen trockengelegt worden, um bis an den Rand der Grundstücke Obstbäume zu pflanzen. Steinige Heckenränder mussten zusätzlichen Rebenzeilen weichen. Was kreucht und fleucht ist sang- und klanglos delogiert worden. Wo den Wegrand Himbeer- und Brombeerstauden säumten, wo sich Schmetterlinge tummelten, allerlei Kleingetier im Gebüsch ihr Habitat fand und manchmal noch Fasane auf den Feldwegen vor einem aufflogen, ist eine Ruhe eingekehrt, die was von geschäftiger Nüchternheit hat. Das mag ein verklärtes Bild vergangener Zeiten scheinen, aber die Statistiken zu den Verlusten an Biodiversität heben es auf die Relevanz von Tatsachenbefunden.

Für die GrundeigentümerInnen ist es schwer, die Aussichten auf Gewinne und Rendite außer Acht zu lassen, die sich da und dort für Produktion und Siedlungsprojekte in Gebieten abzeichnen, die bisher vor großen Eingriffen verschont geblieben sind. Was derzeit an unbeeinträchtigter oder nur geringfügig verändert Naturlandschaft oberhalb von 800 oder 1.000 Metern Meereshöhe existiert, wird von Investoren als asset eingestuft, das zahlreichen ökonomischen Nutzungen zugeführt werden kann. Wenn in diesen Lagen in zehn Jahren Apfelplantagen errichtet werden können, so ist das für die Landwirte eine bei weitem einträglichere und weniger aufwändige Form der Bewirtschaftung als die traditionelle Viehhaltung. Zudem versprechen touristische und nicht touristische Nutzungsoptionen, also die Erschließung neuer Siedlungsflächen, deutlich mehr Wohlstand. Wird hier dieselbe Entwicklung eingeleitet wie in den Talsohlen vor vielen Jahren?

Der Salten ist ein gutes Beispiel

Oswald Stimpfl hat vor einiger Zeit auf die zunehmende „Meliorierung“ der landwirtschaftlich genutzten Flächen am Salten hingewiesen. Die Wiesen werden glattgewalzt und überdüngt, die „geschnaitelten“ Lärchen sind nur mehr Baumtorsos ohne Würde und Daseinsberechtigung. Die Scheunen werden auf für die Ausbauperspektiven attraktive Standorte verlagert, die Hütten haben einen Kamin auf dem Dach. Oswald Stimpfl hat das glänzend und mit dem Herzblut des Naturschützers beschrieben, dem es weh tut, wenn natürliche Landschaftskleinode ohne zwingenden Grund so verunstaltet werden, dass sie ihre Funktion als Schutzzonen für Biodiversität immer weniger und irgendwann gar nicht mehr wahrnehmen können.

Die Salamitaktik der allmählichen Nutzungsänderung

Die Gefahr bei kleinen Eingriffen in das Landschaftsgefüge besteht immer wieder darin, dass mit dem Ausbau der touristischen Nutzung der Bedarf an zusätzlichen Infrastrukturen wächst und es dann salamitaktikmäßig dem durch die Übertragung von urbanistischen Zuständigkeiten forcierten informellen Pragmatismus in den Gemeindestuben völlig einleuchtet, dass die wirtschaftliche Entwicklung nicht gebremst werden darf. Die Sorge könnte übertrieben sein, aber es gibt nun mal keine Gewähr dafür, dass in einem vernünftigen Rahmen landesweit ökologische Vielfalt geschützt wird, wenn es hierfür keine klaren landesweit gültigen Vorschriften gibt. Die Vereinbarkeit von wirtschaftlicher Nutzung mit Natur- und Landschaftsschutz ist derzeit von den Regelungen her ein Konglomerat von allgemeinen Grundsätzen, die zu wenig ausgeführt unverbindlich bleiben, und großzügigen Ausnahmeregelungen, die sich als Achillesferse des Südtiroler Anspruchs auf die Position als umweltbewusste Vorzeigeregion in Europa erweisen.

Zu den folgenreichsten gehört die Regelung zu den sog. „Bagatelleingriffen“. Schon die Bezeichnung ist Programm: Es wird durchaus pragmatisch eine Generalabsolution für als unerheblich eingestufte Eingriffe in die Landschaft erteilt. Diese Eingriffsberechtigung wird dann so großzügig ausgeweitet, dass laufend zahlreiche „Meliorierungen“ ermöglicht werden, bei denen kein Hahn danach kräht, ob dadurch natürliche landschaftliche Biodiversitätsoasen und Habitate dauerhaft beeinträchtigt oder vernichtet werden und ob der konkrete Nutzen solcher Eingriffe in einem vertretbaren Verhältnis zu den Folgen steht.

Aufgabe der Politik ist, einen gesellschaftlichen Konsens zum Naturschutz herzustellen

Zu wenig klare Kriterien für Natur- und Landschaftsschutz auf Landesebene und urbanistische Regelungen voller Schlupflöcher zeigen, dass ein gesellschaftlicher Konsens dazu fehlt, was schützenswert ist und wie naturbelassene und biodiversitätsreiche Gebiete erhalten, gepflegt und ausgebaut werden können. Durch die Übertragung wesentlicher Zuständigkeiten an die Gemeinden wird die gesellschaftliche Verantwortung für die Nutzung der Naturlandschaft aufgesplittert, aus dem öffentlichen Bewusstsein ausgeblendet und zum Spielball von Interessensdynamiken und Machtverquickungen, die auf Gemeindeebene aufgrund informeller Dynamiken einer geringeren Kontrolle durch die Öffentlichkeit unterliegen. Das Ziel, Erlöse für die Gemeindekassen zu lukrieren, drängt sich da mit Blick auf die dadurch verwirklichbaren Projekte mächtig in den Vordergrund.

Ohne gemeinsamen Wertehintergrund und ohne Konsens zu einer zukunftsweisenden Nachhaltigkeitsstrategie für das gesamte Land drohen Natur und Landschaft langfristig schwerwiegende Beeinträchtigungen. Das wird unausweichlich auch ihren Wert als touristisches Attraktionspotenzial in Mitleidenschaft ziehen. Nicht umsonst werden große touristische Beherbergungs- und Dienstleistungsprojekte immer mehr zu selbstreferenziellen Wohlfühlinseln in einem überstrapazierten urbanen Kontext oder als Resortkomplex in unberührte Landschaften eingepflanzt.