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Tischler in Syrien≠Tischler in Südtirol

Vom kulturabhängigen Qualitätsverständnis und berufliche Kompetenzen: Wie das Pilotprojekt Hamet2F den Asylbewerbern die Arbeitssuche erleichtern soll.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Akrat Recycling

Stellen Sie sich vor Sie bestellen einen neuen Schrank für Ihr Schlafzimmer. Der Tischler liefert Ihnen das fertige Stück ins Haus. Die Maße stimmen, die Fachböden sind montiert, die Türen lassen sich problemlos öffnen. Jedoch sitzen die Griffe schief, auf der Frontseite sind Kratzer zu erkennen und innen löst sich die Farbe. Würden Sie den Tischler bezahlen? Eher nicht.

In anderen Ländern wäre man mit so einem Schrank wunschlos glücklich. Hauptsache er funktioniert. Schön muss er nicht sein. So sehen es manchmal auch die Asylbewerber, die bei uns eine Arbeit suchen. Die beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen, die sie aus ihren Heimatländern mitbringen, entsprechen nicht immer den Ansprüchen von Arbeitsstellen in Südtirol. Tischler, Elektriker, Schneider aus anderen Ländern müssen erst lernen, was die Arbeitgeber und Kunden hier bei uns wollen.

Wie kann man aber erkennen, ob ein Flüchtling oder Asylbewerber motiviert und lernwillig ist? Besitzt er weder Dokumente, noch Referenzen ist die Wahl eines solchen Mitarbeiters für die Arbeitgeber oft ein reines Lottospiel. Wird er sich in der Gruppe integrieren? Welche motorischen Fähigkeiten besitzt er? Kann er Anweisungen verstehen und umsetzen?

Abhilfe soll das Hamet2F-Pilotprojekt schaffen, das von der Abteilung Soziales der Autonomen Provinz Bozen in Zusammenarbeit mit der Bozner Sozialgenossenschaft Akrat Recycling gestartet wurde. Mit diesem Projekt sollen die praktischen und sozialen Basiskompetenzen der Flüchtlinge oder Asylbewerber überprüft werden. Das wissenschaftlich erarbeitete Verfahren Hamet2F sieht eine Reihe von Testaufgaben vor, die von den Migranten in Kleingruppen erledigt werden müssen. Während die Personen diese Aufgaben ausführen, werden Merkmale zum Arbeitsverhalten, der Umgang mit Vorgesetzten und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit beobachtet und beurteilt. Als Ergebnis des Verfahrens entsteht ein Bericht, der die Stärken und Potenziale der einzelnen Person aufzeigt, um sie gezielter an bestimmte Berufsfelder heranzuführen.

„Dies ist oft das einzige offizielle Dokument ihrer beruflichen Kompetenzen, das sie in ihren Händen halten“, erklärt Herbert Öhrig, Verantwortlicher des Hamet2F-Projekts für die Sozialgenossenschaft Akrat. Ein erster Schritt also, um eine Arbeit zu finden? „Wir möchten mit diesem Projekt etwas bewegen. Oft haben die Flüchtlinge Schreckliches erlebt und kommen stark traumatisiert in Südtirol an. Sie sind deswegen kaum belastbar und finden nur schwer eine Arbeit. Hamet2F soll hier eingreifen und Stärken aufweisen, die weiterentwickelt werden können“.

Hilfreich ist der Bericht auch für Unternehmen, die auf der Suche nach möglichen Arbeitskräften sind. „Durch Hamet2F wurde bereits eine Vorauswahl getroffen. Im Bericht finden Arbeitgeber zuverlässige Ergebnisse und eine objektive Beschreibung der Fähigkeiten der Person; Kompetenzen, die aufgrund des Lebenslaufes nur schwer erhoben werden können.

„Wir haben viele gute Erfahrungen mit den Migranten gemacht“, betont Herbert Öhrig und deutet auf die Mitarbeiter mit Migrationshintergrund hin, die in der Werkstatt von Akrat am Matteottiplatz in Bozen beschäftigt sind: „Alle Vorurteile, wie zum Beispiel Unpünktlichkeit, mangelhafte Arbeitsmoral, Unzuverlässigkeit usw., wurden widerlegt“. Der Tischlermeister ist überzeugt, dass es unsere Aufgabe ist diesen Menschen eine fundierte Ausbildung zu ermöglichen: „Nicht nur wenn sie hier bleiben, auch bei einer eventuellen Rückkehr in ihre Herkunftsländer, können sie sich so eine sichere Existenz aufbauen“.

Herbert Öhrig hat in seinem Beruf täglich mit Flüchtlingen zu tun, er kennt die Problematiken dieser Menschen, weiß aber auch ihr Potential zu schätzen: „Europa muss in den Ländern, aus denen die Geflüchtete kommen, bessere Bedingungen schaffen, damit sich diese dort eine lebenswerte Zukunft aufbauen können. Im Hinblick auf den demographischen Wandel glaube ich aber, dass die Geflüchteten von Heute unser Wohlstand von Morgen sind!“