Politik | Reform

Referendum leichtgemacht

Das Verfassungsreferendum steht vor der Tür. Doch was beinhaltet diese Reform? Hier finden Sie alle wichtigen Punkte kurz zusammengefasst.

In wenigen Monaten werden die italienischen Staatsbürger an die Urnen gebeten, um über das von den Parlamentariern ins Leben gerufene und von Ministerpräsident Matteo Renzi eisern verfochtene Verfassungsreferendum abzustimmen. Doch viele Bürger sind sich noch unklar, welche Folgen, sei es im positiven wie im negativen Sinne, das Referendum für Italien und auch für Südtirol hat.

Matteo Renzis Verfassungsreform verfolgt ein großes Ziel: Der Senat soll verkleinert und das Zweikammersystem abgeschafft werden, um die italienische Politik effizienter zu machen. Der Senat soll in Zukunft die Regionen, Ballungsgebiete, Städte und Gemeinden vertreten, während die Abgeordnetenkammer Italien als Ganzes repräsentieren soll. Die Vertrauensfrage kann künftig nur mehr die Kammer stellen. Diese wird nach wie vor aus den 630 Abgeordneten bestehen.

Die Zusammensetzung des Senates erfolgt folgendermaßen: der neue Senat wird aus 100 Senatoren bestehen. 95 kommen aus den Regionen. Von den 95 werden 74 direkt gewählt, die restlichen 21 bilden die Bürgermeister der Regionen. Dabei darf jede Region je nach Größe und Einwohnerzahl unterschiedlich viele Senatoren entsenden. Südtirol stellt 2 Senatoren, am meisten schickt Lombardei mit 13 bis 14 Senatoren, die genaue Zahl wird im Gesetz definiert. Die restlichen 5 Senatoren können vom Staatspräsident ernannt werden. Diese bleiben dann für 7 Jahre im Amt, sind jedoch nicht mehr „Senator auf Lebenszeit“. Dieses Amt würde mit dem Inkrafttreten der Reform langsam erlöschen.

Weiters gibt es auch eine Änderung bei der Wahl des Staatspräsidenten. Im Moment wird der Präsident der Republik vom Parlament zuzüglich 58 Vertreter der Regionen gewählt. Aktuell sind das insgesamt 1.003 Personen plus die Senatoren auf Lebenszeit. Bei den ersten drei Wahlgängen benötigte er bisher eine Zweidrittelmehrheit, beim vierten Wahlgang eine Dreifünftelmehrheit und beim siebten eine Dreifünftelmehrheit der (anwesenden) Wähler. Nun wird der Staatspräsident von den 630 Abgeordneten und 100 Senatoren gewählt. Er benötigt in den ersten vier Wahlgängen die gewohnte Zweidrittelmehrheit, im fünften dann die Dreifünftelmehrheit und im neunten dann die absolute Mehrheit.

Auch in der protokollarischen Rangordnung muss der Senat zurückstecken. An zweiter Position würde der Präsident der Abgeordnetenkammer stehen, der Präsident des Senats müsste sich mit Rang drei begnügen. Der Senatspräsident könnte dennoch das Parlament zur Sitzung einberufen, wenn der Kammerpräsident den Staatspräsidenten „ersetzen“ muss, weil dieser mit endgültiger Wirkung, sprich Rücktritt, dauerhafter Verhinderung oder Tod nicht sein Amt ausüben kann.

Außerdem sollen Abstimmungen zu neuen Gesetzesentwürfen mit genauen Zeitvorgaben geregelt werden. Auch inhaltstechnisch sollen die neuen Gesetze limitiert werden.

Dem Staat würden einige Kompetenzen wie Energie, strategische Infrastruktur und Zivilbevölkerungsschutzsysteme zugesprochen werden. Für Südtirol beinhaltet die Reform diesbezüglich eine sogenannte Schutzklausel. Sie verhindert, dass diese neue Kompetenzordnung direkt auf Südtirol angewandt wird. Da der Staat aber nach wie vor indirekt Einfluss nehmen kann, gilt diese Schutzklausel als sehr umstritten.

Dadurch, dass der Senat künftig zwischen Region und Staat vermitteln würde, würden weniger Streitfälle vor den Verfassungsgerichtshof kommen. Diesem wurde in der Vergangenheit oft vorgeworfen, „zentralistisch“ für Rom und gegen die Autonomie zu urteilen.

Ein etwas brisanterer Punkt würde indes im Bereich Gesetzgebung eingeführt werden. Auf Antrag der Regierung kann die Kammer auch Gesetze erlassen, welche sich im Zuständigkeitsbereich der Regionen befinden würden, wenn dies „zum Schutz der juridischen und wirtschaftlichen Einigkeit der Republik oder zum Schutz der nationalen Interessen“ dienen würde. Man spricht von der „clausola di supremazia“. In der Schutzklausel ist jedoch definiert, dass diese Klausel auf Südtirol keine Anwendung findet. Weiters steigt die Mindestanzahl der benötigten Unterschriften für einen Gesetzesvorschlag vonseiten der Bevölkerung von 50.000 auf 150.000 Unterschriften. Die Kammer muss jedoch künftig klare Prüfungszeiten und –fristen vorgeben.

Die Provinzen würden mit dem Referendum, übertrieben ausgedrückt, politisch entmachtet werden. Sie würden keinen Verfassungsrang mehr besitzen. Dies gilt nicht für Südtirol.

Trotz der massiven Einschränkungen des Senats kann er nach wie vor Gesetzesänderungen vorschlagen, die die Kammer mit einer Mehrheit (absoluter oder der Anwesenden, je nach Fall) ablehnen müsste. Bereiche wie Verfassungsreform oder Autonomiestatut bleiben wie gehabt im Kompetenzbereich des Senats und werden mit dem üblichen Zweikammersystem behandelt.

Der CNEL (Consiglio nazionale dell’economia e del lavoro) mit seinen 64 Mitgliedern zuzüglich des Präsidenten würde mit der Reform abgeschafft werden.

Eine große Neuerung gäbe es beim Wahlgesetz. Mit der Reform wäre nun ein präventiver Rekurs möglich. Ein Viertel der Abgeordnetenkammer hatte um diese Neuerung angesucht.

Auch beim Referendum selbst würden die Dinge sich ändern. Neu eingeführt werden würde das „referendum propositivo“. Hier würden die Wähler zu einem Vorschlag befragt werden. Bisher gibt es das „referendum abrogativo, wo die Bürger befragt werden, ein Gesetz teilweise oder ganz zu eliminieren und das „referendum costituzionale“, wo eine Änderung der Verfassung vorgeschlagen wird. Die Mindestanzahl an Unterschriften (500.000) für einen Referendumsvorschlag würde bestehen bleiben. Sollten aber über 800.000 Unterschriften erreicht werden, würde dies das Quorum senken. Es würden also nicht mehr die für das betroffene Referendum Wahlberechtigten, sondern die Wähler des letzten Wahlganges als Zahl zur Berechnung verwendet. Von den letzteren benötige man dann die Hälfte.

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Thomas Benedikter Sa., 10.09.2016 - 22:20

Dank an N. Elsler für diese "Verfassungsreform kurzgefasst". Ganz zutreffend ist die Darstellung aber nicht. So z.B. wird mit dieser Reform kein "propositives Referendum" (wäre die klassische Volksinitiative) eingeführt, sondern paradoxerweise nur angekündigt, praktisch auf die nächste Verfassungsreform verschoben. Auch das gibt es in Italien, eine Frotzelei.
Was Renzi "verbessert", ist auch Folgendes: für einen Volksbegehrensgesetzentwurf (ohne Recht auf Volksabstimmung) werden künftig 150.000 statt der bisher 50.000 Unterschriften gefordert. Dennoch ist das Parlament immer frei, dieses Volksbegehren abzulehnen oder einfach verstauben zu lassen. Nicht einmal genaue Fristen für die Behandlung durchs Parlament hat die neue Verfassung festgelegt, obwohl sie bei allen übrigen Gesetzgebungsverfahren sehr genaue Fristen definiert.
Genauer fassen müsste man auch die Sache mit dem Quorum: es wird nämlich mit dieser Reform nur ganz unzureichend gesenkt, nämlich auf 50% nicht der Wahlberechtigten, sondern der Teilnehmenden an den letzten Parlamentswahlen, sofern 800.000 Wähler die Volksabstimmung gefordert haben. Natürlich muss das Quorum komplett fallen, um Boykottkampagnen zu verhindern. Und auch 800.000 Unterschriften bei den heutigen formalen Bedingungen in Italien zu sammeln, ist extrem schwer. Auch das nur eine Frotzelei und ein Grund mehr, diese Zumutung von "Reform" abzulehnen.

Sa., 10.09.2016 - 22:20 Permalink